Ricarda Huchs Gedicht „MICH BAND DIE LIEBE AN DEN PFAHL DER PEIN,…“

RICARDA HUCH

MICH BAND DIE LIEBE AN DEN PFAHL DER PEIN,
Durchbohrend mit dem Schwerte, das nicht tötet,
Mein Eingeweide, bis der scharfe Stein,
Auf dem ich kniee, sich mit Blute rötet.
Doch neig ich dankend mich den Schmerzenslosen;
Denn über mir seh ich wie eine Sonne
Die Marterkrone dunkelroter Rosen:
Mein Blut in Blüte, die mich krönt zur Wonne.

um 1900

aus: Ricarda Huch: Gesammelte Werke. Band 5. Hrsg. von Wilhelm Emrich. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1971

 

Konnotation

Die Liebesgedichte der Dichterin und Historikerin Ricarda Huch (1864–1947) haben viel mit ihrer biografischen Verstrickung in eine unglückliche Liebe zu tun. Als junges Mädchen hatte sie sich in ihren erheblich älteren Cousin verliebt, der zu dieser Zeit mit ihrer älteren Schwester verheiratet war Um den Knoten dieser Liebes-Falle zu lösen, band sich Ricarda Huch an einen italienischen Zahnarzt. Als sie nach der Scheidung von ihm endlich den von ihr begehrten Cousin heiraten konnte – auch dessen Ehe war zerbrochen –, wähnte sie sich am Ziel ihrer Träume. Diese Illusion war nur von kurzer Dauer.
Das um die Jahrtausendwende entstandene Gedicht überhöht den Liebesschmerz des lyrischen Subjekts in ein Martyrium. Das Ich definiert die Liebe als ein Szenario der Folter, die Leib und Seele der Betroffenen grausamer Peinigung aussetzen. Es ist fast schon ein masochistischer Narzissmus, der hier artikuliert wird. Der Schmerz der Liebenden wird in einen Zusammenhang gerückt mit der Dornenkrone des sterbenden Christus.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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