Bert Papenfuß: vorwärts im zorn &sw.

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Bert Papenfuß: vorwärts im zorn &sw.

Papenfuß/Strawalde-vorwärts im zorn &sw.

mary shelley, ich liebe nur dich
& vielleicht noch klappentexte
in höchsten höhen oberflächlich
& meine zuständigen elfen natürlich
meine mutter bezeichnenderweise
meine ehemalige jedoch umso mehr
ich bin nur ein klon meiner selbst
& meine liebe nicht von dieser welt
dicke backen, feiste schenkel usw.
fahle wangen, nasse mösen bzw.
schlüpfrige mäuler, flinke finger
wenn ich mich recht erinnere
reize, die mich weiter führten
als ich jemals aus mir wollte
scheißreiberei, die mich rausriß
ruhm, der unausgebrochen bleibt
war das letzte, was ich wollte
der tod, immer noch unausgelebt
ausgerechnet embryologen meine feinde
artisten, bessere menschen, männer
mann sein, freundlich, schön & stark
straff, schlaff, befremdet, angeödet
dennoch, ich bin; selbst ist das man
& im hinterstübchen mary, höchstselbst
thema: (verfehlt)
man liebt immer die katze im sack
titel:
die gunst der woge ist gischt

 

 

 

fertonung des orts & der zeit

I.
„Daß Shakespeare Mörder schuf, war seine Rettung, daß er nicht selber Mörder zu werden brauchte“ – sagt der großartige und zu oft unterschätzte Karl Philipp Moritz, der aus der Rattenfängerstadt Hameln stammte und in Berlin mühsam sein Brot verdiente, ein Zeitgenosse Goethes und Schillers, und ein Protagonist jener nichtgeschriebenen, plebejischen Literaturgeschichte der Deutschen. In eben dieser Literaturgeschichte hat nun schon seit mehr als zehn Jahren, doch jetzt auch mit einem Buch beglaubigt, ein anderer sich einen festen Platz erschrieben: Bert Papenfuß-Gorek. Halt. Stimmt nicht ganz: denn Bücher hat er schon viele gemacht, allein und mit Malern, mit der Hand geschrieben und im Siebdruckverfahren hergestellt… Eins davon ist 1985 in einem kleinen west-berliner Verlag auch als „reguläres“ Buch nachgedruckt worden: der Band „Harm“ von 1977. Denn Papenfuß schreibt in Zyklen und Bänden, und was jetzt im Aufbau-Verlag Berlin & Weimar erscheint, ist also ein klassischer Querschnitt; die ältesten Gedichte sind von 1973, die letzten von 1986. Er heißt „dreizehntanz“, weil dreizehn Tänze in ihm begonnen werden, klar, oder?

