Jörg Fausers Gedicht „Metzgerei (oder: A man can be destroyed and defeated)“

JÖRG FAUSER

Metzgerei
(oder: A man can be destroyed and defeated)

Heut abend in der Metzgerei
stand ein alter Mann vor mir
fadenscheiniger Wintermantel
eine Warze im Genick
schwärzlicher Rand am Hemdkragen
ausgetretene Halbschuhe
Reste von Ohropax in den Ohren
verknorpelte Hände
an eine poröse Plastiktüte geklammert
und als er an der Reihe war
bestellte er mit leiser Stimme
50 Gramm Blutwurst
50 Gramm Sülze
und eine Flasche Vollbier
zahlte zögernd aus einer abgewetzten Börse
und ging rasch und ohne Gruß
in seinen Winter

und mir wurde plötzlich klar
wie sie alt
und besiegt und vernichtet sind
meine Väter

1977

aus: Jörg Fauser: Trotzki, Goethe und das Glück. Rogner & Bernhard, München 1979

 

Konnotation

Ich bin ein Kind der amerikanischen Freiheit – ich wünsche Amerikas Politik zum Teufel und liebe seine Literatur“: Mit solchen Bekenntnissen propagierte der Erzähler, Lyriker und selbsternannte Underground-Rebell Jörg Fauser (1944–1987) seinen ruppigen Realismus, der sich viel auf seine Authentizität zugute hielt. Im vorliegenden Gedicht aus dem Jahr 1977 erfindet Fauser einen alten Mann und dementiert den Heroismus des im Titel aufgerufenen Hemingway-Zitats („A man can be destroyed, but not defeated“).
„Der Poet ein Lumpensammler / er kommt mit den Abfällen aus / wie die Ratte und der Schakal“: Mit dieser etwas großspurigen Poetik, die den Dichter in den Armutszonen und subproletarischen Milieus der Städte ansiedelt, korrespondiert das Porträt eines verarmten alten Mannes, der hier zur Symbolfigur der Väter-Generation wird. Dieser Vater-Gestalt aus der Generation der Kriegsteilnehmer nähert sich das lyrische Ich mit großer Empathie.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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