Oskar Loerke: Sämtliche Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Oskar Loerke: Sämtliche Gedichte

Loerke-Sämtliche Gedichte

LEITSPRUCH
November 1940

Jedwedes blutgefügte Reich
Sinkt ein, dem Maulwurfshügel gleich.
jedwedes lichtgeborne Wort
Wirkt durch das Dunkel fort und fort.

 

 

 

Im Wald der Welt

– Zu Oskar Loerke. –

… Am Ende bleiben Bilder, von denen man nicht lassen möchte, deshalb noch einmal:

Es knackt im Holz:
Ein alter Wald geht durch das Haus.

In Loerkes Der Wald der Welt, ein Bild das auf Fouqué zurückgeht, gibt es nicht wenige dieser magischen Wendungen zu entdecken, oft gut verborgen und wie verhangen von einer Tarnkappe aus Rhythmus und Klang. Manche Gedichte wirken auf diese Weise wie rhetorische Skulpturen, die man lange rätselnd belauschen kann. Schwer abzuschütteln auch jene Bilder von eher monströser Eigenart:

An Wurzel und an Stengel
Hunderttausend Engel
Im Larvenstand der Ewigkeit.

Oder Verse wie „Die Beigesetzten sind vergessen / Ihr abgespeistes Licht loht draußen fort.“ Loerkes eigene Angst vor dem Vergessenwerden, wofür er schon zu Lebzeiten Anzeichen sieht, ist auch in die späten, bis heute kaum beachteten und hier in ihrer Gesamtheit erstmals zu entdeckenden Gedichte eingeflossen. Es sind vor allem jene Gedichte mit Widmung oder Zueignung, die einen anderen, neuen Ton anschlagen und dabei zu einer ungewohnten Schlichtheit vordringen – bis hin zu jenem Gedicht mit der Orangenschale, das mich in seiner klaren Sinnlichkeit an die stärksten Verse von William Carlos Williams erinnert:

Von einer bitteren Orangenschale
Ein wenig auf die Fingerkuppen reiben,
Man mags, mein eingedenk.
„Gedenkzeit“

Aber die Fundstellen sind weit gestreut, angefangen bei den frühen Gedichten bis hin zu jenem Epitaph mit der Orangenschale. Loerkes Werk ist ein Bergwerk mit unterirdischen, nie ganz zu Ende denkbaren Gängen und Winkeln, in denen die Schätze nisten. Und wie gut wäre es, wenn wir ihn so ansehen und lesen könnten: als Schatzgräber, die hoffen dürfen, alle paar Seiten auf etwas Unvergleichliches zu stoßen, das auch im Licht und nach langem Anschauen nicht verblaßt, im Gegenteil. Es bräuchte nur etwas Geduld, etwas Gelassenheit und etwas vom leisen Fieber des Schatzgräbers, dem geflüstert wurde, daß diese Stelle genau richtig wäre, um zu Graben.

Lutz Seiler, aus dem Vorwort, 2010

Nachwort

„Ich hatte mein Erleben heimzuleiten in die Form seiner Existenz durch Sprache“, schreibt Loerke 1934 im Nachwort zu seinem Gedichtband Der Silberdistelwald. … Aber was Loerke ‚Existenz durch Sprache‘ nennt, was er als die durch Sprache ermöglichte Wirklichkeit seines Erlebens anstrebt, wird ihm erst existent und wahr in der Form des Gedichts. Die Lyrik ist das Hauptwerk, ist überhaupt erst das Werk.
Diese Ausgabe enthält zunächst die sieben Gedichtbücher, deren öffentliches Erscheinen Loerke noch begleiten konnte: Wanderschaft (1911) – Pansmusik (1916) – Die heimliche Stadt (1921) – Der längste Tag (1926) – Atem der Erde (1930) – Der Silberdistelwald (1934) – Der Wald der Welt (1936). Als er sich beim vierten Buch zu dem Titel ‚Der längste Tag‘ entschloß, kam ihm der Gedanke, den Band als Mittelstück einer Einheit von sieben Gedichtbüchern zu behandeln, allerdings wohl kaum in der Absicht, sich mit diesem ‚Siebenbuch‘ aus der Öffentlichkeit zu verabschieden. Das aber wurde 1936 unvermeidlich. Schon der Silberdistelwald bewegt sich nicht nur in dem Zyklus Die Verstoßenen (Dichter aus dem Dreißigjährigen Kriege) an einer Grenze, der Wald der Welt läßt dann in einigen Gedichten kaum verschlüsselt erkennen, was Loerke im dritten, vom Erfolgsrausch bestimmten Jahr der NS-Diktatur Zum Abschluß meiner sieben Gedichtbände schreiben wird:

Nun, geh mein Siebenbuch, gesellt
Den Trümmern, dem Gerölle;
Begonnen in der lieben Welt,
Vollendet in der Hölle.

Die sieben Gedichtbücher sind in einem Rhythmus von vier bis fünf Jahren entstanden, nur das letzte, der Wald der Welt, folgt dem Silberdistelwald im Abstand von zwei Jahren. Es ist nicht das letzte. Was in bisher nicht recht übersichtlicher Anordnung als Gedichte aus dem Nachlaß herausgegeben wurde, ist ein Spätwerk von eigenem, starkem Gewicht. Loerkes Produktivität war ungebrochen. Am 21. Februar 1941, dem Tag vor seinem Tode, schreibt er das Helene Grell gewidmete Poem „Unsere Schuhe“, eines seiner schönsten Gedichte. In den vier bis fünf Jahren, die ihm seit dem Wald der Welt noch geblieben waren, der Zeiteinheit, in der sonst ein Band zustande kam, entstehen noch einmal fünf erkennbare Gruppen von Gedichten:

1938 Der Steinpfad, zwanzig numerierte Gedichte (es ist der Steinpfad in Loerkes Frohnauer Garten)
1939 Kärntner Sommer, zwanzig mit Titeln versehene Gedichte; beide Bändchen werden als Privatdruck (V.O. Stomps) unter Freunde und gute Nachbarn verteilt
1940 Der Gast von Altheide, eine nicht ganz einheitliche Sammlung von mehr als fünfzig Gedichten, die er einigen wenigen Freunden wie Helene Grell und Wilhelm Lehmann zugänglich macht.
Zwei weitere Gruppen, in dieser Edition zusammengefaßt unter Zueignungen, Widmungen, Grüße (1937–1941) und Die Abschiedshand (1940–1941), wurden erst durch den 1949 von Hermann Kasack herausgegebenen Nachlaßband bekannt, der den gesamten Nachlaß unter diesem Titel veröffentlicht hatte.
Das Wort ‚Katakomben‘ taucht in diesem Spätwerk zu Recht auf. Ein Jahr vor seinem Tode bestimmte Loerke für seinen dem Siebenbuch folgenden Nachlaß:

Auch die seit dieser Gedichteinheit entstandenen Gedichte – es wären vielleicht zwei Bände im Umfang der sieben veröffentlichten – bitte ich in Abschriften an zwei oder drei Stellen zu verwahren. Vielleicht kommt einmal der Zeitpunkt, an dem die Veröffentlichung lohnt. Ich schlage vor, die sieben gedruckten Bände einmal, wiederum, wenn die Zeit gekommen ist, in einem dicken Einzelbande zu bringen, mit meinem Aufsatz über diese Gedichte als Vor- oder Nachwort…

Uwe Pörksen und Wolfgang Menzel, aus dem Nachwort, 2010

 

Ein neu zu hebender Schatz:

die Gedichte Oskar Loerkes in einer bibliophilen Neuausgabe.

Oskar Loerke gehört zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Seine Gedichte werden in Anthologien unter den Stichworten Expressionismus, Naturdichtung oder Innere Emigration abgedruckt. Doch wird diese Reduktion der thematischen Vielfalt und dem Formenreichtum seiner Dichtung nicht gerecht, die weite geschichtliche, mythologische und geographische Räume umgreift. Ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Welt erfährt in der NS-Zeit einen tiefen Riss, der auch durch offen eingestandene Wut und Verzweiflung am Weltzustand nicht mehr zu heilen ist.

Loerkes Hauptwerk, seine Lyrik, ist seit Jahrzehnten vom Markt verschwunden. Diese Ausgabe enthält seine sieben Gedichtbücher, deren Veröffentlichung er noch selbst betreut hat, von Wanderschaft (1911) bis Wald der Welt (1936). Das seiner Verzweiflung und Erkrankung abgetrotzte, erstaunlich kohärente Spätwerk (1937–1941) schlägt Töne an, die bisher noch kaum eine Öffentlichkeit gefunden haben. Hinzu kommen Essays, die sich unmittelbar auf seine Dichtung beziehen.

Die Herausgeber haben die Textgestalt gründlich überprüft und das Spätwerk neu gegliedert. Ein Glossar ungebräuchlicher Begriffe erleichtert den Zugang zu den Gedichten. Lutz Seilers einleitender Essay lässt das Werk aus dem Blickwinkel eines Kollegen der jüngeren Generation lebendig werden.

