Timothy Donnelly: Die neue Sicht der Dinge

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Timothy Donnelly: Die neue Sicht der Dinge

Donnelly/Dilg-Die neue Sicht der Dinge

VOGELGESANG AUS DEM INNEREN DES EIS 

Wie Meteore das Zinngewölbe des Himmels
aaaaadurchstechen,
so segeln Moleküle durch die unzähligen

Poren meiner Einfriedung, welcher Müll welche
Kostbarkeit, Pisse und Genialität, eine Flotte von

Schnipseln, abgeschilfert vom Chaos-Heuhaufen des
immensen Außens, Reinfall und Futter, da

gibt es kein NEIN, nicht hier, noch nicht. Mich
gibt’s schon immer, noch bin ich nicht geboren. In das eine

gewaltige, pfeifende Treibenlassen von all dem, mein
pulsiertes Amalgam, gewähre ich allem Eintritt, ein Lehn Dich einfach

zurück und Klick! Arrangement, Konfetti
Huf und Konzertina, welchen blinden Mundes

Atem welch angenehmes Nisten. Ich bin
eine Komposition, des einen Lebens Werk, mich

gibt’s schon immer, der Webstuhl und die Wolle und der Teppich
zum Träumen. Das Lied, erstarrt

in der Vergangenheit wie „es passierte einfach so“ ist
zu sehr damals, und ich, der ich mich zurücklehne, wohlig in den Wallungen

des Jetzt, ich kann’s nicht glauben.
Meine Quarantäne ist ein Frieden angereichert mit

himmlischen Besuchen. Ein himmlischer Besuch
hat kein Ende. Nimm den köstlichsten

Moment im Galopp, wenn alle vier
Hufe in die Luft treten, und dehne ihn

unendlich straff, schillernd wie er ist
von Hopfenblüten und Pferdeäpfeln und Rehen und Lieben,

und Du hast eine Ahnung. Eine Ahnung entzündet
die halbe Gemeinde, wenn du sie richtig reibst,

die halbe Gemeinde, wenn Du sie falsch reibst.
Ich bin für immer Lied. Ich werde nicht gesungen haben.

 

 

 

Die Gedichte des Poetry Editors der Boston Review

sind der Sound des ,Anderen Amerika‘, der USA der großen Städte, der Ostküste, der kritischen Liberalen. Nicht aber trockene politische Lyrik, es ist der traurig pulsierende Blick eines an allen Trögen der Postmoderne getränkten Ästheten. Richard Howard vergleicht Donnellys Lyrik mit John Ashberys Frühwerk und weist darauf hin, dass bei aller Geistesverwandtschaft Donnelly verspielter und überschwänglicher ist. Donnellys Gedichte erscheinen u.a. in der Paris Review und Ploughshares. Er ist ausgezeichnet mit dem Bernard F. Connors Prize der Paris Review sowie mit dem David Craig Austen Award der Columbia University, an der er auch lehrt.

amazon.de, Ankündigung

 

Hochintelligent und elegant

Donnelly’s Gedichte beschäftigen sich ,wie vielleicht alle Lyrik‘ mit dem durch Sprache Sagbaren, bzw. sie tasten sich mit diversen Strategien an jene Grenze heran, hinter der das nicht mehr Sagbare liegt. Dabei haben sie sehr viel Freude am Reden, wie zum Beispiel in „Der Fahrer des Wagens ist bewusstlos“ (der Titel ist einem Deutschlehrbuch für Anfänger entnommen), da ist dann „Asche im Auge und in der Nase und im Mund und // der Mund hört nicht auf, er tröstet sich selbst, er tröstet mich.“ Und das Reden an sich wird furios zum Selbstzweck, häufig humorvoll, immer virtuos, mit subtilen formalen Strömungen (Donnelly unterrichtet u.a. Prosodie an der Columbia-Universität).
Die Gedichte bewegen sich zwischen lyrischen Meditationen und post-modernen Experimenten. Zu letzteren zählen insbesondere die so genannten „Patriot Act Operations“ eine Technik die den Text des amerikanischen „Patriot Acts“ zusammen mit einem weiteren Text (z.B. Bruce Springsteen’s „Born to Run“) als Lexikon, will heißen Wort-Quelle, für fulminante Wortkaskaden, die höchst unterhaltsame Wortneuschöpfungen ermöglichen, seien das Enthüllungsvillen oder „Akte von Textverletzung“. Der „Traum von amerikanischen Hillbillies“, eine Assemblage aus Osama Bin Ladens „Declaration of War against die Americans Occupying the Land of the Two Holy Places“ und dem Titelsong der Fernsehserie The Beverly Hillbillies, emergiert als zutiefst komische Hetzrede mit unklaren Adressaten.
Andere Gedichte sind sich ausdehnende Meditationen, die sich nahezu als Liebesgedichte gebärden:

die letzten Schwingungen
verklangen, um erinnert zu werden, an einem Ort, den uns vorzustellen
wir niemals aufhören würden: und dort fanden wir unseren Anfang.

(„Die letzten Schwingungen“).

… aber nie in Sentimentalität abrutschend, sondern der eigenen Subjektivität gewahr:

[Ich sage] … dass das Streben nach Objektivität abhängt vom Glauben
an die Genauigkeit der eigenen Wahrnehmungen, will heißen
von einer Gewissheit bezüglich der Reinheit des wahrnehmenden Instruments.

(„Die neue Sicht der Dinge“).

Und die zweisprachige Ausgabe ermöglicht ein Lesen zwischen den Texten, das interessante Entdeckungen in beiden Sprachen generieren kann (so man sich auf das Wandern zwischen den Welten einlässt).

B. Thimm, amazon.de, 23.9.2008

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Poets.org +
Poetry Foundation

 

Timothy Donnelly liest „Insomnia“ beim Sommerstart von Poetry London, Kings Place, 12. Juni 2019.

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