Karl Wolfskehls Gedicht „Ultima Poetae“

KARL WOLFSKEHL

Ultima Poetae

So einsam, so allein, so ganz verlassen
Hock ich, verschlagen unter fremde Sassen,
Daß selbst ein Nachtmahr zur Gesellung freut.
Du würgst mich? Hast dich nicht vor mir gescheut?

Die Hand nicht mehr zu Griff und Halt geweiht,
Das Ohr durchrauscht vom Meer der Ewigkeit,
Das Auge dunkelnd: Seele, sei bereit.

1940

aus: Karl Wolfskehl: Gesammelte Werke Bd. 1. Claassen Verlag, Hamburg 1960

 

Konnotation

Karl Wolfskehl (1869–1948), der produktivste und intellektuell selbständigste Dichter des George-Kreises, sah sich wie sein Meister selbst nach Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 dazu gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Den Abkömmling einer jüdischen Patrizier-Familie verschlug es an den von Europa entferntesten Teil der Erde, nach Neuseeland, wo er ergreifende Gedichte der absoluten Verlassenheit schrieb.
Als „Ultima Poetae“, als letzten Dichter der Welt, der in tiefe Einsamkeit geraten ist, porträtiert sich der Autor in diesem Gedicht, das im September 1940 entstanden ist. Von den nächtlichen Phantasmagorien „gewürgt“, versucht das Ich rettenden Halt zu finden. Die letzten beiden Zeilen formulieren eine Erwartung des baldigen Endes, ein Sich-Öffnen der Sinne für den Anruf der „Ewigkeit“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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