Wallstein Verlag, Ankündigung, 2010

 

Eine längst fällige Wiederentdeckung

− Das lyrische Werk von Oskar Loerke. −

Oskar Loerke (1884–1941), Sohn eines westpreußischen Ziegelei- und Hofbesitzers, gehört zu den wirkungsmächtigsten deutschen Lyrikern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Obwohl ihm das große Publikum versagt blieb, haben seine Verse später viele Autoren nachhaltig beeinflusst. Mit seinen formstrengen und von großer Bildlichkeit geprägten Gedichten wirkte er wegbereitend für die deutschsprachige Naturlyrik seit den 30er Jahren.
In seinen knapp 57 Jahren hatte der Dichter ein überschaubares Œuvre hinterlassen. Loerke begann seine literarische Laufbahn zunächst mit Erzählungen, ehe er seine Naturverbundenheit in Gedichten ausdrückte. Seine Gedichte stehen an der Schwelle zwischen expressionistischer und surrealistischer Naturbetrachtung und sind zwischen Rilke und Benn angesiedelt. Die Beschränkung auf den Naturlyriker (dieses Etikett wies Loerke immer selbst von sich), wird ihm aber nicht gerecht. Vielmehr ist er ein Dichter, dem kein Thema fremd ist, und so besitzen seine Gedichte eine große Spannweite.
1926 wurde Oskar Loerke Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, 1928 Sekretär der Sektion für Dichtkunst. Doch nach fünf Jahren musste er seinen Posten in der Akademie wieder aufgeben. Fortan litt er schwer unter dem Regiment der „Totengräber Deutschlands“. Für Loerke war es eine entsetzliche Zeit der Leiden und Demütigungen, daher zog er sich immer mehr in die innere Emigration zurück. 1941 verstarb er in Berlin an einem Herzleiden.
In den letzten Jahrzehnten ist der Dichter und sein Werk weitgehend in Vergessenheit geraten. Schon Hermann Hesse hatte sich darüber empört, dass das „Volk der Dichter und Denker“ einen Mann dieses Ranges „unerkannt, ungenutzt und ungeehrt hat leben, arbeiten und sterben lassen“. Nun bietet die zweibändige Ausgabe seiner Sämtlichen Gedichte aus dem Göttinger Wallstein Verlag eine äußerst willkommene Gelegenheit, sich mit der Dichtung Loerkes vertraut zu machen.
Die Ausgabe enthält seine sieben Gedichtbände, die meist als Zyklen angelegt sind und deren Veröffentlichung Loerke noch selbst betreut hat. In seinem ersten Gedichtband Wanderschaft (1911) versammelte er Gedichte der zurückliegenden Jahre (bis 1907). Sie spiegeln vor allem das Verhältnis zu seiner westpreußischen Heimat wieder. Bereits hier, wie in Pansmusik (1916), wird der thematische und strukturelle Schlüssel für sein späteres Gesamtwerk sichtbar. Der erste Band der Sämtlichen Gedichte bringt weiter die Gedichtbände, die nach dem Ersten Weltkrieg und in den späten 20er Jahren erschienen: Die heimliche Stadt (1921), Der längste Tag (1926) und Atem der Erde (1930). Dabei betrachtete Loerke seinen vierten Gedichtband Der längste Tag als Mittelstück seiner sieben Gedichtbände, die für ihn eine Einheit darstellten.
Der Band 2 beginnt mit den beiden Gedichtbänden Der Silberdistelwald (1934) und Der Wald der Welt (1936), die Loerke trotz des Verbotes seiner Werke durch die Nationalsozialisten veröffentlichte. „Ich hatte mein Erleben heimzuleiten in die Form seiner Existenz durch Sprache“, schrieb Loerke 1934 im Nachwort zu seinem Gedichtband Der Silberdistelwald. Die Gedichte aus dieser Zeit sind ein gewisser Gegenpol zu Avantgarde und Neuer Sachlichkeit dieser Jahre; darüber hinaus sind sie aber auch eine Gegenkraft zur nationalsozialistischen Dichtung.
Bisher wurde angenommen, dass Loerkes lyrische Stimme nach diesen beiden Gedichtbänden erschöpft war, doch die zweibändige Gedicht-Ausgabe macht mit einem umfangreichen Spätwerk bekannt. Den Abschluss bilden verschiedene Essays Loerkes zu seinen Gedichtbüchern. Neben einem Vorwort („Im Wald der Welt. Zu Oskar Loerke“) von Lutz Seiler wird die lobenswerte Edition durch einen umfangreichen Anhang (u.a. mit einem Nachwort der Hrsg. Uwe Pörksen und Wolfgang Menzel) komplettiert.

Manfred Orlick

Das Radikale und Konservative sind in der Kunst eins

− Mehr als ein Naturlyriker und im Widerstand gegen die Nazis keineswegs unpolitisch: Der Dichter Oskar Loerke wird in einer zweibändigen Ausgabe wiederentdeckt. −

Von diesem Dichter kann man die Kunst der Selbstbehauptung lernen. Oskar Loerke (1884–1941), der lyrische Solitär aus Westpreußen, hat den ästhetischen wie politischen Ernstfall erlebt, als der nationalsozialistische Machtstaat nach dem Januar 1933 alle Institutionen des freien Denkens zerschlagen wollte. Seine Biografie ist ein respektgebietendes Beispiel für eine Poetik des subtilen Widerstands unter den Bedingungen der Diktatur. Die Literaturgeschichte hat Loerke zum braven Naturlyriker verkleinern wollen, der sich wie viele Autoren der „Inneren Emigration“ zu einer Ergebenheitsadresse an die Nazis hat hinreißen lassen.
Zwar kann man Loerke eine Unterwerfungsgeste anlasten, als er nach seiner Entlassung als Sekretär der Preußischen Akademie der Künste im April 1933 ein „Gelöbnis treuer Gefolgschaft“ an Adolf Hitler unterzeichnete. Aber diese Unterschrift leistete er auf Druck seines Verlegers Samuel Fischer, der seinen Verlag in seiner Existenz bedroht sah und durch das Treugelöbnis an den „Herrn Reichskanzler“ sein Lebenswerk vor dem Untergang retten wollte. Das erzwungene Gelöbnis hat Loerke, der als Lektor im S. Fischer Verlag arbeitete, in der Folge schwer belastet, hat aber nie seinen Willen zum Widerstand gebrochen. Sein Gedichtband Der Silberdistelwald erschien 1934, ein glänzendes Beispiel für den Versuch, ästhetische Autonomie gegen die Politik der Gleichschaltung zu behaupten. Dieser Versuch Loerkes, die künstlerische Freiheit gegen die Diktatur zu verteidigen, ist bislang kaum gewürdigt worden. Nun hat der nimmermüde Freiburger Literaturentdecker Uwe Pörksen gemeinsam mit dem Karlsruher Literaturwissenschaftler Wolfgang Menzel und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung einen kühnen Versuch zur Wiederaneignung dieses großen dichterischen Werks initiiert. In einer zweibändigen Ausgabe im Wallstein Verlag haben Pörksen und Menzel Sämtliche Gedichte Oskar Loerkes gesammelt und mit kundigen Anmerkungen versehen.
In einem instruktiven Vorwort zeigt Lutz Seiler, dass Loerke seine Weltordnung absolut nach dem „Einsamkeitsgeräusch“ der Bäume und Wälder ausgerichtet hat, die das Zentralmotiv seiner Gedichte bilden. Und dennoch ist Oskar Loerke alles andere als der Dichter der „Naturmagie“, als den ihn viele Exegeten etikettieren wollten. Im Gegenteil: Loerke hat nach 1933 vor allem in seinen Tagebüchern, aber auch in seinen Gedichten, die oft in mythische Bilder gefasste Kritik an der Nazi-Diktatur immer weiter verschärft. Der Band Der Silberdistelwald, das wirkungsmächtigste seiner insgesamt sieben Gedichtbücher, enthält keineswegs nur unpolitische Rühmungen einer ins Kosmisch-Erhabene gerückten Naturherrlichkeit, sondern auch tief fatalistische Beobachtungen in einer vom Schrecken verheerten Gegenwart. Das Gedicht „Genesungsheim“ vergegenwärtigt zum Beispiel auf drastische Weise die Tortur von Geschlagenen und Versehrten. Der gedemütigte „Krüppel“ wie der zum Schweigen gebrachte Geknebelte – sie alle repräsentieren die Opfer eines grausamen Machtstaats. Ihr Vergehen: Sie haben an einer Position der Aufrichtigkeit und des Gewissens festgehalten:

Warum haben Jauche-Humpen
Dort jenem die Augen verbrannt ?
Sie haben einen Lumpen
Einen Lumpen genannt.

Warum schweigt dieser im Knebel?
Weil sein Gewissen schrie!
Wes Kopf sprang zum Reiche der Nebel?
Dessen Gurgel vor Ekel spie!

Gewiss: Es sind keine agitatorischen Verse, die der seit 1903 in Berlin lebende Loerke der Diktatur entgegenschleuderte, sondern formstrenge Denkbilder, Parabeln, Beschwörungen. In seinem Essay „Vom Reimen“ (der leider nicht in der Ausgabe enthalten ist) begründet Loerke den Reim als „etwas Geselliges: er gesellte Laute, Dinge, Leiden, Glückseligkeiten, ganze Seelen und Herzen, oft von weit her“. Die Disharmonien der Welt sollen in Formvollkommenheit aufgehoben werden. Loerke war ein Konservativer, der in seinen Gedichten die schöne Ordnung der Dinge bewahren wollte – als Fundament einer humanen Welt. Aber ist nicht jeder Dichter, der seine Aufgabe ernst nimmt und sich auf die sorgsame Arbeit an seinem Material verpflichtet, ein Konservativer? Loerke hat für diesen Zusammenhang eine großartige Formulierung gefunden, die er bereits 1912 in seinem Essay „Das alte Wagnis des Gedichts“ niedergeschrieben hat, als sich seine Generationskollegen noch in taubem Expressionisten-Pathos für den „neuen Menschen“ verzehrten. „Das Radikalste und Konservativste“, so Loerke, „bilden in der Kunst keinen Gegensatz, ja, wenn man Lust hat, ein Paradox gelten zu lassen, so sind sie dasselbe.“
Die Zumutungen der nationalsozialistischen Literaturpolitik haben den Dichter schließlich doch zermürbt. Sein Herzleiden verschlimmerte sich, als die Nazis die Publikationsmöglichkeiten des S. Fischer Verlags weiter einschränkten. In einer testamentarischen Verfügung hielt er fest, dass die „feindlichen Handlungen“ der Machthaber seinen baldigen Tod herbeiführen würden. Bevor er am 24. Februar 1941 im Alter von 56 Jahren in Berlin starb, hat Loerke einen „Leitspruch“ verfasst, der seine Poetik des Widerstands in vier gültigen Zeilen zusammenfasst:

Jedwedes blutgefügte Reich
Sinkt ein, dem Maulwurfshügel gleich.
Jedwedes lichtgeborene Wort
Wirkt durch das Dunkel fort und fort.