II.
Jener Karl Philipp Moritz wußte etwas davon, daß in der Kunst (mitunter) jene Ferbrechen begangen werden (müssen), die wir uns im Leben verkneifen müssen. Weil sonst herrschte ja wilde Anarkei (wie Papenfuß aus Anarchie und Arkadien und noch so manchen anderen Reagenzien mixt). Und wer würde dann schöne Bücher machen? So ist jedenfalls ein Drukk-Erzeugnis entstanden, das in den Händen des Lesers erneut Drukk erzeugt. Und nicht wenig.
Aber blicken wir zunächst zurück: da stromerte so Mitte der 70er Jahre in Berlin und Umgebung ein (natürlich langhaariger) jungscher Kerl herum, bevorzugt im Prenzlauer Berg und Umgebung, und schreibt auf, was er sieht, denkt und fühlt. So beginnt fast jedes Dichterleben. „Dichtung“ mag er, was er produziert, selbst nicht nennen, weil das mit Überbau zu tun hat, und der ist weit weg, und uninteressant, und besteht aus Elternhaus & Schule & ähnlichen Ödnissen.
Er nennt, was er schreibt, einfach: ark. Was das ist? Man weiß doch schon lange: an ark is an ark is an ark… Also ,ark‘ ist immerhin ein bißchen ark-tisch, ein bißchen an-ark-isch und ein Lebensgefühl. Und auch nicht ganz zu übersehen. Der Eulenspiegel-Verlag(!) druckte 1978 einige Gedichte in der Anthologie „Zwiebelmarkt“, und die „Auswahl 1978“ brachte auch etwas. Eins der Gedichte hieß „jede uhr isn zeitzuender“ – und war wohl selbst einer; danach jedenfalls ließen die verlegenen Verlage den Dichter zehn Jahre lang in Ruhe: arbeiten. Das hat er getan, und mit der Zeit zuendet oder gar zu-endet auch das hartnäckigste Übersehenwerden. Wie man weiß, ist es auf die Dauer ganz schön anstrengend, auf einen bestimmten Punkt nicht zu schauen. Außerdem: mit der Zeit und ihren Zuendern wird man weise, und es muß für einen Dichter nicht unbedingt eine Katastrophe sein, nicht gedrukkt zu werden (hört man das drükken heraus? – ach, und wie oft drükken wir uns vor dem Drukk, drukksen herum und verdrükken uns in die (Fuß-)Abdrükke derer, die schon vor uns unter drukkvollen Eindrükken was drukk-fertiges abgedrükkt haben). Und nebenbei: woher stammt bloß das fatale Sprichwort: „der luegt ja wie gedrukkt“? Ich weiß es (und Papenfuß auch): es ist eben jene plebejische, mißtrauische, skeptische und unverstellte Sicht von unten (v.a. auf die Großköpfe und deren Ideologien), die als einzige sich traut zu rufen: „Aber der Kaiser ist doch nakkt“.
Hören wir Bert Papenfuß 1975:

heit is heit
heiten bleiben heiten
auch feitenkeiten
keit is keit
keiten bleiben keiten
auch keitenheiter
das wasser steht ueber unseren aengsten
danke

Und dann, irgendwann zwischen 1977 und 1981, ist er wirklich: „frei der heiten um zu streiten“. Um an dieser Stelle mal den alten Brecht zu parafrasieren (oh!): und heraus gegen ihn / wer sich traut.

III.
meine sagart ist so unbekwehm doch nicht

worum geht es er redet fon freiheit darum
ist keiner kein dichter der witze erzaehlt
[…]
es geht um die fertonung des orts & der zeit

− das war 1977 ein Programm, und zwar nicht nur für diesen Autor allein. Ernst Jandl, der in solchen Zusammenhängen immer zuerst genannt wird, und dies zu Recht, war solches als einem der ersten einleuchtend (drum hat er fürs Vorwort auch ein paar Sätze spendiert, in denen er Papenfuß einen „Dichter ersten Ranges“ nennt – ein Ritterschlag); es liegt ja auch nicht so weit weg von seinen eigenen Gedichten in „heruntergekommenem Deutsch“, im Gastarbeiter-Slang west-deutscher Industriepötte. Aber „broken german“ ist eben kein Privileg von Türkenkindern und Asylanten… Und nicht vergessen: es war die Zeit des Punk, als ein großer Teil der Texte des arkdichters entstand, und Papenfuß stand mit ihnen auf der Bühne, und sprach seine Texte ins Geheul und Gekreisch der Guitarren… und die freaks tanzten ihren Pogo dazu… und hinterher sah die Kirche aus wie nach einer Zwischenlandung von Dshingis Khan und seinen Leuten. Heute steht er mit der viel gesitteteren, dafür aber auch wesentlich besseren Band „ornament & verbrechen“ auf der Bühne des Kino’s Babylon. Ein radikaler Dichter ist Papenfuß immer noch, der – Radix, Wurzel – nach innen wie nach außen an die (Schmerz-)Grenzen geht, und erst abläßt, wenn entweder er selbst oder alle anderen umgefallen sind. Einer der sich nicht fest schreibt, weil er sich nicht um „die Literatur“ kümmert, sondern um seine eigenen Erfahrungen und seine eigene „Schreibe“. Seine Gedichte leben von der geschprochenen Schprache, in doppelter Hinsicht: sie sind vollgesogen vom Alltagsdeutsch und den Argots der Straße, und sie sind in ihrer offenen Struktur oftmals auch auf den mündlichen Vortrag zwar nicht angewiesen, aber auf ihn orientiert. (Wen’s wundert, wird zurückgestuft in den Anfängerkurs.) Sie lassen sich auf keinen Nenner bringen, die poetischen Hervorbringungen des Bert Papenfuß, und das macht eine ihrer Stärken aus, denn es gibt noch keinen Nenner dafür. (Hat da eben Heiner Müller zustimmend genickt mit seinem Satz, Kunst „ist parasitär, wenn mit Kategorien gegebner Ästhetik beschreibbar“?) Natürlich ist solche Art Dichtung in hohem Grad eigen-reflexiv und alles andere als naiv, aber die Poetik ist fließend, wandelbar. Wem trotzdem auf- und ab-schließende Schlüssel-Sätze unabdingbar sind, der lese auf Seite 85 „a kenntnis & b kenntnis“, das nebenher ein sehr schönes – wollte ich sagen: lyrisches? – Gedicht ist.

