Mikobi / Heike Willingham: works – words • werke – wörter

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Mikobi / Heike Willingham: works – words • werke – wörter

Mikobi / Willingham: works – words • werke – wörter

FLUCH DER ZEIT

die büchse der pandora
steht in einer abstellkammer
hab sie einem wackligen regal
untergeschoben und lass sie
dort verstauben
ich fürchte nur
dass sie auseinanderbrechen
könnte irgendwann
ganz von allein
doch für jede entsorgung
ist sie jetzt schon zu morsch
ich werde die wohnung
vorsichtig räumen lassen
alles drumherum abbaun müssen
um das gefährliche herzstück
alsdann lass ich es isoliert
von einem spezialisten
eines nachts entschärfen

 

 

 

 

Die vierfarbigen Lithographien

und Skizzen in diesem Band entstanden 1986 in der Werkstatt von Peter Boll an der Hochschule der Künste West Berlin. Angeregt wurden die Arbeiten durch „FABULA RASA“ von Edward Stachura. Die Idee, dieses Kultwerk der 80er Jahre in Polen und die bildkünstlerischen Annäherungen Miko Brykalskis in einem Buchprojekt zu verknüpfen, konnten damals nicht realisiert werden. Im vorliegenden Band werden aktuelle Gedichte von Heike Willingham mit diesen graphischen Arbeiten aus den 80er Jahren zusammengebracht. Hier treffen präzise Wort- und Bildschöpfungen, die oft lakonisch knapp in eine augenzwinkernde Pointe münden und dabei einem klaren rhythmischen Duktus folgen, in Beziehung zu frühen Arbeiten des bildenden Künstlers, die von Ausschweifung und Entgrenzung im Medialen wie im persönlichen Erleben getragen sind. Die Arbeiten der beiden Künstler sind kontrastreich. Sie bereichern sich aus der eigenen Stärke heraus gegenseitig und ergeben ein auf verschiedenen Ebenen spannendes Buch. Last but not least soll die typographische Gestaltung, die Michał Jędrczak hervorragend gelungen ist, gewürdigt werden, denn sie schafft eine eigene Bedeutungsebene und wird damit zu einem eigenständigen künstlerischen Beitrag.

blitz-art-studio, Vorwort

 

 

Über die Poesie von Heike Willingham

Eigenartig – ein aufwärts fließender Fluß, so faßte ich früher meinen Eindruck von Heike Willinghams Gedichten zusammen. Zumeist vom Meer ausgehend, Küsten- und Stadtlandschaftsbilder reflektierend, Szenen in Zimmern, an Stränden und auf Straßen enthaltend, von Dingen und Menschen, die etwas durchmachen oder hinter sich haben, vom Schicksal gezeichnet oder von unklaren Verhältnissen skizziert sind. Auf unterschiedlichen Stufen ihres Erscheinens lernt man sie kennen, mitunter gleich so unvermittelt nah, daß man sich bereits im Bild wähnt, noch ehe man es ganz gesehen hat. / Beim Lesen findet eine Transformation statt, gemäß der Maxime, daß es gut ist, ein Gedicht zu lesen, aber besser, ein Gedicht zu sein, stets unter der Voraussetzung, daß Schreiben die aktivste Form des Lesens ist. Heike Willinghams erster Gedichtband heißt „Vom Fegen, weiß ich, wird man Besen“, das klingt nach einer Gewißheit, könnte jedoch auch einen Wunsch und die Befürchtung seiner Erfüllung zugleich ausdrücken. Jedenfalls handelt es von einer Wandlung des tätigen Subjekts, seinem Auflösungsprozess in der Arbeitsmaterie. Vielleicht ist das programmatisch: Die künstlerische Absicht manifestiert sich im Schwung des Aufgehens in der Arbeit am Gedicht. Es geschieht etwas, die Geschiedenheit von Subjekt und Objekt verlangt nach Aufhebung, die entworfenen Kulissen der Landschaften und menschlichen Spannungsverhältnisse befinden sich in Bewegung, Hintergrund wird Vordergrund, die Perspektiven von Raum und Zeit verschieben sich wie in filmischen Sequenzen. Die Gedichte, wenn sie denn etwas anderem als sich selbst gleichen sollen, sind aber weniger ein Film als eher ein Schlafsaal der Emotionen, die geweckt werden und Geträumtes in sachlichem Ton erzählen, dabei Illusionen mit realen Beständen abgleichend. Mitunter überraschen sie mit den letzten Fragen der Menschheit, rollen etwas auf, was nur die Götter wissen, wissen von fehlenden Antworten, ersetzen die mutmaßliche Endgültigkeit des Fehlenden vorsichtig durch sich selbst. Hörst du mich klopfen, scheinen sie zuweilen zu sagen, und vor allem: hörst du die Qualität des Klopfens, es ist nämlich im Laufe der Zeit des Wartens auf Aufschluß zu einer ganz eigenen Musik geworden. Früher vermeinte ich, Heike Willingham wäre eine Dichterin der leiseren Zwischentöne, würde im Gestus lakonischer Resignation über schon erschöpfte Themen eine Reihe von freien, postmodern motivierten Improvisationen setzen. Doch gleichzeitig zeichnet sich in den Gewebemustern ihrer lyrischen Textfäden, im Spiel mit Spurenelementen tragischer Konstellationen, die eigene unverwechselbare Handschrift ab. Manche Gedichte lesen sich wie stichwortartige Protokolle, mitunter wie Auswertungen der Geschwindigkeit, in der erlebte Augenblicke, Tatsachen und Empfindungen gekommen und vorübergegangen sind. Andere wieder stellen mit grafischer Genauigkeit Landschaften und Seestücke dar, fügen sich in ihren aufeinander abgestimmten Details zu bewegenden Momentaufnahmen, schreiben das Genre der Naturlyrik fort, sind mehr der Gesang der Dinge als die persönliche Stimme der Dichterin. Die Art ihres Humors wäre noch hervorzuheben, gerade weil sie diskret ist und überhört werden kann: ein ihren Versen angeborener Unterton des sich Wunderns, sich Wundern hier verstanden als reservierte Anteilnahme, aus der sich Formen kritischer Empathie entwickeln.

Andreas Koziol, Juli 2021

 

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin

 

 

Heike Willingham spricht ab Minute 2:11 über die Zeitschrift Herzattacke, in der sie Mitherausgeberin ist.

 

Heike Willingham liest am 8.3.2016 für planetlyrik.de Gedichte aus dem Band Supermoon.

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