Michael Braun, Badische Zeitung, 12.2.2011

In leicht veränderter Form unter dem Titel Das alte Wagnis des Gedichts erschienen in Ostragehege, Heft 62, Juni 2011

Duft einer bitteren Orangenschale

Wenn von großen, verkannten Dichtern die Rede ist, fällt auch der Name Oskar Loerke (1884–1941). Man könnte ihn den Berühmtesten unter den Verkannten nennen. Seine Gedichte stehen in allen Anthologien. Sein „Siebenbuch“, wie der Dichter die Summe seiner Gedichtbücher nannte, gilt als ein Massiv deutscher Landschafts- und Naturlyrik. Loerke fand die schöne Prägung vom „Grünen Gott“, und doch hat die gegenwärtige Lust am Grünen das Interesse an seiner Poesie nicht beleben können.
Schlechte Zeiten für Lyrik waren noch schlechtere für Loerke. Nur einmal, 1934, an seinem Fünfzigsten, schien das Blatt sich zu wenden. Der Jubilar, der als S. Fischer-Lektor den Prominenten ihre Manuskripte korrigierte, wurde mit Artikeln und Glückwünschen überhäuft. Gerhart Hauptmann nannte ihn „treu wie Gold“ und ließ ihm aus dem Adlon Champagner schicken. „Der Ruhm ist ungeheuer“, schrieb Loerke überglücklich ins Tagebuch:

Ich muß nun die Überzeugung behalten, daß meine Verse nicht untergehen werden, bevor sie ihre Wirkung getan haben.

Freilich waren vom eben erschienenen Gedichtband. Der Silberdistelwald ganze vierhundert Stück abgesetzt, die Hälfte davon Freistücke. Doch Loerke lebte in der Hoffnung:

Ob gehört, ob nie gelesen,
Hat nichts über uns entschieden.

Das letzte Gedicht schrieb er drei Tage vor seinem Tod im Februar 1941.
Nach 1945 gab es immer wieder Versuche, dem Dichter zur angemessenen Würdigung zu verhelfen. Wilhelm Lehmann warb unermüdlich für den Freund und Kollegen. Der Suhrkamp Verlag brachte eine zweibändige Werkausgabe, später auch Sammelbände der Gedichte; zuletzt in den achtziger Jahren. Dann verlor er offenbar die Lust, Loerkes Werk weiter zu pflegen. Höchste Zeit also für einen neuen Versuch, Loerke seinen Platz im Bewußtsein der Gegenwart zu verschaffen.
Uwe Pörksen und Wolfram Menzel haben Loerkes Sämtliche Gedichte in zwei schön gemachten grünen Bänden gesammelt und einen jungen Dichter für den einleitenden Essay gewonnen. Lutz Seiler, der im Wilhelmshorster Huchel-Haus lebt, ist selber ein Lyriker von Landschaft und Natur. Er scheint berufen, Loerke aus der naturmagischen Ecke herausholen und als Dichter einer „dingegroßen Welt“ zu verstehen, wie Loerke sich selbst sah. Ihm fallen in seiner sensiblen Lektüre vor allem die Bäume und Wälder bei Loerke auf – eben Loerkes „Wald der Welt“:

Eine Parallelwelt, in der alles gefunden werden kann, Musik, Lektüre, Geschichtsschreibung, die eigene Stimme sogar und daneben auch Güte und eine Gnade.

Loerke gehört zu den Dichtern, für die die poetologische Reflexion ebenso wichtig war wie das Gedichteschreiben selbst. So enthält die Ausgabe neben sämtlichen Gedichten so berühmte Essays wie die Akademie-Rede „Formprobleme der Lyrik“ (1928) und den Rundschau-Aufsatz „Meine sieben Gedichtbücher“ (1936). Der erste Text erschien in der Nazi-Zeit noch einmal als „Das alte Wagnis des Gedichts“. Er mußte sich merkwürdige sprachpuristische Eingriffe gefallen lassen. So wurde „Polemik“ durch „Streit“ ersetzt, „Vision“ durch „Einschau“ oder „Nomenklatur“ durch „Rufnamen“. Der schöne und lapidare Kernsatz einer modernen Poetik „Es gibt in der Lyrik keine anderen Probleme als Formprobleme“ wurde zeitkonform aufgeweicht zu:

In der Lyrik zeigen sich alle Lebensfragen als Fragen der Form.

Die Ausgabe bringt die unverfälschten Originale und verweist auf solche Details im knappen, überaus nützlichen Anmerkungsapparat.
Sie dokumentiert zudem in einer Zeittafel Loerkes Vita, vor allem die „Jahre des Unheils“, wie sein Tagebuch die Jahre der Naziherrschaft nannte. 1933 wurde Loerke aus dem Amt des Sekretärs der Preußischen Akademie entfernt. Auf Wunsch Samuel Fischers, der um seinen Verlag fürchtete, unterzeichnete er das sogenannte „Treuegelöbnis vor dem Führer“. Trauer, Scham, Depression waren für Loerke die Folge. In seinem Testament bat er die Freunde darum, jeder Behauptung entgegen zu treten, er sei an einer Krankheit und nicht an den politischen Zuständen gestorben. Auf den November 1940 datierte er seinen stoischen „Leitspruch“:

Jedwedes blutgefügte Reich
Sinkt ein, dem Maulwurfshügel gleich.
Jedwedes lichtgeborne Wort
Wirkt durch das Dunkel fort und fort.

Vielleicht sollte der mit Loerke weniger vertraute Leser mit dem Spätwerk beginnen, mit dem Steinpfad, dem Karntner Sommer, den Gedichten der Abschiedshand. Er findet dort einen ebenso zarten wie widerständigen Geist, der von seinem „Berge versetzenden Glauben“ an Natur und Poesie spricht und seine geliebten „Zeitgenossen vieler Zeiten“ beschwört: Bach, Bruckner, aber auch Friedrich Rückert. „Mit Rückerts Gedichten“ beginnt:

Was rufst du mich in dieser Zeit? –
Verhülle mich mein Sterbekleid!

Ihr Herz ist Kot, verjaucht ihr Hirn,
Was hebt sich noch das Taggestirn?

Der Loerke-Kenner stößt auf politische Töne von einer unvermuteten kompromisslosen Schärfe. In der Folge „Fegefeuer“, die in den früheren Ausgaben fehlte, heißt es:

Ergrimme nicht, wenn nach den neusten Sitten
Dich Massenmörder gern erziehen wollen.
Nur sorge, daß sie unter deinen Tritten
Zur Hölle, kräftig angespieen, rollen.

Dieser derb-innige Herzenswunsch wurde Loerke erfüllt, freilich nicht zu seinen Lebzeiten. Anders steht es mit Loerkes Ruhm, für den er sich die denkbar diskreteste Form ersehnte. Lutz Seiler spielt darauf an, wenn er uns am Schluß seiner Einführung zum Erinnern animieren möchte. Es sind Zeilen aus Loerkes „Gedenkzeit“:

Von einer bitteren Orangenschale
Ein wenig auf die Fingerkuppen reiben,
Man mags, mein eingedenk.

Um diesen Geruch tief zu empfinden, muß man lange und genußvoll in dieser grün illuminierten und unerschöpflichen Gedichtausgabe gelesen haben.

Harald Hartung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.7.2011

 

