Peter Wapnewski: Zu Ernst Jandls Gedicht „Zertretener Mann Blues“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ernst Jandls Gedicht „Zertretener Mann Blues“ aus Ernst Jandl: ernst jandl für alle.

 

 

 

 

ERNST JANDL

Zertretener Mann Blues

ich kann die hand nicht heben hoch zum gruß.
aaaschau her:
ich kann die hand nicht heben hoch zum gruß.
wo ich doch weiß, wie schlimm das enden muß.

da steht der braune mann vor mir und schlägt.
aaaschau nur:
da steht der braune mann vor mir und schlägt.
aaadiesmal heb ich die hand, jedoch zu spät.

ich krieche mit zerdroschenem gesicht. schau weg:
ich krieche mit zerdroschenem gesicht
aaavor meinem schlächter, doch ich bettel nicht.

ein stiefelriese tanzt auf meinem bauch. hilf mir:
ein stiefelriese tanzt auf meinem bauch.
ich fresse feuer, und ich bettel auch.

bald fällt ein knochensack ins massengrab.
aaaho ruck:
bald fällt ein knochensack ins massengrab.
dann bin ich, wo ich meine freunde hab.

 

Todes-Litanei

Erst noch auf eigenen Füßen; dann fällt er, geschlagen, kriecht; fällt weiter, kriecht nicht mehr, fällt ins Grab. Ein Geschlagener erzählt sein Ende. Er tut es in der Ich-Form und in scheinbar kunstlosen, scheinbar improvisierten Aussagen zur Person, atemlos und wie schluchzend Worte und Sätze wiederholend – bis es keine Wiederholung mehr gibt.
Ich-Form, Improvisation, Erzählung und Person-Aussage, Anruf und Wiederholung des Anrufs, Zweiteiligkeit: all dies sind gesetzmäßige Elemente jenes Gesangs der Mühseligen und Beladenen, sind Elemente der Arbeitslieder, wie die amerikanischen Sklaven sie gesungen und späteren, sich befreit fühlenden Generationen als modische Tanzklänge übermacht haben: Blues.
Die Überschrift also dieses Gedichtes ist in ihrer harten Fügung von scheinbar unzusammengehörigen Begriffen ein durchaus konsequentes Programm. Der Blues ist das Lied des zertretenen Mannes – und so singt er:
Die zweite Zeile wiederholt jeweils die erste, das dazwischengeschobene Bindeglied, Regieanweisung und Appell, macht den Wiederholungscharakter noch deutlicher. Dieses Bindeglied übrigens zeichnet die Steigerungskurve, die fallende, des Ganzen. Von „schau her“ über ein wiederaufnehmendes „schau nur“ zum wiederum variierenden „schau weg“; weiter dann zu dem hilflos um Hilfe schreienden „hilf mir“ bis zum endgültig verwerfenden „ho ruck“: Das ist die Kurve vom Stehen über das Kriechen und Liegen in den Sturz. Gefaßt noch, jedenfalls trotzig setzt das Lied ein: er kann die Hand nicht heben zum Einheitsgruß – freilich, das „doch“ in der Schlußzeile „weiß“ schon, daß solches tapfere Nicht-Wollen und Nicht-Können sich wird dementieren müssen: Unter den niederfallenden Schlägen hebt sich, hebt er die Hand – und wieder signalisiert ein „(je)doch“ die bittere und schmerzvolle Vergeblichkeit: erst des Widerstandes, jetzt des Parierens.
Auch die letzte Zeile der dritten Strophe klammert sich an ein widerständlerisches „doch“. Der Mann ist zerdroschen, der Mann kriecht nur mehr – indessen, er bettelt nicht, um Gnade nicht und nicht um sein Leben. Jedoch hat die Struktur der beiden ersten Strophen den zwanghaften Vollzug schon vorausgesagt: es widerlegt nämlich die jeweils folgende Strophe die verzweifelte Versicherung der ihr vorausgehenden. Nun also bettelt es doch, in der vierten Strophe, bettelt aus dem zerschlagenen Gesicht heraus, das – selber blind – den Angerufenen (den Bruder?) dieses Mal nicht bittet zu schauen, sondern auffordert wegzuschauen: Der des Gesichtes nun Beraubte will dem Dritten mitleidvoll das Gesicht ersparen, das Sehen, das Zusehen.
Und nun der Höllenspaß, das Gaukler-Inferno, es wird „getanzt“, und ein Feuerfresser ist da, das klingt, holla und heißa, nach Kirmes und Zirkus, wo auch die Bettler – nicht weit sind – hier aber wird einer zu Tode getanzt, und verbrennend bettelt er – worum? Um sein Leben?
Um seinen Tod?
Das „Ich“ ist nunmehr deformiert zum Knochensack, der nicht einmal sein eigenes Grab hat. Ins Massengrab wird er geschleudert – aber die Umstände sind so daß selbst dieser Schauder-Ort in schauerlicher Ironie noch etwas Tröstliches hat: Massengrab heißt hier Grab der Freunde; und der auf der Welt zertreten wurde und nur mehr Feinde hatte, findet, ausgelöscht, zu seinen Freunden zurück, zu einem Rest Ich zurück.
Die Form ist einfach und von einer hämmernden oder auch tretenden Monotonie. Alle Strophen enden auf den gleichen Reimklang, wobei Zeile eins und zwei im Sinne der Blues-Formel jeweils das gleiche Wort repetieren, und Zeile drei dann schickt ihm den Reim nach.
Eine Litanei, Sterbelied und Todesklage, den Henkern unterm Galgen, den Schlächtern unterm Messer noch gesungen und noch aus dem Grab heraus. Der Mensch dem Menschen ein Wolf? Das mutet an als ein nahezu idealer Zustand, so lange doch das Spiel eines ist zwischen Wölfen und Lämmern.

Peter Wapnewskiaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Erster Band, Insel Verlag, 1976

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