IV.
Inzwischen hat man sich auch um eine Ahnengalerie für die Papenfußsche Dichtung bemüht (vielleicht, damit sie nicht ganz so „mutterseelennakkt & splitterallein“ dasteht). Der frühbarocke Johann Fischart und Till Eulenspiegel wurden von Adolf Endler ins geistesgeschichtliche Feld geführt, von Karl Mickel die Zweite Schlesische Dichterschule. Der Anmerkungsteil des Buchs wischt solche gelehrten Brückenschläge schulterzuckend vom Tisch (Motto: ’s schad ja nix, aber viel Sinn machts auch nich). Vom Keltischen bis zum Rotwelsch und Sanskrit gehen, springen die Einflüsse unbeschwert kreuz & quer hin & her, wie’s eben „die fertonung des orts & der zeit“ – gebeut. Da gibt es unmutstoene nach Walther von der Vogelweide, klassische Formen wie Stanzen oder Sonette, einen spielerisch verarbeiteten Manierismus, Kneipenjargon in „Gedichten im Handgemenge“ (Theobaldy), daneben wieder zärtliche Anpreisungen der Geliebten, und die Abstürze danach. Was es aber bestimmt nicht gibt, das sind Liebäugeleien mit irgenwie kitschig verklärten Standards des „Poetischen“.
Für mich ist Papenfuß ein schreibbesessener Wortschamane, einer aus der hakenschlagenden Stadtguerilla, ein Anarchist des Poetischen, der seine Sprengsätze überall aufsammelt und mit ihnen herumschleudert in jegliche Richtung; einer (um nun doch noch eine Tradition zu benennen) der „poètes maudits“ unseres Jahrhunderts. (Wo er im vorigen gelandet wäre? Ganz sicher bei den Zigeunern – die es auch hierzulande gab –, den Vorstadt-Trinkern, Taschendieben und Vagabunden – oh Zeiten vor Einführung des Personalausweis’ – erinnert sich jemand an Peter Altenberg, der seine Manuskriptblätter im Seesack mit sich rumschleppte?)

V.
„Für wen schreiben Sie“ lautet eine der obligatorischen und jedesmal Verlegenheit stiftenden Fragen bei Lesungen. Ich weiß nicht, wie Bert Papenfuß sich aus der Affaire zieht, ob er Standards hat oder sich von der Nasenspitze des Fragers/der Fragerin leiten läßt. Aber ich höre schon die noch viel schwierigere Frage: warum schreibt der denn so anders? Und ich sehe (mit Grausen) den umstaendlichen Erklaerungen der Podiumsleiter entgegen. Papenfuß sagte (auch schon 1977) zu sich und dem Publikum:

− beschoenige nichts aber betoenige wichtiges
die sprache ermoeglicht die luege
die schrift auch die faelschung

Darum. Und wem das nicht ausreicht, der suche sich bei zarteren Gemuetern Linderung (ob nun Eva oder Ulla, die werden’s schon richten). Doch es wird noch schlimmer kommen: die, die hinterher immer alles besser wissen (besonders häufig findet man diese Spezies unter den Akadämikern und Oberlehrern) werden sich in die Brust werfen und erklären, daß das Besondere und Eigentümliche der nicht-gedrukkten DDR-Literatur mit diesem Buche floeten gänge und, leider, leider, nun unter die nivellierenden Zwänge der Medien gerate. Oh, Farisäertum, daß dir die Zunge ferfaule! Aber zum Glück auch wird das niemanden unter den Stadtindianern irritieren; es wird weiterhin getan und geschrieben werden, was getan und geschrieben werden muß.

VI.
Der Aufbau-Verlag eröffnet mit diesem Buch eine neue Reihe: AUSSER DER REIHE; Gerhard Wolf macht sich erneut als Herausgeber ferdient. Bücher von Rainer Schedlinski, Reinhard Jirgl, Gabriele Kachold, Jan Faktor u.a. sind angekündigt. Doch der Titel macht stutzen: außer der reihe? Soll das eine Vorab-Entschuldigung sein für außergewöhnliche Literatur? Aber dafür muß man sich doch nicht entschuldigen. Oder heißt das, daß alle anderen Bücher nicht außer der Reihe, also in Reih‘ und Glied stehen? Fatal, fatal. Und so viel schlechtes Gewissen hat der Aufbau-Verlag doch gar nicht nötig. Na egal, welchem fabelhaften Kopfe der Titel entsprungen sein mag, nehmen wir’s als Schwellenangstsyndrom, als leichtes Straucheln for neuen tapferen (ohne Schneiderlein) Schritten, und rufen der (späten) Geburt unser „Hallelujah“ zu. Ich jedenfalls freue mich diebisch über dieses Buch (dabei kostet es wirklich nur 9.80 M).

Peter Böthig, zuerst in: Temperamente, Januar 1989.
Erschienen in Peter Böthig: Grammatik einer Landschaft, Luaks Verlag, 1997

„stimmt, nichts stimmt; was stimmt, stinkt“:

– Lyrik von Papenfuß Gorek. –

1985 debütierte Bert Papenfuß-Gorek bei einem kleinen Westberliner Verlag mit dem Lyrikband harm, und mittlerweile gilt er als wichtigster Vertreter der jungen anarchisch-experimentierfreudigen Autorengeneration vom Prenzlauer-Berg, die währen der Honecker-Ära in den Feuilletons des Westens mehr gehätschelt als gelesen wurde und auf die man nun, wir sind in der Kohl-Zeit, mit Genuß einschlägt. Wen man mit der Stasi-Keule nicht treffen kann, den beglückt man mit dem hundertsten Aufguss der Realismusdebatte (die Rebellen von einst sind plötzlich zu postdadaistischen Gartenzwergen mutiert, die Stichwörter liefert Wolf Biermann). Dass Papenfuß-Gorek, der in den letzten Jahren zahlreiche recht umfangreiche Lyriksammlungen veröffentlicht hat, ein eminent politischer Autor ist, kann man auch anhand der hier vorgestellten Bände vorwärts im zorn usw. und LED SAUDAUS erkennen. Er ist es nicht so sehr deshalb, weil er politische Vorgänge anspricht, z.B. „die lichtscheuen greise versunkener reiche“, weil die SPD, die PDS und die „seilschaften der zögerlichkeit“ vorkommen, sondern weil er sich eine Sprache erarbeitet, mit der er sich radikaler als alle anderen deutschsprachigen Dichter von der Macht absetzt.

wer ins system will, soll es doch wollen, es winkt die macht
des zicks & des zacks, des schnicks & des schnacks, des sieges
& des sargs: totenkult daneben – leben im eimer, schneefallende unbedeutsamkeit.