Ungehobener Schatz

− Zu Oskar Loerkes Gedichten. −

Verglichen mit den beiden anderen Versmeistern, George und Rilke, ist Loerke die große Natur. Auch im höchsten Geistesflug verliert seine Dichtung nicht die Empfindung der irdischen Nähe. Ihre sicht-, hör-, schmeck- und tastbaren Qualitäten gingen in sein Werk notwendig ein. Ohne sie vermöchte er sich nicht zu äußern. Sich sagen heißt ihm die Dinge sagen, sein und ihr Eigentümlichstes. Sieben Salze braucht es, Meereswasser zu bereiten. Sieben Salze einigen sich, das zu erschaffen, was wir unter Natur verstehen. Sie treten in verschiedener Stärke, in verschiedenem Kräfteverhältnis auf. Ohne wenigstens einige von ihnen kommt kein Dichter aus. Rilke spritzte sie in verdünnter Gabe seinen Unsichtbarkeiten ein. Loerke dienen sie alle mit dem Gleichmut der Schöpfung. Daher gespenstert kein unsäglicher Hintersinn durch sein Werk. Es strahlt einen klaren Sinn aus, indem es dichterisch Goethes Rat an den Forscher folgt: „Man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre.“
Weil er eine Natur ist, blieb er unbekannt. Denn wohin entschwand dieses Element Natur, das seinen Widerpart im Empfänger seiner Dichtung sucht? Wohin verflüchtigen sich jene Salze? Sprach Goethe schon von „der modernen kombinatorischen Mystik, die jede Art von Anschauung zugrunde richtet“, wie soll heute eine schwache Natur im Kreuzfeuer der Zumutungen, die alle möglichen Instanzen an sie stellen, im Wirrwarr der Meinungen, dem Angebot von Weltanschauungen, dem Lärm des Kulturgeschwätzes gegenüber, bei unklugem Gebrauch des Rundfunks, der ihr vorspricht, was für modern zu halten sei, des Films, der, weit entfernt, sie sehen zu lehren, das Sehen zerstört – wie sollte hier Natur Natur bleiben oder gar, seit wir die allererste im Paradiese lassen mußten, zweite werden können? Entwindet „man“ ihr nicht das Erbteil, eifert sie selbst, es umzutauschen gegen eine erlogene Geistigkeit, und versäumt keinen Diskussionsabend, wird doch hier nichts Geringeres als die Weltlage beredet, nur um nicht Zeit zu finden, sich einmal eines einzigen Gedichts richtig zu bemächtigen, richtig, das heißt nicht als eines Ersatzes für irgend etwas anderes.
Da der heutige Mensch nicht mehr mit den Phänomenen selbst, sondern mit „Illustrierten Blättern“ umgeht, vermag er auch nicht mehr, Sprache über den Zweck des Tägigen hinaus als authentische Urkunde zu vernehmen, erfährt er nicht mehr, daß das dichterische Wort in gespanntem Augenblick, als Frucht aber einer geduldigen Bildung, nicht Schatten des Dinges ist, sondern an dessen Armut und Üppigkeit, Ruhe und Unruhe, Ein- und Vielfalt teilnimmt, daher mit der Teilnahme an den Phänomenen welkt. Mit den Sinnen stumpft der Sinn. Aus einem sonderbaren Mißverständnis, an dem die Pseudopoesie mit Schuld trägt, glauben viele, die Poesie halte sich in vornehmem Abstand die „gewöhnlichen“ Dinge vom Leibe, wende sich nur an Ausnahmegeschöpfe und sei dem gemeinen Manne nur in schwacher Lösung, für den Sonntag zurechtgekocht dienlich. Ein Gerücht verbreitete sich, poetisch bedeute ungenau. Auf die Dinge wie auf die Worte hat sich ein allgemeiner poetischer Dunst niedergeschlagen. Ihn vermag man nicht zu durchdringen. Also liest man „Baum“, sobald dies Wort im Gedicht erscheint, nicht als Baum, sondern als Allegorie des Wachstums. Man will nicht begreifen, daß Dichtung im Grunde nichts anderes tut als resolut die Dinge beim Namen rufen. „Die Dinge sind, wie sie sind; wer gut zu sehen wüßte und zugleich einen reichen, genau unterscheidenden Wortschatz besäße, müßte mit dem Namen eines Dinges immer alles gesagt haben.“ Daß der Dichter diese Namen findet, macht ihn zum Poeten, denn die Dinge kommen nur auf ihren richtigen Namen herbei: dieser muß so gut sitzen wie das Homerische „gliederlösend“ dem Schlaf. Das wahre Wort entdeckt nicht nur, es ändert, es zeugt. Virgil weiß: „Carmina vel coelo possunt deducere lunam“, und Wäinamöinens Spruch singt die Fichte und den Mond und das Schiff aus der Imagination in die Wirklichkeit hinein.
Das sei ehemals gewesen, das sei vorbei? Der Dichter veraltet? Mit dem Wesen der Elemente vertraut, ist er in der Tat ein homo archaicus, insofern mit der Dichtung die eigentliche Welt in der Tat allemal wieder anfängt. Frühe, vormenschliche, vorgrammatische Zustände verbergen sich ihm nicht, und er mischt sie späterer Vergeßlichkeit bei, um den Riß zwischen Einst und Jetzt zu heilen und eine Ahnung geheimnisreicher Zusammengehörigkeit zu erwecken. Daher ist die Dichtung immer jung und reif zugleich, als Kraft stets Gegenwart, denn es ist im ganz lebendigen, gespannten Menschen stets alles zugleich vorhanden und schließt solche Gegenwart Vergangenheit und Zukunft in sich ein. Der Dichter schreibt also gerade nicht um die Dinge herum, sondern empfindet sie als ihm selbst geschehend und befestigt seine Ergriffenheit mit Worten, die den Respekt vor ihnen ausdrücken. Gibt der Hörer, der Leser sich die Mühe, in ein gelungenes Gedicht einzufahren, bereit sich hinzugeben, so bemerkt er zu seinem Erstaunen – und ist damit schon in der Verwandlung, im Dichterischen angelangt −, welcher Genauigkeit er begegnet. Im Buche Atem der Erde heißt es:

Auch unter dir die nahen Dinge kamen,
Die stummen, wie vor deinen Mund
Und bitten dich um neue Namen.
In ihnen machten sie dir selbst dich kund,

denn „Ein Falke hebt sich aus den Eichen: / Es ist kein deutbar banges Zeichen, / Es ist mein letzter offner Sinn“; „Der Herbst äst als der Vielzahn“; „Gelbe und rote Runen fallen“; „Den Sturm im Kiefernforst schnaubt ein Nüsternloch“; „Die Blätter sind wie tanzende Sandalen / An einem Tausendfüßigen aus Wind“.
Wem nicht gleich das Schönste glückt, ein Versgebilde von Anfang an als Melodie zu vernehmen, als rhythmischen Bann, dem mag es sich von der unverwandelten Materie, dem „Stoff“, her öffnen.
Zwar verbot man bei uns den Lehrern, die Schüler ein Gedicht als Erzählung in Prosa auflösen zu lassen; ob aber ein dauerhaftes Gebilde nicht solche Behandlung gesund übersteht? Die Behörde könnte sich auf den neunzehnjährigen Goethe berufen, der den „Zergliederer seiner Freuden“ tadelt, daß er die gefangene Libelle zu genau betrachte, nachdrücklicher auf jenes Xenion, demzufolge die Kommentatoren das ins Weite klauben, was die Dichter ins Enge gebracht, und das Wahre an den Dingen klären, bis niemand mehr daran glaubt – aber derselbe Goethe dankt einem Gymnasialdirektor als dem Ausleger der „Harzreise im Winter“, daß dieser „durch wenige Andeutungen geleitet, die Eigenheiten des Verhältnisses, die Wesenheit des Zustandes und den Sinn des waltenden Gefühls durchdringlich erkannt und ausgesprochen“ habe, dem Dichter selbst zur Verwunderung.
Nicht jeder Kommentator kann sich solcher Fähigkeit geistreichen Nachspürens rühmen. Sie ist aber wohl, heute zumal, nicht so notwendig wie diejenige der klaren Ausbreitung und Entwicklung des objektiven Tatbestandes; denn, so schrieb 1903 Moritz Heimann:

Während es früher den Feinsten vorbehalten blieb, hinter dem am objektiven Maßstab der Überlieferung und der Theorie kontrollierbaren Werk die Persönlichkeit des Verfassers durch Intuition zu gewahren, ist es jetzt so weit, daß die Pyramide auf der Spitze steht: heute weiß der Erste, der Beste alle Schlupfwinkel besonderer Seelen auswendig; und es vermag wohl so ein Allerspürsamster über das Wesen eines Autors nach einem Gedichte zu weissagen, dessen äußere dargestellte Situation er nicht versteht. Ein Erkennen des Letzten, bevor man das Vorletzte und was dem etwa noch vorangeht, erkennt.

Taugt ein Gedicht, so übersteht es auch einen groben Kommentar, eher geht es an zuviel „Poesie“ zugrunde. Wir zeichnen die Situation eines Gedichtes nach. Es heißt „Eine Stunde nur“ und findet sich im siebenten von Oskar Loerkes Versbänden, Der Wald der Welt, als drittes der Gruppe, die ihrerseits „Die Grundmächte“ betitelt ist:

Fährt ein Gott hier mit seinem Gespann,
Vor deinem Glück hält er es an.

Pfirsichblüte, Blüte wilder Pflaume
Schlüpft dir zwischen Zeigefinger und Daume.
Die Krümmen, denen er folgen muß,
Erfüllt bedacht und zart der Fluß
Und zaudert von Buhne zu Buhne.

Das es nicht weiß und tasten kann −
Deinem Glück hängt Fernstes an.

Verjüngte sich, was runzlig war und bärtig?
Die Vorzeit rauscht mit ihren Fahnen,
Ihre Stifter sind gegenwärtig −
Heute hast du keine Ahnen:
Ihr lest dieselbe Mondesrune.

Unterdes: der Grund zerrann.
Woher fährt es drohend an?

Ein Fratzenbild der Galion
Frißt in deinen Frieden schon,
Und ein Bug schlägt unten schwer
In ein gallengrünes Meer.
Schon schmerzt im Fleisch die Harpune.

Die Höhe der Empfindung erfand den Gott, in seiner Gelassenheit zur Ruhe zu gelangen. Wir bemächtigen uns der Erscheinungen nur, soweit wir an ihnen ein uns Gleiches entdecken.

Weil der [der Geist] uns anders nicht erreicht,
Ergreift er, was an uns ihm gleicht.
Wir dienen, sollen wir nicht dienen.
Kein Gott ist anders je erschienen.

heißt es im zweiten Gedicht der Gruppe „Die ehrwürdigen Bäume“ im gleichen Bande. Also ist dem Gott mindestens die Gabe der Verwunderung eigen und hält sein Gespann vor einem von uns, den er glücklich sieht. Glücklich worüber? Versunken über Blüten, elastisch weichen, die er durch seine Finger zieht, wie der Fluß sein Wasser die Ufer entlang, die Böschungen der Dämmung, „bedacht und zart“. Mit ihm zieht das Fernste, das Weiteste herbei, so wächst, so schwillt die GIücksempfindung, und ohne es zu wissen, nur es zu fühlen, werde ich teilhaftig allen Anfanges, aller Geschehnisse, alles Aufbruchs, der Artusritter wie der Kreuzfahrer. Der Mond des ersten Menschen, Stifters der Vorzeit, leuchtet als mein Mond, der den Himmel ihnen und mir entziffert: „Heute hast du keine Ahnen“ –

Ägyptens Alter wird dir jung im Herzen,

und

Die Welt um dich ist wie dein Herz so alt,
Sie glaubt es dir, glaubst du ihr die Gestalt.

