Vierzehn litauische Poeten

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Vierzehn litauische Poeten

Vierzehn litauische Poeten

AUS DER SCHACHGESCHICHTE

aus langeweile schob ich die figuren
wie stets zu beginn recht unbekümmert
als sei es ein spiel nichts ernstes
aber als ich den könig bewegte
war klar ich hatte die wichtigste rochade
meines lebens ausgeführt
verließ das haus eilte aufs schlachtfeld
ungedeckt von den freunden
begriff welchen fehler ich gemacht hatte
mich nicht um die bauern zu kümmern
als seien die nichts wert kanonenfutter
vom meer her ein salziger wind
der gestöhn und geschrei mit sich führte
rösser stürzten auf dem scharfkantigen gestein der sprache
elfenbeintürme pflegten noch die hoffnung
des reinen gedankens jedoch ich wußte
sie werden die neuen territorien nicht betreten
und einsam bleiben umzingelt
von der horde der unwissenden
die läufer hatten bewegungsfreiheit
deshalb riskierten sie am meisten
der tod erteilte sie bei überhöhter geschwindigkeit
sie waren mein alter ego
die königin freilich bedauerte ich am meisten
treu hat sie meine verwundbaren stellen verteidigt
mich gedeckt auf die leiseste gefahr hin
der schwarzen königin den weg verstellt
sie allein konnte mich nicht abbringen
von der leidenschaft des spiels
mit drohte kein tod von verräterhand
oder wegen eines fehlerhaften wortes
mich erwartete ein sehr gewöhnliches matt

Eugenijus Ališanka

 

 

 

