Heike Willingham: vom fegen weiß ich wird man besen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heike Willingham: vom fegen weiß ich wird man besen

Willingham/Drewinski-vom fegen weiß ich wird man besen

es stürmt
leergefegt
die hirne wiederholen
gedanken von gestern
sorgenvolle geschwüre
vom jahr davor
vor der wende
ihrer in schleifen gebundenen
umkehrbaren gedanken
da selbst die unersättlichkeit
zu früh zufrieden
mit der schleife
die die nacken ziert
in narrenhaft gebundener weise
wer hier einen unausschöpflichen
traum bewahrt
wird ihn sich selbst verrücken
der sturm tut sein übriges
damit sich die leeren straßen
bedeckt halten im glauben
daß auch weiterhin nur der wind
passieren dürfe
ein hergebrachter hüter
der grenzen der nächte
der fühlbarkeiten
als ob die seelen
im weißen mantel
durch die nebel entzögen
ihren unerfahrenen existenzen
nachstellten
dazwischen die kinder
mit ihren fähnchen winkten

 

 

 

Heike Willingham schreibt unvorhergesehene Gedichte

In einer Zeit hemmungsloser Verlautbarungen und medienverstärkter Selbstentblößungen hält sie sich mit spröder Stimme an das genaue Wort, das sich vortastend und insistierend seinen Vers schafft.
Verse, die uns endlich wieder einmal Freiraum lassen, ihre hellhörigen Empfindungen und Einsichten mit eigenen Erfahrungen zu ergänzen – daß sich etwas bewegt / über der traurigkeit / von kenntlichmachung…
Sprache, die einen Moment verharrt, um hinter äußerer Szenerie einer norddeutschen Landschaft, dem Alltag eines Berliner Stadtviertels nach inneren Befindlichkeiten zu fahnden – Geschehen von Tragweite im Augenblick – zeitweise zeitwiese.
Heike Willingham kommt aus jener Ostberliner Künstlerszene, die inzwischen mehr durch politische Affären ins Gerede kam als durch poetische Texte. Diese hier versagen sich resolut solchen Anwürfen. Mit ihnen sind wir gehalten, ebenso genau hinzusehen, mit ihnen ebenso beunruhigt zu fragen: wer bist du / ich vermute / eine reihe von personen / tritt aus dir hervor…
Eine Dichterin, begabt mit diesem zweiten Blick, gibt ihren Einstand.

Janus Press Verlag, Klappentext, 1992

 

Geprägt vom Norden

− Die Dichterin Heike Willingham. −

Sie steht im Dunkeln. Auf der Bühne der DT-Kammerspiele im dunkelgrauen Kostüm. Ihr glattes schwarzes Haar streicht über die Schultern, die sich heben, als sie zu lesen beginnt.
Heike Willingham reiht Worte aneinander, spricht von einer Zeile zur nächsten und läßt den Text treiben zwischen den Bildern. Nur der Rhythmus hält das zerbrechlich zarte Gebilde noch zusammen. Der Pianist neben ihr auf der Bühne nimmt ihn auf und trägt ihn, als sie endet, weiter. Aus den zerklüfteten Wort- und Tonreihen schälen sich plötzlich feinädrige Klanggestalten heraus, verbinden sich wieder, überraschend und unerwartet. „Experimentelle Lyrik“ muß nicht heißen, daß die Schönheit flötengeht. Sie macht nur Umwege. Plötzlich ist sie da. In den Gedichten von Heike Willingham herumzulesen, ist, wie sich in einem Birkenwäldchen zu verlieren – und auf einmal zu bemerken, wie hübsch die Bäume sind. So licht und verloren stehen die Worte auf dem Papier.
Nein, hübsch seien ihre Gedichte nicht. Ungenauigkeit mag sie nicht. Sie unterbricht das Gespräch. Dann stützt sie den Kopf auf die Hand und sagt bestimmt, worum es ihr geht. „Ich will ein rhythmisch genaues, persönliches und präzises Gedicht schreiben. Es ist mir wichtig, daß ich die Ebene treffe.“ Dann donnert es draußen. Ein Sommerregen prasselt nieder. „Und Witz ist mir ganz wichtig“. Heike Willingham spricht sachlich, ihre Gedichte wirken manchmal spröde. Sie kommt aus dem Norden. Rostock. Mit 20 ging sie nach Berlin, um Germanistik zu studieren, fünf Jahre bei Humboldts, 1986 kam die Exmatrikulation. Ort zum Schreiben wurde der lyrische Untergrund des Prenzlauer Bergs, sie schrieb für die inoffizielle Zeitschrift schaden. 1988 reiste sie aus: Westberlin.
Gelassen spricht sie über die Vergangenheit. „Das waren schon ideale Verhältnisse zum Schreiben“. Man mußte nichts veröffentlichen. Aber Literatur war auch unsere einzige Lebensqualität.“ Sie spricht über Beklemmung, die sie in der DDR spürte, und daß es für sie wichtig war, „dann da rauszugehn“. Was sich nach der Wende in ihren Texten geändert hat? „Ich schreibe nicht mehr so naturbezogen. Ich glaube, die Gedichte sind heute nicht mehr so sinnlich, mehr gedanklich.“ Ein Wort zuwenig ist besser als ein Wort zuviel, sagt Heike Willingham. Sie geht sparsam mit Worten um. Wählt die schlichten. So handfest wie der Titel ihres zuletzt bei Janus Press erschienenen Gedichtbandes vom fegen weiß ich wird man besen begint bei ihr selten ein Gedicht.