So in den Gedichten „Kleine Erzfigur des Osiris“ im Silberdistelwald und „Ararat“ in Der längste Tag. Aber schon naht der seligen Meditation das Ende. Ein feindlicher Bug rammt mein Schiff; nicht genug, eine feindliche Harpune durchbohrt mich.
Es führt kein direkter Weg ins Zentrum.

Der lange Umweg, den ich angetreten,
War doch der nächste Weg zu mir,

bescheidet uns „Der Krebsreiter“ im Bande Der längste Tag. Nur so wurden die vagen Zustände Glück und Unglück in innigem Zusammenhange konkret. Weil es schwindet, ist das Glück groß, und der Gott beneidet uns um unsere Vergänglichkeit, die seine Dauer nicht kennt.
In Loerkes Dichtung gibt es keine Hirngespinste, wie den Unaufmerksamen bedünken mag, und wiewohl sie Gestaltung der eigensten Eigentümlichkeit wie seines Stoffes ist, neigt sie nie zur Manier, die zur Beute der Nachahmer werden läßt.
Vergessen wir alles eben Gesagte. Doch dem vollendeten Gebilde droht keine Gefahr; denn jetzt naht es als rhythmischer Zauber, als sanfter Zwang. Langes Verweilen kündigt sich an, kurzes; die Stimme steigt, sinkt. Damit alles concinn sei, durchtönt es dreimallanggezogener Tubaklang. Beruhigend: Buhne; verweilend: Rune; schmerzhaft: Harpune. „Eine Stunde nur“, so teuer erkauft wie ihr Ausdruck.
Der Mensch wurde aus dem Paradies verstoßen, ausgeschlossen aus der Einheit mit allem. Aber daß er es wurde, öffnet ihm den Mund: er erinnert sich und wird darüber zum Dichter (womit wir bei einem anderen Gedichte desselben Buches, bei den Versen „Der gute Lohn“, angelangt wären).

Wilhelm Lehmann, 1951, aus Hans Mayer Hrsg.: Deutsche Literaturkritik der Gegenwart, Goverts Krüger Stahlberg Verlag, 1971

Im Wald der Welt

– Zu Oskar Loerke. –

Vielleicht verirrt er mich, der Wald der Welt,
Und doch ist er der Trost.

Oskar Loerke

1
Ich wurde am 13. März 1884 in Jungen, Kreis Schwetz an der Weichsel geboren. Mein Vater war dort Hofbesitzer und betrieb auch eine Ziegelei. In der Größe und Stille Westpreußens habe ich meine für das Leben entscheidenden Eindrücke empfangen.

So beginnt der Dichter Oskar Loerke, Ältester von sieben Geschwistern, eine kurze autobiographische Skizze, geschrieben 1934. In seinen sieben Gedichtbänden, dem „Siebenbuch“, wie er es nannte, kommen sein Vater, der erkrankt war und den Hof aufgeben mußte, und seine Mutter, die nach der Ausweisung aus dem polnisch gewordenen Westpreußen in Spremberg lebte, nicht mehr vor.

Ich darf die Weichsel meine zweite Mutter und den Himmel über den Ebenen und Hügeln am Strome meinen zweiten Vater nennen. Der zweite Vater hat mich bis heute begleitet, die zweite Mutter mußte ich daheim lassen in ihrem nordischen Lichte, doch in Traum und Wachtraum wird auch sie zur mächtigen Gegenwart, wo immer ich weile…

Schon an seinem Ursprung sieht sich Loerke als eine Art Weltkind, nah den Elementen. Ein niemals endendes Erstaunen über diese Elternschaft ist ein Quellpunkt seines Werks und Ausgangslage für viele Gedichte. Daß es sich dabei um ein umgekehrtes Adoptivverhältnis handelt, bei dem das Kind sich ein Elternhaus erwählt, in dem das Weltganze und Überzeitliche wie daheim ist, aber zugleich ein Mangel an Privatheit und persönlichem Umgang vorherrscht, prägt die Eigenart seines Schreiben.
Nur in seinem Roman Der Oger (1921), den Wilhelm Lehmann ein Buch „dostojewskischer Überfülle“ nannte, thematisiert Loerke die Geschichte seiner eigenen Familie und das Verhältnis zu seinem an Epilepsie erkrankten Vater. Das Buch, eine von Schrecknissen überbordende Spielart des in der Literatur der Zeit verbreiteten Vater-Sohn-Konflikts, wird angetrieben von der Suche nach einer Vatergestalt, während der tatsächliche, der vorhandene Vater nur als „Nicht-Vater“, als „große Puppe“ und als „ein wandelnder Stein, der manchmal umfiel“, vorkommt. Ein auf den Vaterhaß folgendes Schuldempfinden mag die Verschiebung eingeleitet haben: In Loerkes Gedicht ist es ein allgemeineres, fremdes Leid, das empfunden und durchlitten wird. Das fremde Leid wird dem Ich seiner Gedichte zu eigen gemacht und das ureigene Leid darin aufgehoben. Was hier als Umweg erscheint, ist die Disposition für ein großes dichterisches Werk.
Loerke absolviert das Königliche Gymnasium in Graudenz und kommt 1903 nach Berlin, um zu studieren: Literatur, Philosophie, Musik und vor allem Geschichte, nicht Medizin wie ursprünglich geplant. Von einigen Reisen abgesehen, wird er Berlin bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen. Noch vor Erscheinen seines ersten Buchs, der Erzählung Vineta im S. Fischer Verlag, bricht er sein Studium ab und versucht einige Jahre, als freier Schriftsteller zu leben. 1911 erscheint sein erster umfangreicher Gedichtband, Wanderschaft. Die letzte größere Veröffentlichung zu Lebzeiten kommt 1936 heraus und trägt den Titel Der Wald der Welt. In fünfundzwanzig Jahren also sieben umfangreiche Gedichtbücher, allein Wanderschaft enthält über hundert Gedichte. Außerdem entstehen ein Roman, Erzählungen, Reisebeschreibungen, poetologische Aufsätze, Porträts und monographische Essays über Bruckner und Bach; zu Hause musiziert Loerke selbst, am liebsten Schubert, Reger, Bruckner, Hugo Wolf – „ein wenig Bach gespielt“ oder „Heute nicht einmal Musik“, so steht es oft in seinem Tagebuch. Außerdem schreibt er Literaturkritiken für die Neue Rundschau und betätigt sich als Rezensent für den Berliner Börsen-Courier, mit beinah wöchentlich erscheinenden Beiträgen. Das ist viel, aber noch lange nicht alles.
1917 kommt Loerke, vermittelt durch seinen Entdecker und älteren Freund Moritz Heimann, als Lektor zum S. Fischer Verlag. Er hat dort mit Thomas Mann, Gerhart Hauptmann (dessen Werk er verehrt), Hermann Hesse, Alfred Döblin, Hans Henny Jahnn und vielen anderen Autoren seiner Zeit zu tun. Im Alter von 42 Jahren wird er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste und zwei Jahre später Sekretär der „Sektion für Dichtkunst“.
Seine Gedichte las ich zuerst im legendären Poesiealbum, einer Reihe mit Weltpoesie, die man am Zeitungskiosk für 90 Pfennig pro Stück erhielt, Loerke war Nr. 202. In meiner Studienzeit während der achtziger Jahre hatte man Loerke den „bürgerlichen Humanisten“ zugeordnet, einer in der DDR gut publizierten Spezies. Ich erinnere mich auch an zusammenfassende Bemerkungen bei Vorlesungen zur Geschichte der deutschen Lyrik: Loerke und Lehmann – Naturlyrik, naturmagische Poesie, etwas, wozu keine Extraseminare stattfanden wie zur „Lyrik des Expressionismus“ oder zu Stefan George, den der junge Loerke verehrte und auch in späteren Jahren noch mit Tränen in den Augen las.
Bis heute verstellt der Begriff des Naturgedichts oder der Naturlyrik den Zugang zur stärksten Traditionslinie der deutschen Poesie. Ursache hierfür ist nicht nur eine reduzierte, oberflächliche Auffassung von „Natur“, mit der weder Loerke noch Lehmann, weder Eich noch Huchel etwas hätten anfangen können, sondern auch ein abwertender Begriffsgebrauch („Natur“ – ein Gegenstand von gestern, „Naturlyrik“ – eine Dichtung von gestern), wie er in den sechziger Jahren Mode wurde, als man erneut begann, an den Kunstfortschritt zu glauben und als – in einer Art Gegenbewegung – der moderne Alltag ins Gedicht einzog, was bis in die achtziger Jahre hinein zu einer Lyrik von beispielloser Belanglosigkeit führte.

