Werner Ross: Zu Ernst Jandls Gedicht „manchmal hab ich eine solche wut…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ernst Jandls Gedicht „Manchmal hab ich eine solche Wut…“ aus Ernst Jandl: der gelbe hund. –

 

 

 

 

ERNST JANDL

manchmal hab ich eine solche wut…

manchmal hab ich eine solche wut
daß es für keinen gut ist bei mir zu sein
grad dann bin ich nicht gern allein
denn wie bring ich meine wut los

das versteht jeder
denn jeder hat schon einmal eine wut gehabt
und manche haben auch verstanden
daß einer mit seiner wut nicht gern allein ist

die sind dann rasch weggegangen
oder sie sind bei ihm geblieben
vielleicht weil sie ihn lieben
aber sicher um ihm zu helfen
(manche sind dabei draufgegangen)

 

Das Paradox des Menschlichen

Wut-Werke sind selten. Mir fällt im Augenblick nur Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“ ein, ein blitzendes Virtuosenstück, in dem nicht die Wut raucht, sondern die Laune funkelt.
In Jandls Wutgedicht ist der Augenblick der Entstehung mit Datum bezeichnet. Der Zyklus von neun Gedichten, dem dieses als Nummer 6 angehört, ist überschrieben:

notizen vom 17.10.78, dem todestag von jean amery.

Für die Wut, von der Jandl spricht, wird im Gedicht selbst freilich keinerlei akuter oder aktueller Anlaß festgestellt. Im Gegenteil: Die Wut kommt manchmal, sozusagen wie eine Krankheit, über den Sprechenden. Das wird im volkstümlichsten Umgangston festgestellt, wie vom Mund eines Zeitgenossen im Biergarten abgelesen, breite Prosa, und was sich anschließt, klingt wie die erstaunte Entdeckung eines solchen Biergarten-Grantlers: Wut ist für Nebenmenschen gefährlich, aber gerade wenn man wütend ist, braucht man Nebenmenschen, um Wut loszuwerden.
Bis jetzt bewegen wir uns noch im karl-valentinischen Bereich der Alltagsparadoxa, der pfiffigen Aufdeckung der Menschennatur in ihrem Widerspruch. Der eine Reim in der ersten Strophe (sein – allein) steht fast verloren im gänzlich und willentlich unrhythmischen Gefüge dieses brummelnden Sinnierens. Erst die dritte Strophe vollzieht das, was man leicht hochtrabend „Gedichtwerdung“ nennen könnte. Bei Jandl gehört noch der Satz „die sind dann rasch weggegangen“ in die prosaische Sequenz von „Ärger“ und „Sich-Ärger-Ersparen“, die den Wütenden zum Mitmenschen treibt und die den Mitmenschen den Wütenden fliehen läßt.
Erst mit denen, die nicht weglaufen, eröffnet sich eine neue Dimension; „oder sie sind bei ihm geblieben“ könnte im Rahmen einer Biergarten-Philosophie noch allerlei praktische Gründe haben. Aber diese wird nun mit einem einzigen kräftigen Flügelschlag unten gelassen. Der erste Vollreim darf ans Tageslicht: „geblieben“ ruft „lieben“, das als Pathoswort – wenn auch möglichst unpathetisch gesprochen – den paradoxen Kreislauf von Annäherung und Flucht durchbricht.
Das Durchdachte dieses scheinbar so lässig dahingesprochenen Textes wird noch deutlicher, wenn man noch einmal die zweite Strophe heranzieht:

manche haben es auch verstanden
daß jemand mit seiner wut nicht gern allein ist.

Wenn es dabei bliebe, wären die Verse beinahe ein Sozialgedicht, ethisch wie „Edel sei der Mensch“. Der letzte Vers erst rundet das Gedicht und reißt zugleich das tiefere Paradox des Menschlichen auf: in Klammern gesetzt, wie eine Fußnote, umschreibt er die Tragik der Helfenden und der Liebenden. Sie sind die wirklich Leidtragenden der Wut, von der sich der Wütende, sie gleichsam ausniesend, befreit. Was mit der Wut als einem dem Bürger zustehenden Normalbedürfnis begann („Wer niemals eine Wut gehabt…“ könnte man variieren), endet in tiefer Trauer, als Elegie.
Zum Kunstcharakter dieses Dreizehn-Zeilen-Geplauders ist noch anzumerken, daß der letzte Vers den drei Vierzeilern wie eine Schlußkadenz, ein rallentando, angehängt ist und daß das burschikos formulierte, aber tragisch gemeinte „draufgegangen“ die genaue Replik zu dem bequem-beiläufigen „weggegangen“ des ersten Verses der letzten Strophe bildet.
Diesem Kunstcharakter entspricht genau, was man in alter Deutung die Anagogik genannt hätte: der Aufstieg. Er führt von der ordinären Wut des Ich zur not-wendenden Nützlichkeit des Du und erweitert sich dann zu einem Wir, das sich im Mit-Leiden und – sogar – im Lieben offenbaren kann. So wird eine nachdenkliche und bewegende Antwort auf die vulgär-psychoanalytische Ermunterung gegeben, die aufgestaute Aggression nur tüchtig abzureagieren – mag der andere sehen, wie er damit fertig wird.

Werner Rossaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebter Band, Insel Verlag, 1983

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