Knut Ebeling, Berliner Zeitung, 3.8.1993

Mehr Sprache wagen

− Zur Lesung von Heike Willingham. −

(…) die Gedichte der früheren schaden-Herausgeberin, die 1988 nach ihrer Relegation von der Humboldt-Universität die DDR verließ, entstehen „unvorhergesehen“, sind eher kontemplativ als schrill, dabei vollkommen sicher und präzise in einer Metaphorik, die etwas bewegen will, „über der traurigkeit / von kenntlichmachung“, zudem voll leisen Humors. „vom fegen weiß ich wird man besen“, so auch der Titel ihres neuen Buches. … Literarischer „Underground“, der einem seltsam heimatlos, aber dessenungeachtet hochpotent vorkommt.

Anke Westphal, Neue Zeit, 17.2.1993

 

Über die Poesie von Heike Willingham

Eigenartig – ein aufwärts fließender Fluß, so faßte ich früher meinen Eindruck von Heike Willinghams Gedichten zusammen. Zumeist vom Meer ausgehend, Küsten- und Stadtlandschaftsbilder reflektierend, Szenen in Zimmern, an Stränden und auf Straßen enthaltend, von Dingen und Menschen, die etwas durchmachen oder hinter sich haben, vom Schicksal gezeichnet oder von unklaren Verhältnissen skizziert sind. Auf unterschiedlichen Stufen ihres Erscheinens lernt man sie kennen, mitunter gleich so unvermittelt nah, daß man sich bereits im Bild wähnt, noch ehe man es ganz gesehen hat. / Beim Lesen findet eine Transformation statt, gemäß der Maxime, daß es gut ist, ein Gedicht zu lesen, aber besser, ein Gedicht zu sein, stets unter der Voraussetzung, daß Schreiben die aktivste Form des Lesens ist. Heike Willinghams erster Gedichtband heißt „Vom Fegen, weiß ich, wird man Besen“, das klingt nach einer Gewißheit, könnte jedoch auch einen Wunsch und die Befürchtung seiner Erfüllung zugleich ausdrücken. Jedenfalls handelt es von einer Wandlung des tätigen Subjekts, seinem Auflösungsprozess in der Arbeitsmaterie. Vielleicht ist das programmatisch: Die künstlerische Absicht manifestiert sich im Schwung des Aufgehens in der Arbeit am Gedicht. Es geschieht etwas, die Geschiedenheit von Subjekt und Objekt verlangt nach Aufhebung, die entworfenen Kulissen der Landschaften und menschlichen Spannungsverhältnisse befinden sich in Bewegung, Hintergrund wird Vordergrund, die Perspektiven von Raum und Zeit verschieben sich wie in filmischen Sequenzen. Die Gedichte, wenn sie denn etwas anderem als sich selbst gleichen sollen, sind aber weniger ein Film als eher ein Schlafsaal der Emotionen, die geweckt werden und Geträumtes in sachlichem Ton erzählen, dabei Illusionen mit realen Beständen abgleichend. Mitunter überraschen sie mit den letzten Fragen der Menschheit, rollen etwas auf, was nur die Götter wissen, wissen von fehlenden Antworten, ersetzen die mutmaßliche Endgültigkeit des Fehlenden vorsichtig durch sich selbst. Hörst du mich klopfen, scheinen sie zuweilen zu sagen, und vor allem: hörst du die Qualität des Klopfens, es ist nämlich im Laufe der Zeit des Wartens auf Aufschluß zu einer ganz eigenen Musik geworden. Früher vermeinte ich, Heike Willingham wäre eine Dichterin der leiseren Zwischentöne, würde im Gestus lakonischer Resignation über schon erschöpfte Themen eine Reihe von freien, postmodern motivierten Improvisationen setzen. Doch gleichzeitig zeichnet sich in den Gewebemustern ihrer lyrischen Textfäden, im Spiel mit Spurenelementen tragischer Konstellationen, die eigene unverwechselbare Handschrift ab. Manche Gedichte lesen sich wie stichwortartige Protokolle, mitunter wie Auswertungen der Geschwindigkeit, in der erlebte Augenblicke, Tatsachen und Empfindungen gekommen und vorübergegangen sind. Andere wieder stellen mit grafischer Genauigkeit Landschaften und Seestücke dar, fügen sich in ihren aufeinander abgestimmten Details zu bewegenden Momentaufnahmen, schreiben das Genre der Naturlyrik fort, sind mehr der Gesang der Dinge als die persönliche Stimme der Dichterin. Die Art ihres Humors wäre noch hervorzuheben, gerade weil sie diskret ist und überhört werden kann: ein ihren Versen angeborener Unterton des sich Wunderns, sich Wundern hier verstanden als reservierte Anteilnahme, aus der sich Formen kritischer Empathie entwickeln. 

Andreas Koziol, Juli 2021

 

 

la deutsche vita: lady with the green umbrella (Text: Heike Willingham)

 

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin

 

Heike Willingham spricht ab Minute 2:11 über die Zeitschrift Herzattacke, in der sie Mitherausgeberin ist.

 

Heike Willingham liest am 8.3.2016 für planetlyrik.de Gedichte aus dem Band Supermoon.

1 Antwort : Heike Willingham: vom fegen weiß ich wird man besen”

  1. Gruß an Heike Willingham aus Athen, aus der nahen Ferne, aus dem Gedicht das niemals errötet, es sei denn vom Sonnenuntergang, oder sei es darum vom Sonnenaufgang. Nachlesen in Gedanken verweilen manchmal ein Wort zuviel wird nicht mehr gespürt und dennoch daran gedacht hatto

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