2
Wie kommt man heran an einen dieser Alten, deren Ton und Gangart auf den ersten Blick ganz fremd erscheint. Gar nicht, lieber nicht, wäre eine Antwort. Aber etwas hält einen fest, man hat schon begonnen zu lesen, man hat Notizen gemacht, man hat bereits Ja zu Loerke gesagt. Dieses Ja ist nun schon einige Jahre alt, seitdem lese ich Loerke und frage mich, was ich eigentlich begreife dabei, obwohl ich doch jedem, der mir nach einem Abend mit Gedichten sagen möchte, daß es aber doch sehr schwer gewesen sei zu verstehen, sofort erwidere, daß es nicht darum gehe, daß man zunächst einmal einfach nur hören solle, Rhythmus, Klang, eine Wendung, und dann: Nur ankommen lassen, was ankommt, falls etwas ankommt, und bloß nicht verkrampfen, eher genießen, wenn möglich. „Die Stimme Loerkes trifft mich (…), noch bevor ich verstehe“, schrieb Ludwig Greve und betont, daß ihn gerade dessen „Grundakkord“ fasziniert habe, „wie sich bei ihm das Vergangene auf uns, sagen wir, die Passanten, reimt“.
Hören, was ankommt, und genießen – zwei Methoden habe ich gefunden, die mir dabei helfen. Die erste ist sehr einfach: Seit einiger Zeit habe ich Loerkes Gedichte dabei, wenn ich auf Reisen bin. Wenn ich Lust und Gelegenheit habe, ziehe ich das Buch hervor, lese ein Stück und notiere sofort, gewissermaßen noch vor dem Verstehen, was mir einfällt. Seit dem vorletzten Sommer habe ich Loerke im Zug nach Coburg, im Flugzeug nach Toronto, in Neapel, Freiburg, Berlin, Klein-Gottschow und sonstwo gelesen. Die Ausbeute meiner Notizen ist nicht übel, und immer hat der Ort meines Lesens etwas dazugetan. Auf diese Weise entstand eine Art Lektüre-Tagebuch, in das die Umstände des Ortes und natürlich meine eigene Verfassung wie selbstverständlich einfließen konnten. Aber was könnte ich heute davon berichten?
Niemand, der Loerkes Werk ein wenig kennt, wird es überraschen: Es ist, als könne sein Gedicht nicht atmen, wenn der Wald nicht genannt wird oder nicht vorkommt in irgendeiner seiner Gestalten, als Laub, Schwinge, Geräusch. Selbst wenn in expressionistischer Manier von einer Eisenbahnfahrt die Rede ist („Die Häuser fliehen wie erschrocken…“), handeln fünf der neun Zeilen des Gedichts von Bäumen, nämlich jenen, die mit ihren Kronen die Gleise überwölben. Bei keinem anderen Dichter finden sich derart viele Bäume, sind der Baum und seine Bildwelt geradezu die Achse, um die herum das Gedicht gebaut ist, um die herum es sich dreht. Der Begriff des Naturgedichts liegt nah und bleibt doch ungeeignet, so lange er nicht erfaßt, was Natur in Loerkes Gedicht bedeutet: Nicht nur Abbildungen von Baum und Strauch, in denen die Welt der Gefühle sich spiegelt, sondern ein Ort der Begegnung, der Zeichengebung, der Selbstbestimmung. Und vor allem ein Ort der Harmonie mit einem Sein außerhalb der eigenen Gegenwart, eine Gelegenheit, das Zeitliche abzustreifen und das Zeitlose zu empfinden, ein Empfinden, das religiöse Züge trägt.

Jeder Baum ist Gott im Schlummer:
Alles Glück hängt jedem an
Überall der ganze Kummer,
Der auf Erden werden kann.

Und in allem wiederkehrend die Idee einer Welt hinter der sichtbaren Welt, die mit Licht, Klang, Rhythmus und Rauschen Zeichen gibt aus den Kronen der Bäume:

Wie durch schwere Zauberbücher
las mein Auge durch den Tann…

Für Loerke kann alles Natur sein: „Ich habe die Großstadt erlebt als ein Stück Natur…“, schreibt er 1926. Die immerwährende Empfindungsbereitschaft des Dichters macht auch die Tram und den Hinterhof zu Gelegenheiten, an denen das Naturmythische aufscheint, und selbst der Geist sei ja Natur, sagt er an anderer Stelle. Aber den Schritt, die Dualität aufzuheben im Betrachten und sein lyrisches Ich an erste Stelle zu setzen, geht er nicht. So elitär sich dieses Wesen, das empfindet und spricht im Gedicht, auch gibt, so erstarrt und wie gefangen steht es doch vor den heiligen Bäumen, den wehenden Bergen:

Mein Leben ist, ich schaue zu
Einem großen, kühlen Du…

Aber was genau bedeuten die Bäume in Loerkes Gedicht? Czesław Miłosz schreibt:

Wenn ich Bäume verehre, bin ich keine Ausnahme, Menschen haben das seit unvordenklichen Zeiten getan, und das Empordringen des Stammes aus dem Erdreich, wo sich die Wurzeln befinden, über unsere mittlere Dimension, bis hinauf zum Himmel, wo sich die Blätter wiegen, gab immer deutliche Kunde davon, daß die Teilung des Seins in drei Sphären richtig sei. Der Baum schrieb stets eine Göttliche Komödie darüber, aus den Höllen zu den höchsten Himmelskreisen aufzusteigen, lange bevor Dante seine Dichtung verfaßte.

Miłosz erinnert daran, daß im Grunde alle unsere Metaphern um die Erfahrungen von Berg und Tal, Dunkelheit und Licht, von Pflanzenwelt, Feuer und Wasser kreisen. Loerke „benutzte“ die Natur als sinnvollen Schauplatz, wollte aber eigentlich eine „bilderlose, dingegroße Welt“ im Gedicht und mied die Allegorie. Näher steht ihm ein Autor wie Françis Ponge, für den die Übertragung des Kiefernwalds ins Gedicht eine Art Überlebensübung darstellte in der Zeit der Resistance. Sein Notizbuch vom Kiefernwald, übersetzt von Peter Handke, hätte Loerke gut gefallen. Wie weit er und Ponge auch voneinander entfernt sind, sie finden doch beinah identische, der Bildwelt des Maritimen entlehnte Wendungen für die Poesie des Waldes. Und wie Loerke ist auch Ponge der Überzeugung, daß die Dinge selbst ins Zentrum der Schreibbemühung gehören und nicht, was darüber gefühlt oder gedacht werden könnte:

Wenn wir vertraut geworden sind mit diesen besonderen Räumlichkeiten der Natur, wenn sie dadurch erwacht sind zur Möglichkeit des Erstehens im Wort, dann geht es nicht bloß darum, daß wir in anthropomorpher Manier jenes sensuelle Vergnügen erfassen: dann geht es um ein ernsthaftes Verstehen.

Jonathan Franzens Bemerkung, Henry David Thoreau, der Autor von Walden oder Leben in den Wäldern, hätte ein sexuelles Verhältnis zu Kiefern gehabt, zielt in ihrer Provokanz auf eine Unmittelbarkeit, von der bei Loerke nicht die Rede sein kann. Aber ein vergleichbares Maß an Intensität findet sich doch auch bei Loerke, wenn er von den Bäumen spricht, was wiederum mit ihrer Stellung zwischen Erde und Himmel, zwischen oben und unten, zu tun hat. Und hier komme ich auf die erwähnte Elternschaft, jene Adoptiveltern zurück – kaum ein Gedicht, in dem sie nicht in irgendeiner Gestalt von Oben (der Himmels-Vater) und Unten (die Weichsel-Mutter, Erd-Mutter) anwesend sind und das Geschehen im Gedicht verräumlichen, dem Gedicht eine an Kathedralen erinnernde Architektur verleihen und eine Art Hallraum oder Herberge bilden für seinen Klang:

Von oben steigt Licht
Die Tannen wie schwarze Leitern herunter,
Von unten steigt das Gesicht
Des Erdgeists die Tannen herauf.

Natürliche Bindeglieder, Zeiger, Finger, Strömungsleiter und mitunter auch Kuppler in dieser Loerkeschen Weltordnung zwischen Unten und Oben, Oben und Unten sind die Bäume, sie stehen im Zentrum eines vertikalen Weltzusammenhangs, wie ihn das Weltkind sich erträumt: Beide Eltern da und zusammen, und dafür ist das Kind, in die Mitte genommen, ganz still – es staunt und gibt sich Mühe, ein Reim zu sein auf diese familiäre Harmonie, nicht zu stören jedenfalls mit der eigenen Unausgegorenheit, Bosheit vielleicht, Begierde, Müdigkeit, jener aktuellen, persönlichen Seite einer Ich-Aussprache, wie sie Loerkes Gedichte vermeiden:

Es zählt vor euch nicht, daß ich Schmerzen leide.
Es schweigt die Weide,
Wenn man zur Flöte sie schneidet und schält.
Doch daß ich leide und nicht meutere,
Und was ich mir draus läutere
Zum Zwiegespräch mit euch, es zählt.

Von oben nach unten und dann wieder nach oben: Simone Weil hat dieses Auf und Ab der Gnade beschrieben.

Sie rauschten was von tiefen Gnaden –
Meine lieben Kameraden!

