Wolf Biermanns Gedicht „Eifersucht“

Wolf Biermann

Eifersucht

Was maulst du mit mir und machst dich fremd
Wie’n Edelstein bist du versteinert
Ich fühl es: Dein großes Herz in der Brust
Ist schon um die Hälfte verkleinert
Geschrumpft! Ich hab bloß Sardana getanzt
Mit lauter fröhlichen Leuten
Und daß mir dies Weib an die Seite sprang
Das hat doch nix zu bedeuten
Der Schrecken hat dich noch hübscher gemacht
Ich weiß nicht Adresse noch Name
Mein Liebchen, ich hab nichts mit der! und will
Auch nichts von der feinen Dame
Das kenn ich von mir. Is’n Standard-Befund:
Die Eifersucht sucht ihn – und braucht gar kein’ Grund

2002

aus: Wolf Biermann: Die Gedichte und Lieder 1960 bis 2001. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003

 

Konnotation

Wolf Biermann, der 1936 in Hamburg zur Welt kam und 1953 aus der alten Bundesrepublik in die DDR übersiedelte, hat über Jahrzehnte zu den wechselnden Angelegenheiten des politischen Tagesgeschäfts in Songs und Gedichten stets kampflustig Stellung bezogen. Diese Haltung scheint inzwischen mit dem Interesse für Liebesgedichte in den Hintergrund getreten zu sein: „Ob Affenfelsen oder Barrikade, politische Arena oder Salon – die Liebe ist nun mal der Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, bei dem die abgeklärten Lebenskünstler wie auch die aufgeklärten Anfänger munter mitreden.“
In der Shakespeare-Form des Sonetts erklärt ein Ich seine Unschuld. Doch möglicherweise lässt sich in der Form bereits die hohle Hülse entdecken, mit der erklärt wird, es sei nichts geschehen. Denn je heftiger das Ich hier seine Unschuld beteuert, umso mehr darf angenommen werden, dass die Beteuerungen das Gegenteil anzeigen.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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