Vorwort

Es ist nicht selten, dass man in der litauischen Alltagssprache poetischen Zitaten und Paraphrasen begegnet. Tatsächlich gibt es Gedichte, die in das Massenbewusstsein eingingen, die Denken und Fühlen der Menschen beeinflussten. Immer wieder hat unser Land Unterdrückung und Okkupation vonseiten seiner großen Nachbarn zu erdulden gehabt. Poesie galt daher gleichsam als ein Mittel zum Überleben. Das war ihr Grundmotiv. Soziale und nationale Imperative verliehen ihr einen Einfluss, der nicht allein an ästhetischen Wertmaßstäben gemessen werden darf. Wie Dichtung auch nicht allein im Kreise von Kennern kursierte. In den gewaltigen Meetings, die der Wiedererrichtung der litauischen Unabhängigkeit vorausgingen, trugen Justinas Marcinkevicius und Sigitas Geda ihre Verse vor, deren Bildersprache beredter, mutiger und eindringlicher war als die Reden der Politiker.
Der litauische Dichter, vor allem der bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, sprach gewöhnlich nicht losgelöst von der Geschichtsperiode, in der er sich sah: Er solidarisierte sich mit der Gegenwart oder lehnte sie ab (meist, indem er eine große Vergangenheit romantisierte), nahm die herrschenden Intentionen der Zeit und deren Gestimmtheit in seine Strophen, oder umgekehrt, gab sich als einsamer Prophet, der sich über die konkreten Ereignisse zu erheben suchte. Dennoch bleibt der Eindruck, indem er etwa eine Gegenposition einnahm, dass seine Prophezeiungen aus der Historie geschöpft sind.
Gewiss, die Unterordnung des lyrischen Subjekts unter das Diktat der Geschichte war weder allumfassend noch unwandelbar. Es gab und gibt Dichter, die sich allgemeinen Existenzproblemen zuwandten. Im letzten Jahrzehnt überwogen zweifellos Verse meditativen Charakters, welche alle gereimten Erzählungen, Rhetoriken und Anweisungen, wie zu leben sei, verdrängten.
Auf diese Art, gleichsam auf leisen Sohlen, verließ die litauische Lyrik die Zone des verordneten sozialistischen Realismus. Die sowjetamtlichen Überwacher, verwirrt und überfordert ohnehin, hatten sich mit einer Flut poetischer Metaphern abzufinden, mit polyphonen Bildverknüpfungen, mit der Sprache der Andeutungen und Anspielungen. Der aufmerksame Leser wusste sie zu deuten. Dieses beachtliche Interesse, das man der Poesie entgegenbrachte, stärkte wiederum das Gefühl, dass sie eine Sprache der Freiheit war. in der Parallelität historischer Fakten, in Paraphrasen und Mythen. Wohl gab es in Litauen auch eine Kunst im Untergrund, die offenen Widerstand bekundete; es überwogen jedoch Bemühungen, die offiziell gegebenen Möglichkeiten zu nutzen. Die Stimme der Freiheit, dosiert zwar, aber ständig in die Öffentlichkeit dringend, hielt die Hoffnung auf letztendliche Befreiung aufrecht und stärkte den Glauben an das offene Wort. Menschen freier Gesellschaften wird es schwer fallen zu begreifen, dass zu Sowjetzeiten selbst ein resignativer Tonfall, die Poetik des Absurden, ja selbst formale Regelverletzung wie das Weglassen von Satzzeichen dem Arsenal poetischen Widerstandes zugerechnet wurden.
Die Gedichte, die in dieser Anthologie gedruckt sind, wurden nach 1990 geschrieben oder veröffentlicht. Also nach der Wiederherstellung der litauischen Unabhängigkeit. Die zuvor erwähnte Peripetie des kryptischen Schrifttums ist hier nur noch Erinnerung. Es entsinnt sich Vytautas Bložė, ein einflussreicher Modernisierer, dass einst eine Parteikontrolle die Herausgabe seiner Bücher stoppte, mit dem Argument, diese Dichtung sei unverständlich. In Wirklichkeit freilich aus Angst, dass sie verstanden wird. Kazys Bradūnas wird nicht vergessen, dass er Jahrzehnte nur in Chicago leben und publizieren konnte. Nach Vilnius zurückgekehrt, nimmt er die historischen Straßen der Hauptstadt in seine zarten und subtilen Verse. Weil er sich nicht abfinden konnte mit der geistiger Unfreiheit, verließ Tomas Venclova, ein intellektueller Aufrührer, vor zwei Jahrzehnten die okkupierte Heimat. Heute findet man seine Gedichte in Publikationen von US-Universitäten neben denen von Josif Brodski und Czesław Miłosz. Antanas Jonynas, Natur- und Liebeslyriker, erinnert sich, daß er die Bücher seiner Kollegen zu redigieren hatte (zu Sowjetzeiten arbeitete er in einem Verlag). Feierlichkeit und zugleich bitterer Spott, die die Strophen von Marcelijus Martinaitis charakterisieren, bewahren noch etwas Äsopisches aus jenen Zeiten, als er die Zone des freien Wortes zusammen mit seiner „unschuldigen“ Balladenfigur Kukutis betrat.
Die Poesie eines Volkes, das gerade einen sozialen Umbruch erfährt, ist auch von schöpferischer Anspannung gekennzeichnet. Aktuelles blitzt auf. Die Möglichkeit, einmal nur zu sein, ohne gesellschaftliche Reflexionen und sprachliches Versteckspiel, eröffnet zweifellos neue Räume. Frische Farben werden aufgetragen. Doch ein radikaler Wandel, der unmittelbar einherginge mit den politischen Umwälzungen, ist in der heutigen litauischen Poesie nicht auszumachen. Einmal mehr erweist sich, dass sie sich schon seit Beginn der achtziger Jahre einen Raum geistiger Souveränität sichern konnte. Was das äußere Bild verändert, ist vor allem das Hinzukommen von Dichtung, die zuvor nicht publiziert werden durfte: die des Widerstandes, der Emigration, religiöse Poesie. Innere Wandlungen, wie gesagt, sind nicht bestimmend, aber dennoch bemerkbar. Auffallend ist eine Neigung, Werte und Wertvorstellungen von Gestern zu entmystifizieren. So finden sich zahlreiche „unschöne“ Gedichte: in ruppigem Ton wird über die Absurditäten des Lebens gesprochen, über den erniedrigenden Druck, dem man ausgesetzt war und an den man sich beinahe gewöhnt hatte. Die Andersartigkeit dieser Gedichte ist nicht zu übersehen im Kontext der litauischen Lyrik, sie stehen neben denen, die sich nach wie vor melancholisch geben, Mensch und Natur zueinander ins Verhältnis setzen (hier ist der Einfluss des Volksliedes spürbar).
In der Dichtung der älteren Poetengeneration spiegelt sich zudem ein innerer Konfliktzustand. Man versucht, die passenden Worte und die Intonation zu finden, die tröstet und die Menschen, getrennt durch eine unselige Vergangenheit, versöhnt. Die Jüngeren indes nähern die hohe und die niedere Sphäre oft wundersam einander an, um sich aller Rhetorik zu entledigen, die sie nicht selten mit ihrem Sarkasmus überziehen. Dennoch respektiert man die traditionell-universalen Ausdrucksmöglichkeiten, flicht Gedichte essayistischen Charakters aus dem Strom gegenwärtiger kultureller Reflexion. Mit einfachen Worten und einer Art unsichtbarer geistiger Bewegung werden Alltagshandlungen in den Rang des Zeitlos-Ewigen versetzt. Ein oft Empirie und Verstand kontrastierender Impuls, das unbegreiflich Schöne, Idealität, dazu eine Sprache, die beinahe ohne Semantik auskommt – das ist der poetische Drive der wiedererlangten Freiheit. Hier findet sich alles – Erhabenes, Rowdyhaftes, schließlich auch „Entdeckungen“ dessen, was in anderen Ländern längst an der Tagesordnung ist.
Eine Frucht der Freiheit ist auch diese bescheidene Anthologie. Sie entstand in Zusammenarbeit der Neuen Marburger Literarischen Gesellschaft mit dem Litauischen Schriftstellerverband.

Valentinas Sventickas, Vorwort

 

Der Band

bietet eine Auswahl zeitgenössischer Lyrik von vierzehn der bekanntesten Poeten Litauens: Eugenijus Ališanka, Vytautas P. Bložė, Kazys Bradūnas, Sigitas Geda, Gintaras Grajauskas, Antanas A. Jonynas, Donaldas Kajokas, Justinas Marcinkevičius, Aidas Marčėnas, Marcelijus Martinaitis, Nijole Miliauskaitė, Kornelijus Platelis, Judita Vaičiūnaitė, Tomas Venclova. Eine solche Sammlung trägt dazu bei, sich schnell, ziemlich umfassend und auf bequeme Weise mit dem gegenwärtigen Panorama der litauischen Poesie bekannt zu machen, ihren Richtungen, poetischen Konzeptionen und Tendenzen. Die Anthologie wurde von Valentinas Sventickas zusammengestellt, dem Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes Litauens, der auch eine Einführung dazu schrieb und die bibliografischen Angaben lieferte.

Athena-Verlag, Klappentext, 2002

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber

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