Wer ins System will, der verinnerlicht die Sprachsärge, die festgefügten Muster, die Diktatur des gelenkten, geordneten, zielstrebigen Sprechens, die in den poetisch aufgeladenen Texten einbetonierten Körpererfahrungen von sich und von anderen. Wer keine Lust auf die Totenkulte und die endlos wiederkehrenden, verzehrenden Siegesserien hat, auf das „Über“ und „Unter“, der muß sich keine neuen Parolen suchen, sondern eher eine neue Grammatik, in der er seine Sinnzusammenhänge sinnlich machen kann, der kann in der Literatur, so, wie es Papenfuß-Gorek macht, mit dem auf Ergebnisse fixierten Schreiben aufhören und den Entwicklungsprozess beim Schreiben zulassen. Dann entstehen ganz unverkrampfte, gänzlich eigene Gedichte, in denen Platz ist für das Erlebte. Papenfuß-Gorek hat sich einen erstaunlichen Freiraum erschrieben, er traut sich an große Themen und traut sich dabei, zu kalauern, abzuschweifen, Blödsinn zu machen, und immer wieder: Sinn.
anarchie – qwertzuiopü“, spielt er, „gegen imperiale sprachkonzepte / gegen konsequenzen, gegen das hochdeutsche / für das niederdeutsche unterdeutsche / in aller deutlichkeit undeutsch“. Wer aus dem Sprachbeton herauskommt, hat einen lockeren Textkörper, und kann schreiben: „stimmt, nicht stimmt; was stimmt, stinkt“. Wer mit der Macht verkabelt bleiben will („es ist das schmachten nach macht / das leidtut / rumdruckst, leid antut / & abmurkst“), der braucht die folgerichtigen Sätze, die erfolgreich gesetzten Adjektive, die Bindewörter zum Schmieren der metallischen, bedrohlich knirschenden Gelenke (da wird immer etwas zermalmt, ausgelöscht). „gedicht um gedicht bin ich / dem leben immer mehr verhaftet“, heißt es im neuen Aufbau-Band, dessen Texte zwischen 1984 und 1989 geschrieben wurden und deutlich machen, daß ein Autor, der sich nicht hinter starren Masken und unreflektierten Attitüden versteckt, ganz verschiedene Sprechweisen verwenden kann, und immer hört man seine unverwechselbare Stimme heraus, die nicht auf das Perfekte scharf ist. Zum „standartarsenal“ des Anarcho-Dichters gehören auch die Elfen und Mätressen, Lanzelot, die Hexen, Königinnen und das alchemistische Gold – der Untergrund vom Underground ist die Verwurzelung mit den alten Mythen, auch das Rotwelsch.
LED – Light Emitting Diode – nennt man, so der Klappentext von LED SAUDAUS, ein Halbleiter-Bauelement, das bei Anlegung einer Spannung auf Grund elektronischer Prozesse Licht ausstrahlt. Papenfuß-Goreks poetische LEDs, die im Verlag von Gerhard Wolf (dessen Aufbau Reihe Ausser der Reihe 1988 mit dreizehntanz begann, einem Querschnitt durch das bereits jetzt kaum zu überschauende Werk des 1956 geborenen Lyrikers), verstärkt den Eindruck, den man bereits bei tiské (Steidl, Göttingen 1990) haben kann – nämlich daß Papenfuß-Gorek zurzeit Wert darauf legt, verstanden zu werden, daß er etwas mitteilen will und dem Leser mehr entgegenkommt als in stärker experimentellen Bänden wie SoJa (Druckhaus Galrev, Berlin 1991). Immer wieder reflektiert er seine Arbeit, im ersten Teil, „notdichtung“, heisst es:

versuchte mich in gedichtzyklen zu bewegen, die sich aufspulen
so hoffe ich denn immer noch, eine entwicklung nachzuweisen
die mich mit sich reisst, so es mir gelingt, sie abzuschreiben
ich will alle einheit verwischen; vormachen, was ich vermisse
eine allheit euch anmachen, die ihr nicht von euch weisen könnt
solange ihr das gedicht nicht verlasst, das mich veranlasst.

