Heiner Müllers Gedicht „Soldatenbrot“

HEINER MÜLLER

Soldatenbrot

Der Hunger brennt arg, Soldat.
Hast du Brot im Gepäck, Soldat?

aaaaaFein war die Nacht.

Ach, und der Morgen schwer
Fiel über die Sterne her.

aaaaaBlau war die Nacht.

Kind, schrei nicht, die Lad ist leer.
Dein Brot, das ist verzehrt.

aaaaaLang war die Nacht.

um 1950

aus: Heiner Müller: Die Gedichte. In: Werke. Band 1. Hrsg. v. Frank Hörnigk. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1998

 

Konnotation

Heiner Müller (1929–1995), der sarkastische Dramatiker und Geschichtspessimist, hat schon in seinen frühen Jahren die Schlachtfelder der deutschen Geschichte studiert. In seinem Nachlass fanden sich Gedichte aus den Jahren 1949–1952, die sehr viel näher an einem liedhaften Ton sind als an dem düsteren collagehaften Fragmentarismus des Spätwerks.
Der aussichtslose Alltag des Soldaten zwischen Hunger und Todbereitschaft, ein zentrales Thema der Nachkriegsliteratur, wird hier in wenigen Zeilen mit einem leicht variierten Refrain evoziert. Die Entbehrungen, die ein Kriegszustand mit sich bringt, und der Verlust aller Lebensperspektiven klingen in den elegischen Versen an. Der Refrain scheint jeweils romantische Gegentöne ins Spiel zu bringen, aber sehr schnell wird die poetisch aufgerufene Nacht als katastrophischer Zustand enthüllt. Diese elegischen Melodien hat sich der späte Müller ausgetrieben. Er beschränkte sich auf drastisch inszenierten Fatalismus.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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