Die Kameraden sind: Tannenbäume. Und was rauscht, sind die „Seelen im brausenden Baum“. Oder es ist das Geburtsgeräusch der Einsamkeit, jenes wundersame Geräusch, das die Rückkehr an den Ausgang einer als ureigen empfundenen Existenzweise erlaubt:

Als mir die Einsamkeit das Brausen
Das Brausen die Einsamkeit wiedergebar.
(„Die ehrwürdigen Bäume“)

In jedem Fall ist dieses Brausen ein Urklang der Musik. Und das Rauschen, das der Wind auf den Blättern der Bäume zeitigt (die wie „Zungen“ sind), ist Urgrund und Vorklang des Sprechens: Das ist Loerkes eigentliches Faszinosum, und ich möchte behaupten, daß viele seiner Verse damit angefangen haben, vom Ohr her und mit einem Ohrvertrauen.
Mit dieser Einsicht und dem Wissen darum, daß das eigene Schreiben nicht weniger vom Ohr geleitet ist, war es nicht mehr weit bis zur Idee (und damit meiner zweiten Methode im Bemühen um Loerke und seine Gedichte), eine Art Funkverbindung einzurichten zwischen Loerkes Bäumen im Gedicht und der Kiefernversammlung rund um das Haus, in dem ich wohne und schreibe. Ein Platz, wo ich dastehen, umhergehen oder sitzen und lauschen kann auf die Gespräche oben im Rauschen, auf die Geisterstimmen und Positionsmeldungen, auf die Hilferufe und Katastrophen in Loerkes Gedicht. Noch besser, dachte ich, wäre der Empfang mit Sicherheit unter den fünfundvierzig Kiefern (er hatte sie gezählt) in des Dichters eigenem Garten in Frohnau. Wenigstens einmal müßte ich die Kiefern hören, denen Loerke selbst gelauscht hat, schrieb ich in mein Lektüre-Notizbuch, und im Frühjahr 2009 fuhr ich das erste Mal hinaus, quer durch Berlin.
Kreuzritterstraße 8: Von den fünfundvierzig Bäumen waren, wie es aussah, vierundvierzig gefällt, nur einer der alten Sendemasten war übriggeblieben, ein riesiger, schwarz bis hellroter Funkturm, ein Urwaldgewächs, eine echte Loerke-Kiefer. Ich schrieb ins Notizbuch: Von der Straße gesehen steht sie links, nur etwa zehn Meter vom Haus entfernt, leicht geneigt. Das Haus: typisch für die Gegend, seltsam nur der große, rundliche, beinah klosterhafte Vorbau. Das schwarze, starke Geäst der Kiefer greift in den Weltraum über dem Dach, der Baum muß wenigstens 200 Jahre alt sein.
Auf der anderen Seite des Hauses wachsen ein paar junge, schmalstämmige Kiefern, gewiß später gepflanzt. Auffällig auch die Höhe des Hauses, das steil aufragende Dach, als wolle es mit seinen Kammern in die Krone der alten Kiefer kommen, als wäre es besser, dort zu wohnen, „nah bei den Seelen im brausenden Baum“, in der „Herberge“ der Bäume, wie Loerke es beschrieb. Oder anders gesagt:

Es knackt im Holz
Ein alter Wald geht durch das Haus.

Am 16. Dezember 1931 bezog Loerke, nach 18 Jahren in einer Berliner Hinterhofwohnung, das Haus in Frohnau. Für den Verleger Samuel Fischer ist der Umzug ein Ärgernis. Frohnau liegt für ihn schon weit außerhalb, so daß er glaubt, Loerke könne für die Verlagsarbeit verloren gehen. Eine absurde Befürchtung, gemessen am Pflichtbewußtsein und der Gewissenhaftigkeit, die er als Lektor über Jahre bewiesen hat.

Herrliches Glück, hier in der Stille und in guter Luft eine Weile zu wandern.

Oder:

Wie immer morgens der Freudenausbruch im Garten.

Es ist das erste Frühjahr in Frohnau. Loerke genießt die neue Umgebung, die bis zu meinem Besuch in der Kreuzritterstraße mit seinen Beschreibungen übereinstimmte: Die Häuser und Grundstücke in der Straße überwölbt eine Kuppel aus Astwerk und Blättern, der Gehweg ist gepflastert, und es gibt Gaslaternen mit Porzellanhauben (oder wenigstens ihrer Nachbildung). Dazu moosgrüne Jägerzäune und eine Lindenallee, „und jenseits auch, nicht fern, auf Wolken liegt / Der Mond, ein Apfel in der Schale.“ Alles war an seinem Platz, und spät am Abend kehrte ich nach Hause zurück, unter mein eigenes Kieferngewölbe, um Loerke noch etwas zu lauschen vor dem Schlafen.
„Ins Ohr schleppt uns die Welt der Wind“: Mit seinen „Nächtlichen Kiefernwipfeln“ und ihren „schwarzen Schriftgestalten“ aus dem „Silberdistelwald“ begannen meine Waldfunkstunden oder das, was ich so nannte. Wieder ging es nicht um ein Wort, das zu verstehen wäre, sondern um den Sinn, den der Wind erzeugt als Klang, als Geräusch, wenn er über die dunklen Zeichenreihen am Himmel streicht (das Urwaldgeäst der Kiefer erscheint als chinesische Kalligraphie). Ein Sinn wird dabei ausgelöst, der „uns beisteht“, wie es der Sprecher in Loerkes Gedicht empfindet. Offensichtlich geht es hier nicht um eine Idee von Natur, die vom aktuellen Wissensstand oder vom Biologieunterricht herrührt. Es geht um den Ton, die Tonlage unseres Daseins, um die innerste Physiognomie unseres Hörens und Sehens, um ein Erkenntnisprinzip und seine Gültigkeit „hinter dem Ende der Augenwege“. Und der Strom, der Wind, die Berge und immer wieder der Baum sind die ewigen Gegenstände, an denen sich das Prinzip erweist, an denen es sich vollzieht, in diesem Moment wie seit Urzeiten und – „nicht um der Menschen Willen“. Waldfunkstunde: Lesend hörte ich die Bäume in der Nacht, ihr Reden im Sturm („Die gefangenen Bäume“). In ihnen sieht Loerke eine Gestalt des Überzeitlichen, das Ehrwürdige, Reine, ewig Lebendige:

Sie wälzen hundert und hundert Jahr
In ihren Türmen, den stolzen,
Was aus Erfahrung und Gefahr
Zum Gruß ,ich lebe‘ zusammengeschmolzen.

Immerhin: es gibt diesen Gruß, und daß er empfangen werden kann, ist ein Trost für den, der „scheidet“. Aber sein „Gastrecht“ endet genau an diesem Punkt, an der Grenze zum ewigen Dasein in der Natur, jener unüberschreitbaren Grenze, einer Art Checkpoint, an dem sich Loerkes Phantasien im Gedicht immer wieder entzünden und bisweilen märchenhafte, mystische Szenerien heraufbeschwören – Geister und weise Männer, geboren aus der Einsamkeit des Brausens im Baum. Ein Grenzpunkt auch, der ihn antreibt zu einem oft stark rhythmisierten Sprechen im Gedicht (einem Anreiten gleich, das typisch ist für seine forcierte Diktion, dazu ein schlagender, manchmal erzwungener Reim), zudem eine Grenze, die Zurückweisung oder Verheißung bedeutet und nicht selten beides zugleich. Bei Loerke brausen übrigens nicht nur die Bäume, dieses Ewigkeits- und Einsamkeitsgeräusch wird auch Straßen, Städten und Flüssen zugeschrieben, und es wird selbst zum Gegenstand des Gedichts („Das Brausen“). Kein menschliches Wort jedenfalls ist in der Sendung der Bäume, keine Antwort, nur traumhafte Zeichen: die Blätter wie Flügel eines Falters oder die Innenseite der Borke wie eine geöffnete Hand und darin die Schrift von Ameisen und Termiten. Ein Bild, das auch Huchel faszinierte: Die feinen, sauberen Linien auf den Rückseiten der Rindenstücke, die wir nachlesen können, sobald sie von den Bäumen ins Laub fallen und dort das Grundbuch des Waldes füllen.
Waldfunkstunde. Am Anfang die Stille, dann das Geräusch:

Von keines Zeugen Ohr bezeugt
Schwebt aus dem Wald
Ein Klingen, das den Kopf mir beugt.

Aber auch ich habe es gehört, möchte ich flüstern, hier, im Kieferngewölbe von Wilhelmshorst, das sich schließen will im Dunkel über dem Haus, im Geäst, das übers Dach streift, während wir schlafen, während wir eingerollt, angehockt zurückkriechen in die Figurationen der Urzeit und uns nicht im Traum daran erinnern, daß es längst an der Zeit gewesen wäre, den Wald zurückzuschneiden. „Selbstgespräche sind wie Meeresrauschen“, schrieb Elke Erb in einem Langgedicht, das sie Mitte der neunziger Jahre erstmals in Wilhelmshorst vorlas. Loerke hört es in den Bäumen:

Ein Abend-Zwiegespräch aus mir
Bewohnt über Tisch das Kiefernpaar
Wie Schattentier bei Schattentier
Gewühlt in junges Nadelhaar
(„Die beiden Stimmen“).

Die Welt der Bäume, der Wald der Welt – eine Parallelwelt, in der alles gefunden werden kann: Musik, Lektüre, Geschichtsschreibung, die eigene Stimme sogar und daneben auch Güte und eine Gnade:

Baum um Baum verzieh –

Waldfunkstunde:

Wir lagern
uns im Ton des Wehns…

Was ich empfing beim Lesen unter der Lampe, im Rauschen des Kieferngewölbes, war ein Fließen, Fallen, Steigen, schwer zu verorten; das Bild einer unaufhörlichen, pulsierenden Bewegung prägt Loerkes Stil. Nicht nur in der Vertikalen („An Stämmen, die gen Himmel ziehn…“), auch in der Horizontalen ist alles miteinander verbunden (dazu die Bildwelt der Meere und Flüsse) in dem Versuch, ein Lied, einen Reim zu erfinden auf die Verfaßtheit des Weltganzen oder des All-Einen. Loerke geht aufs Ganze, und seine Mittel sind die des Gedichts: Rhythmus und Klang. Eigenschaften der Sprache im Vers, die ihre Entsprechung in der Natur selbst haben. „Natur“ ist für ihn nicht nur Gegenstand des Gedichts, sie ist auch sein Maß: „Was da drängte, von mir Wort und Klang zu erhalten, lautete schon immer“, schreibt er in „Meine sieben Gedichtbücher“, dem „Versuch einer Selbstdarstellung“. Dieser große Essay ist in jedem seiner Momente bestimmt von dem Bemühen, dem eigenen Werk eine den Naturgesetzen verwandte Logik und Notwendigkeit zuzusprechen. Das Schreiben selbst folge diesen Gesetzen, die, so Loerke, außerhalb jedweder privaten Ich-Aussprache zum Ausdruck drängen:

Es hatte mit dem Privaten von Anfang an nichts zu schaffen…

Eine Objektivierung („mehr der Gesang der Dinge als meine Stimme“), die nebenbei auch den notwendigen Schutz vor den Einwänden der zeitgenössischen Literaturkritik bot, auf die Loerkes Aufsatz antwortet.