Leben und Schreiben als Einheit, will sagen: „allheit“ – die Baudelairesche Maxime „Sei immer Dichter“ könnte auch für Papenfuß-Gorek gelten, der keine künstlichen Paradiese will, sondern lebendige. Und mehr Leser als Rezensenten bei seiner Aneignung der erfahrbaren Welt im Schreiben:

erinnere mich noch gut, ausposaunt & gemeint zu haben
ich sei ins leben gekomen, dies & yang zu erledigen
ein zickiges karma abzurackern usw.; bin ich aber nicht
ich verbleibe haargenau woanders, außerhalb, nirgenddort
teilnahmslos fühle ich die süsse milde der einsamkeit
zu deren insassenvertreter ich mich hochgeackert habe
indem ich alles herausschreibe, gehört mir die welt zu.

schreibt er im zweiten Teil des Buches, der 1990 verfassten „karrendichtung“, der „zitate & diktate des selbst & des unselbst“, die er grafisch ergänzt hat. „man sollte im gegenteil“, fordert Bert Papenfuß-Gorek, „aber man sollte sehr“.

Dieter M. Gräf, Basler Zeitung, 6.3.1992

Buchrezension

Die Rezension wurde Mitte November 1991 geschrieben, kurz nachdem Biermann publik gemacht hatte, die Symbolfigur der Künstlerszene vom Prenzlauer Berg, Sascha Anderson, sei ein Stasi-Spitzel gewesen. Offen ist im Moment noch, ob die von Anderson mittlerweile zugegebene Verwicklung mit der Stasi die Subkultur am Prenzlauer Berg tatsächlich wesentlich beeinflußt hat. Sollte letzteres der Fall gewesen sein, so müßte sich der Kritiker zwangsläufig auch mit den Mutmaßungen Lutz Rathenows auseinandersetzen, die Stasi habe Literatur nicht nur verhindert, sondern auch geplant, habe die Entpolitisierung der Avantgarde innerhalb der Prenzlauer Berg connection manipuliert and gesteuert. Das könnte bedeuten—wie Wolf Biermann es in seiner Dankesrede für den Mörike-Preis formuliert—, daß „die bunte Kulturszene am Prenzlauer Berg [in der Tat] ein blühender Schrebergarten der Stasi war. Jedes Radieschen numeriert an seinem Platz“ (Spiegel, 18. November 1991).
Schatten fielen dann auch auf den Kreis der Autoren um Anderson; kurzum, eine Neubewertung der „Szene“ generell stünde auf der literaturkritischen Tagesordnung. Man könnte endlos weiterspekulieren. Wie auch immer das Urteil ausfallen mag, am starken lyrischen Talent des Sprachinnovators und -kritikers Bert Papenfuß-Gorek wird niemand zweifeln können, ebensowenig wie zu bezweifeln ist, daß in Papenfuß’ Textexperimenten lange vor dem Fall der wirklichen Mauer radikal und ausschließlich die sprachlichen Grenzen eingerissen wurden, die endlose verballhornende Grenzüberschreitungen innerhalb der ideologischen Sprachkonvention möglich machten.
Papenfuß-Gorek hatte jahrelang in Anthologien aus Ost und West—vorrangig aber im Untergrund—veröffentlicht, bis er 1985 in West-Berlin den Zyklus harm herausbrachte, dem 1988 der Sammelband dreizehntanz folgte. Letzterer leitete die von Gerhard Wolf herausgegebene Reihe Außer der Reihe ein. Das Versatzstück vorwärts im zorn, das auch als Titel von Papenfuß’ letztem Lyrikband fungiert, ist dem Text „zierliche eruption“ entnommen, der einen alchymischen Arbeits- und Auflösungsprozeß — die Dekonstruktion von Sprache und Realität — vor Augen führt. Da im gegebenen Herrschaftssystem „Be-schreibung“ und „Vor-schreibung“ auf eins hinauslaufen, setzt Papenfuß auf die „Um-schreibung“ feststehender Syntagma, löst aus dem „diffusen Etwas“ konventioneller lexikalischer Bedeutungen unbelastete Wortradikale heraus: „ich schmeiße das alchemistische gold / in das buchstäbliche feuer ALLESREIN / ein teil lodert, der andere rinnt / wir grinsen; lächeln / vorwärts im zorn“. Papenfuß zerlegt, destilliert, verschmilzt, verkürzt und erweitert das vorgegebene Wortmaterial. Indem er die übliche Orthographie der Worte ändert, Wortsilben willkürlich trennt oder Klangassoziationen herstellt, entwirft er ständig neue Fügungen (wie z.B . „staatsabba- / rat“, „interrationale“ etc.). Die spielerisch ernste Absicht dieses Sprachmagiers, Sprachregelungen aufzuweichen, ist politisch zu werten. Das ist selbst dort der Fall, wo der Text außerhalb der offiziellen Politsprache angesiedelt zu sein scheint, denn immer wieder fällt Papenfuß auf zementierte Phraseologie zurück, die er aufbricht, um dann mit ihren Einzelteilen spielerisch zu jonglieren: „genossene werte, verwesende verehrte! / wir wollen hier nicht rotmalen, aber / eröffnen wir uns, sind aufgeschlossen…“. Biermanns Verriß der „angestrengt unpolitischen Pose am Prenzlberg,“ die eine „Stasizüchtung“ gewesen sei, trifft die sprachkritische Dichtung Papenfuß’ nicht, — so sollte man meinen.

