Karl Schimpers Gedicht „Freudig“

KARL SCHIMPER

Freudig

Mich freut, ich weiß nicht was,
Mich freut so dies und das;

Die Wiese wie der Wald,
Das junge Laub und Gras;

Die Wege, die ich ging,
Das Plätzchen, wo ich saß;

Das Liedchen, das ich pfiff,
Das Liedchen, das ich las;

Der schnell gedeckte Tisch,
Der Braten, den ich aß;

Der allerliebste Wein,
Das allerliebste Glas;

Es alles ists und nicht,
Ich freu mich ohne Maß:

Ich freu mich durch und durch,
Daß ich warum? vergaß.

um 1840

 

Konnotation

Der Naturforscher Karl Friedrich Schimper (1803–1867) veröffentlichte seine epochalen Erkenntnisse über die Eiszeit, die Entstehung der Alpen und die mathematisch errechenbare Blattstellung bei Pflanzen immer nur in Form fliegender Blätter oder hastig hingeworfener „Sendschreiben“. Von seinen ausgedehnten naturwissenschaftlichen Recherchen erholte sich Schimper mit Hilfe von Gelegenheitsgedichten, die er von 1840 bis 1846 in zwei Bänden sammelte.
Als Gedicht-Form bevorzugte Schimper eine schlichte Form des persischen Ghasels, eine Folge von zweizeiligen Strophen, deren zweiter Vers jeweils den in der ersten Strophe gewählten Endreim wiederholt. Und auch die Botschaft ist von äußerster Simplizität: „Poeterei, die schlichte, lieb’ ich“, heißt es in Schimpers „Bekenntnis“. Die hier dargebotene „Freude“ des Protagonisten ist bedingungslos, sie zehrt von einfachen Genüssen. Diese komplexitätsfreie Dichtung hat sich Schimper wohl als Entlastungsprogramm verordnet, um die mühselige Akribie der botanischen und glaziologischen Studien durchstehen zu können.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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