In den Schlußspielen aber tritt unter ehrwürdigen Bäumen Göttliches in der ganzen Skala: Kristall, Pflanze, Tier, Mensch, Geist hervor; und es ist fast gleich, ob aufwärts gegriffen wird zum Geist oder abwärts zum Stein, denn aus dem, was anders ist als der Mensch, traten immer Götter, das ist: das letzthin doch nicht Begreifbare, nur zu Ahnende.

Nimmt man diese Quintessenz seiner „Selbstdarstellung“ und vergleicht man Loerkes dichterisches Werk mit dem, was an Klagen und Verbitterung über das Alltägliche und Allzumenschliche in den Tagebüchern mitgeschrieben wurde, kommt man nicht umhin, die Bewegung der Gedichte hin zu einem Überzeitlichen, einem „Grundgedanken“, der der Welt innewohne und sich ewig erneuere, auch als einen Gegenpol, als Trost und Zuflucht zu verstehen.

3
Zum Abschluß eine Bemerkung zur Geschichte des „geplagten Loerke“, wie Huchel ihn in einem Brief nennt. Im Tagebuch Loerkes ist nachzulesen, wie die sogenannten Nebenberufe, die Arbeit als Lektor, Kritiker und schließlich als Akademiesekretär den Dichter verzehren, ihn regelrecht krank und buchstäblich unmöglich machen. Die Idee einer bürgerlichen „Sicherung des Dichters“ mit Hilfe der übrigen Person funktioniert in seinem Falle nicht. Harald Hartung hat in einem Aufsatz über den Kritiker Loerke, herausgegeben in einem Band von Reinhard Tghart, dem wohl genauesten Kenner seines Werks, darauf hingewiesen, daß das Nebenberufliche für Lyriker im Grunde unabdingbar ist.

Hatten andere Lyriker – sagen wir Rilke oder Benn – es denn leichter? Waren Edelschnorrertum und Doppelleben nicht auch Tribute an die schlecht bezahlte Fähigkeit, Verse zu machen?

Dem kann man nur beipflichten, und ich möchte ergänzen, daß es von Vorteil ist, wenn die überlebenssichernden Tätigkeiten (Beisammensein mit adligen Damen oder Wundbehandlung zum Beispiel) weit genug vom Eigentlichen, dem eigenen Schreiben entfernt sind. Ist das aber nicht der Fall, wird es gefährlich. Welche Verdrängung des Eigenen die ausufernde Arbeit als Lektor im Falle Loerkes bedeutete, kann anderen nur zur Warnung dienen. Sicher, es gibt Gegenbeispiele, man denke nur an T.S. Eliot, und sieben große Gedichtbücher sind nicht wenig. Aber es ist nicht nur die niemals endende, „verstaubende, überflüssige Leserei“ fremder Texte, von der Loerke ein Erlöschen seiner Empfindungsfähigkeit für das Eigene befürchtet. Gemessen am schönen, frühen Erfolg des jungen Kleistpreisträgers haben die Jahre im Dienste fremder Werke auch die Wahrnehmung seiner Umwelt verändert: „Unvergleich schön und groß geartet war die Kraft seiner Rezeptivität“, schreibt der von ihm verehrte Gerhart Hauptmann in einem Nachruf und kommt erst dann auf den Dichter Loerke zu sprechen. Auch die Wertschätzung der anderen Großen seiner Zeit, wie Hermann Hesse und Thomas Mann („Ich achte ihr Leben hoch…“), scheint vor allem seiner Position im Verlag und seiner Gewissenhaftigkeit bei der Arbeit mit Manuskripten zu gelten. Dazu das Wort vom „Großsiegelbewahrer des deutschen Geistes“, das sein Verleger für ihn zum 50. Geburtstag erfindet.
Bleibende Anerkennung erfährt der Dichter Oskar Loerke von anderer Seite. Für Paul Celan war seine „Pansmusik“ das schönste Gedicht in deutscher Sprache. Huldigungen kommen von Wilhelm Lehmann und Günter Eich, die später jeweils eigene Auswahlbände seiner Gedichte herausgeben. Immerwährenden Zuspruch erfährt Loerke bei Hermann Kasack in Potsdam, seinem engstem Freund über viele Jahre: „Sehr lieb bei Kasacks in Potsdam.“ – Man liest sich vor und geht spazieren, die gemeinsamen Wanderungen durch den Park von Sanssouci werden im Tagebuch zu den beglückendsten Stunden gezählt. Auch Huchel, der weder Loerke noch Lehmann zu unmittelbaren Vorbildern gerechnet sehen wollte, schätzte sein Werk und plante für den ersten Jahrgang seiner Zeitschrift Sinn und Form eine ganze Reihe von Nachlaßveröffentlichungen. 1949 sind es Loerkes Gedichte, die als erster Lyrikbeitrag in Heft 1 von Sinn und Form erscheinen.
„Wenn man ringt um Anerkennung und Befreiung, so ist etwas Derartiges doch eine große Freude“, notiert Loerke 1926 bei Aufnahme in die Preußische Akademie der Künste. Das Wort „Befreiung“ in diesem Zusammenhang berührt seltsam. Welche Erniedrigungen und Verletzungen ihm die Akademie und ihre im Zuge der Gleichschaltung agierenden Protagonisten 1933 zufügten, steht auf einem anderen Blatt. Nach der Machtergreifung durch die Nazis verliert Loerke seinen Sekretärsposten. „So hart die wirtschaftlichen Folgen sind, das Schlimmere war die Entehrung“, notiert er am 11. April 1933. Um Milderung bemüht, hatte er zunächst um eine Verabschiedung aus gesundheitlichen Gründen gebeten. Die Antwort lautet:

Ärztliche Atteste? Die der Freunde, des Juden Plesch oder des Mitglieds Benn würden nicht genügen.

Auf Wunsch Samuel Fischers, der um seinen Verlag fürchten muß, unterzeichnet er eine Loyalitätsadresse an den Reichskanzler Adolf Hitler. Loerke, der die Stadien der Gleichschaltung klar erkennt und mit Abscheu kommentiert, sieht sich in äußerster Bedrängnis; ich war „in einen Zustand gebracht, daß ich nicht wußte, ob ich würde weiterleben können“, schreibt er am 1. November 1933 in sein Tagebuch.
Das Tagebuch der Folgejahre spricht von „Schmach“, „Garaus“, „Ekel“ und von einer „Verzweiflung über das Teuflische“. Die Arbeit des Verlags wird schrittweise beschnitten. Nach seiner Erkrankung zieht sich Loerke nach Frohnau zurück und verbringt dort die letzten Jahre, eindrücklich beschrieben von Hans Dieter Schäfer in seinem Buch Das gespaltene Bewußtsein.
Nach dem Erscheinen von Wald der Welt (1936) entstehen Gedichte mit einer unverhohlenen, an Schärfe kaum zu überbietenden Kritik am Naziregime:

Ihr Herz ist Kot, verjaucht ihr Hirn,
Was hebt sich noch das Tagegestirn?
(„Mit Rückerts Gedichten“).

Oder:

Jedwedes blutgefügte Reich
Sinkt ein, dem Maulwurfshügel gleich.
Jedwedes lichtgeborne Wort
Wirkt durch das Dunkel fort und fort

heißt es im „Leitspruch“ von 1940.
„Keine Krankheit, sondern das Leiden an den Untaten der Epoche hat Loerke gefällt.“ So schließt das Vorwort Lehmanns zu einer Auswahl von Loerke-Gedichten. Am 24. Februar 1941 stirbt Oskar Loerke in seinem Haus in Berlin-Frohnau.

Lutz Seiler, Sinn und Form, Heft 4, Juli/August 2010

Lutz Seiler: Nicht der Ehre wert. Berlin gibt Andenken an den Dichter Oskar Loerke auf. Das ist empörend.

 

OSKAR LOERKE

Großmutters Waldhaus steht mitten
im Märchenhüttenausstellungsraum
Wolf ist bei den Besuchern nicht gelitten
ein Ohr ist ihm abgeschnitten
Besuchergören haben ihn zugeritten
Man könnt, so wurde oft gestritten
zur Einsicht die Besucher bitten
und Ehrfurcht zumindest feinere Sitten
dass das was bringt, man glaubt es kaum

Peter Wawerzinek 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber Uwe Pörksen

 

 

Beitrag zum 75. Todestag von Oskar Loerke:

Christian Lindner: Die vergessene Naturlyrik von Oskar Loerke
Deutschlandradio Kultur, 24.2.2016

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv +
Internet Archive + Kalliope
Porträtgalerie: Keystone-SDA + deutsche FOTOTHEK

2 Antworten : Oskar Loerke: Sämtliche Gedichte”

  1. Liersch sagt:

    Beide Privatdrucke von V. O. Stomps erschienen in einer Auflage von 26 Exemplaren. Eine Strophe beim Kärntner Sommer trauten sich Stomps und Loerke nicht ins Buch zu drucken. In den meisten von Loerke direkt verschenkten Exemplaren schrieb er dies aber handschriftlich in die Exemplare. Vollständig gedruckt wurde der Zyklus erst 1949 in dem Band Abschiedshand.
    Hendrik Liersch

    • Redaktion sagt:

      sehr geehrter herr liersch,

      vielen dank für die hilfreichen informationen, die sie auch dem wallstein verlag mitteilen sollten. vielleicht gibt es ja irgendwann eine weitere auflage.
      beste grüße
      egmont hesse

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00