Bereits 1988, in dem bekannten Interview mit Egmont Hesse (Sprache & Antwort), hatte Papenfuß das „Wortspiel“ als eine für ihn lebenswichtige Methode identifiziert, mit Sinnlosigkeit fertigzuwerden: „Das ist mein Experiment, das ist mein Leben, mit dem ich experimentiere, ich sehe mich nicht als Experimentator an der Sprache, sondern das ist mein Leben.“ Zu diesem Credo einer destruktiven Poetik als Lebenselement bekennt er sich auch in seinem neuen Lyrikband: „zumindest mein leben ist ein wortspiel… / aufbiegen & aufbrechen“. Papenfuß agiert mit dem der anarchistischen Agitationssprache entspringenden Wort „Tat“, das er in einem „TrakTat zum Aber“ einmontiert, um die gleitende Bewegung der Begriffe zu präsentieren. Dem Zyklus folgt ein Appendix zur „TrakTat zum Aber: offene feldarbeit“, wobei die Änderung des Genus’ von „der/das Traktat“ zu „die TrakTat“ Dynamik suggeriert. Beendet wird der Zyklus mit dem „schluß der ,TrakTat zum Aber‘: der blutspur“. In diesem Spiel mit dem „aber“ im Sinne von „über“ bzw. „ABER ist nicht ,gegen‘ / sondern ,wegen‘ & ,für‘ /: vorwärts!“ (Es wird gegen grammatische Konventionen angerannt, werden Grenzen eingerissen. Das „aber“ ist — wie Papenfuß vorgibt — „an sich / für mich / zwekkfrei / freiwillig / gegenstands / los“, aber eben nur „an sich“, denn dahinter verbirgt sich die bewußte Intention, realsozialistische Syntagma zu zerstören.

