Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „War da was“

HANS MAGNUS ENZENSBERGER

War da was

Da war etwas Gutes
vorhin,
woanders.
Schade,
daß es so schwer ist,
sich an etwas Gutes
zu erinnern.
Zu wissen,
wie es wirklich war.
Wie wirklich es war.

Es war, glaube ich,
etwas ganz Gewöhnliches,
Wunderbares.
Ich habe es,
glaube ich, gesehen
oder gerochen
oder angefaßt.

Aber ob es groß
oder klein war,
neu oder alt,
hell oder dunkel,
das weiß ich nicht mehr.

Nur daß es besser war,
viel besser,
als das was da ist,
das weiß ich noch.

1995

aus: Hans Magnus Enzensberger: Kiosk. Neue Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1995

 

Konnotation

In der Kunst der skeptischen Selbstbegrenzung und im altersweisen Stoizismus hat es der 1929 geborene Hans Magnus Enzensberger weit gebracht. Der linksliberalen Intelligenz eilte er mit seiner „Verteidigung der Normalität“ (1982) schon zu einem Zeitpunkt davon, als diese noch ihren Utopien von einer Überwindung des Kapitalismus anhing. Enzensbergers Utopie ist schon im Gedichtband Kiosk (1995) auf das Format eines subjektiven, flüchtigen Alltagsaugenblicks geschrumpft.
Die Utopie, die Evidenzerfahrung einer besseren Welt bleibt im Gedicht ein Phantom. Es ist jedenfalls keine politische Idee im Großformat, kein weltumstürzlerisches Phantasma, dem sich das lyrische Subjekt hingibt, sondern etwas sehr Irdisches, Punktuelles, Vergängliches. Vielleicht ist dieses „Gute“, das über die gegebenen Verhältnisse hinausweist, nur in der Sehnsucht danach präsent, der Greifbarkeit entzieht es sich.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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