Hans Arps Gedicht „Ich du er wir ihr sie“

HANS ARP

Ich du er wir ihr sie

Ob er er ist
ob du du bist
ob ich ich bin?
Sicher bin ich
kein Sternenfresser
oder ein Unhold
der die Träume
der heiligen Rosen
zerrüsselt.
Habe ich überhaupt
ein Haupt?
Bin ich ein Paar dichtender Flügel?
Bin ich aus dem Lande Hinnieden?
Bin ich einer Wolke entstiegen?
Wer bin ich?
Ob ich ich bin
ist nicht leicht zu sagen.
Zur Zeit bin ich eher
müde müde müde
und möchte lange
in ewigen Schlaf verfallen.
Da sind die Demarkationslinien
noch rätselhafter
als zwischen
ich du er wir ihr sie.

nach 1943

aus: Hans Arp: Gesammelte Gedichte Bd. 1 und 2. Arche Verlag, Zürich 1974

 

Konnotation

Die Personalpronomina, die so selbstverständlich unserer grammatischen Ordnung und ihren Subjekt-Zuschreibungen zugehörig scheinen, werden im Gedicht des poetisch überaus beweglichen Dadaisten und Surrealisten Hans Arp (1886–1966) auf ihren Gebrauchswert geprüft – und es bleiben nur Fragen zurück, keine Antworten. Das Gedicht entstammt dem Spätwerk Arps, als er nach dem Tod seiner Lebensgefährtin Sophie Taeuber 1943 Abschied nahm von allem Übermut und von allen Utopien.
Das „Ich“ tritt mit den anderen Fürwörtern heraus aus allen Verankerungen und aus dem irdischen „Hinnieden“, das den Wörtern und ihren grammatischen Funktionen zugewiesen hat. Hans Arp dagegen anerkennt keine Begrenzungen und „Demarkationslinien“ – alle definitorisch fixierten Gegenstände der Sprache werden in Frage gestellt. Und das „Ich“ des Sprechenden erlebt er dabei wohl als das größte Rätsel.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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