Auffällig ist im Wortmaterial der restlichen Gedichtkomplexe („katastase“, „katharsis“, „kater“; „urlogik im dialekte“) ein Gestus, der auf Gewalt oder auf eine sprachexperimentelle Auseinandersetzung mit Militanz zu zielen scheint. Vokabular aus militärischem Bereich springt ins Auge. Die Präsentation von Gefühlsprozessen oder diversen Situationen des Alltags ist durchschossen von solchen Begriffen: „in der scheiße bis an die waden / schwadronieren wir durch schwaden / schwärzesten schwarzenbergianertums / schwa-, schwa-; was ich nicht weiß / überkommt mich kalt & wohlweislich / weise ich ver- & stelle mich längs / dumpf bellen die bananen, mir schwant / kürasserie den wankelmut besiegen täte“ („Schweiß“); oder: „pro hundertschaft eine mark / einen pfennig je pimpf / tot oder lebendig…“ („abtausch“). In diesen Details u.a. auch Stasipräsenz oder -Gewalt wahrzunehmen, liegt im Moment in der Luft. Es mag überzogen wirken, aber in schillernden Sprachgefügen wie den folgenden scheinen sich neben Sprachskepsis und Verweigerung auch noch ganz andere Dimensionen aufzutun, in denen sich Verunsicherung und Ängste aufspüren lassen: „Schalt an, hör nicht hin, schalt ab, hör mal rein / ein bonz’ — ein bolzen, ein wanst — ein wehwehchen / wer bricht die fugen, fügt die brüche / wer tut gefallen, fällt tot um / wer ist wer, warum ich / wer bist du…“. Ähnliches ließe sich ebenfalls dem Gedicht „wissen & macht“ entnehmen, einem urplötzlich diskursiv-dialogisch wirkenden Text, dessen semantische Verschränkungen auch Verstrickungen und Ohnmacht suggerieren können:

ich weiß
daß du weißt
daß ich weiß
daß du nicht weißt
& zwar weder ein noch aus
− ach, mach dir nichts draus

Christine Cosentino, GDR Bulletin, 1992

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Beatrice von Matt: Lyrik 1991. Hinweise auf wichtige deutschsprachige Neuerscheinungen
Neue Zürcher Zeitung, 17.1.1992

 

 

Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring

Heribert Tommek: „Ihr seid ein Volk von Sachsen“

 

 

Mark Chaet & Tom Franke sprechen mit Bert Papenfuß im Sommer 2020 und ein Auftritt mit Herbst in Peking beim MEUTERLAND no 16 | 1.5.2019, im JAZ Rostock

 

Kismet Radio :: TJ White Rabbit presents Bertz68BirthdaySession_110124_part 2

 

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Lorenz Jäger: ich such das meuterland
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.1.2016

Zeitansage 10 – Papenfuß Rebell
Jutta Voigt: Stierblut-Jahre, 2016

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Thomas Hartmann: Kalenderblatt
MDR, 11.1.2021

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + KLGIMDb +
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Porträtgalerie: Autorenarchiv Susanne Schleyer + Keystone-SDA +
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shi 詩 yan 言 kou 口

 

Einladungskarte zur Beerdigung von Bert Papenfuß

Einladungskarte zur Beerdigung von Bert Papenfuß

 

Nachrufe auf Bert Papenfuß: FAZ ✝︎ taz 1 & 2 ✝︎ BZ 1, 2 & 3 ✝︎
Tagesspiegel ✝︎ LVZ ✝︎ telegraph ✝︎ lyrikkritik 1 & 2 ✝︎ NDR ✝︎
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artour ✝︎ Fotos

 

 

 

Nachruf auf Bert Papenfuß bei Kulturzeit auf 3sat am 28.8.2023 ab Minute 27:59

 

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Papenfuß-Gorek“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Bert Papenfuß

 

Bert Papenfuß liest bei OST meets WEST – Festival der freien Künste, 6.11.2009.

 

Bert Papenfuß, einer der damals dabei war und immer noch ein Teil der „Prenzlauer Berg-Connection“ ist, spricht 2009 über die literarische Subkultur der ’80er Jahre in Ostberlin.

 

Bert Papenfuß, erzählt am 14.8.2022 in der Brotfabrik Berlin aus seinem Leben und liest Halluzinogenes aus TrakTat zum Aber.

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