Sandra Trojans Gedicht „Hausszene“

SANDRA TROJAN

Hausszene

Sie lehnen ins Dunkel, berühren einander
wie Frischverliebte, lauschen Motorenlärm
der Hauptstraße. Noch immer diese Hitze.
Ihr Make-up schmilzt, die Gläser schwitzen
den letzten Schluck. Dein Gesicht schmeckt
nach Wachs. Sie geht, zum Waschen,
kommt wieder, in der Nachbarschaft
wirft einer den Mäher an. Seine dicke Lippe
zieht die Kontur ihres Kiefers nach. So spät noch
im Garten, da sieht man doch gar nicht, da
hackt man sich noch die Zehen ab.

2005/2006

aus: Jahrbuch der Lyrik 2007. Hrsg. von Christoph Buchwald und Silke Scheuermann. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2006

 

Konnotation

Ist das mehr als eine leichthändig notierte Genreszene eines unspektakulären Großstadt-Spätnachmittags? Die 1980 geborene Sandra Trojan, Studentin am Leipziger Literaturinstitut. scheint in ihrem Gedicht ganz beiläufig die Bewegungen, Geräusche und Geschehnisse in einem sehr gefährdeten Großstadtidyll zu protokollieren. Über allem liegt eine Atmosphäre der Gleichgültigkeit und Fremdheit. Aber es mehren sich die Momente der Beunruhigung.
Nur einmal wechselt das 2005/2006 entstandene Gedicht von der neutralen Außenperspektive in die Form der intimen Anrede an ein Du. Aber eine Verbundenheit zwischen den Figuren stellt sich nirgendwo ein, die Fremdheit will nicht weichen. Je genauer man die Szene anschaut, desto deutlicher werden die Zeichen einer unterschwelligen Aggressivität. Besonders der Schlussvers markiert eine Situation der latenten Gewalt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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