Admiral Mahić: Flirrende Visionen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Admiral Mahić: Flirrende Visionen

Mahić-Flirrende Visionen

PERSONALAUSWEIS

Mondscheingeister schmieden
mir einen Stern, dabei habe ich noch keine ordentlichen
Papiere für die Erdpolizei!
In der Galaxie bin ich bekannt, aber im Dorf verdächtig.
Geburtsdatum – der 19. Jänner, der offen die Wahrheit sagt…
Geburtsort – ein Zeppelin, vollgepumpt mit Gedanken aus denen Bilder aufblitzen…
Personenkennzahl – unzählig.
Zuständige Behörde – Stammcafé Basis mit Flaschenbeamten
im mentalen Minenfeld.
Adresse – Liebespfad…
Mein Weg ist ein Labyrinth, mein Leben hat sich verkühlt,
ich habe mein Herz ausgeschüttet in die eiskalten Windeln allgemein menschlicher Selbstsucht. Aber
meine Diplomprüfung war die Liebe unter Pflanzen in denen verborgene Chöre summen…

Ich hüte mich vor in Rechnung gestellter Geschmacklosigkeit.
Der Staat ist Schinderei und Schweiß in den Unterhosen.
Ich hüte mich vor dem Spieß der Missgunst und vor Trinkbarem, das in der Leber aufblitzt.
Ich vertreibe die Nebel auf der Weltkarte in der Auslage des Reisebüros –
um in mir das göttliche Leuchten zu verstärken…
Ich hüte mich vor den Hassern: Kommt mir bloß nicht zu nahe –
ich lebe dort – wo ihr noch nicht einmal im Traum wart…

Wohnsitzgemeinde – Frühmorgens gehe ich los, immer im Kreis
auf der Handfläche einer Bettlerin, um meinen Gedichtband zu verkaufen,
um meine Rechnungen zu bezahlen… ach, wie herrlich es ist, auf der Handfläche einer Bettlerin umherzuspringen,
aber es ist furchtbar, die Handfläche einer Bettlerin zu sein!

Gesundheitszustand – Ich dusche mit einer Geldüberweisung von Western Union.
Ich habe in der Zeitung inseriert – Tausche Einzimmerwohnung
gegen Garçonnière im Geldautomaten oder im Tresor der Zentralen Ameisenbank.
Ich ließ eine Anzeige im Radio schalten – Suche geschiedene Frau,
die Schlag Mitternacht laut die Biografie des Utopiepräsidenten zu lesen beginnt.

Nachname – Mahić schlägt mit den Flügeln und folgt einem Gedicht auf seinem Flug!
Für gewöhnlich in die Herzegowina, sie ist eine Biene, die mit Akzenten
und aromatischen Wörtern heilt. Und schau, Mahić läuft über Sterneninseln!
Und schau, Mahić ist in das bosnische Kreuzfeuer aus Eis und südlicher Sphäre geraten,
in den Zweikampf von Schlaf und Todeserwachen…!
Vorname – Admiral ist ein Nomade, der nur ein Zelt hat und darin träumt,
ein Seemann zu sein.
Mahić ist ein Schwimmer mit leeren Taschen
der irgendwo verloren gegangen ist beim Begräbnis der Freiheit…

 

 

 

Emigrant in einem Tropfen Lavendelöl

In Sarajevo erzählt man sich, dass zu Beginn des Zerfalls Jugoslawiens, in den frühen Neunzigern, bei einer Versammlung im Haus der Autoren Admiral Mahić sich zu Wort meldete und rief:

Das ist das All, und kein Stall!

Der Grund dafür, dass Admiral diesen Satz ausstieß, den so mancher als kostbaren Vers hüten würde, hätte er ihn aus irgendeinem Anlass selbst geschrieben, war der Sarajever Regisseur Emir Kusturica, der damals für die Politik von Slobodan Milošević agitierte (später sollte Kusturica als Dank für seine willfährige Unterstützung des Diktators einen ganzen Berg zum Geschenk bekommen). Für eine Politik, die zum blutigen Zerfall Jugoslawiens führen sollte, der bis zum heutigen Tag nicht endgültig abgeschlossen ist.
So fiel Admirals Reaktion darauf aus. Was nicht bedeutet, dass seine Poesie dezidiert politisch ausgerichtet oder ein typisches Beispiel für engagierte Literatur wäre, in diesem Aufschrei verbirgt sich vielmehr Admirals Gerechtigkeitssinn, sein Gefühl für Schwächere, für alle Erniedrigten und Verletzten, denn ein Dichter seines Formats muss vor allem ein Gespür für eine schwarz-weiß Zeichnung der Welt haben. Ein Gespür für jene Dosis an Naivität, welche die guten Geister der Literatur auszeichnet, und Admiral war zweifellos ein solcher.
Admirals poetisches Bild des ehemaligen Jugoslawien ist in vieler Hinsicht karnevalesk, überaus geistreich, wie auch seine Dichtung insgesamt, in der er skurrile Metaphern für die totalitäre Seite des jugoslawischen Regimes aneinanderreiht, wobei er aber nie die Vergangenheit revidiert, wie das heute modern ist, nein, seine dichterische Kritik ist mehr Lobrede als Beschimpfung, eine leicht schräge Lobrede samt Rückschau auf die Parallelwelt der Spitzel, Milizionäre und anderer Schergen der Macht.
Aus diesen jugoslawischen Metaphern schuf er seine persönlichen Metaphern, die er auch dort verwendet, wo seine Poesie in keinem Zusammenhang mit Jugoslawien steht. Denn während sich dieser Staat allen Menschen eingeprägt hat, die in ihm geboren wurden, sollte sich Admiral als eines seiner ersten Nachkriegskinder erweisen.
Es ist schwierig, die Essenz von Admirals Dichtung auszumachen, denn seine Poesie ist Gegenstand ihrer eigenen fortwährenden Kosmogonie; sie erschafft unaufhörlich ihre eigenen Bedeutungswelten und häufig ist sie Widerspiegelung des Unterbewussten, Surrealen, manchmal auch eines sympathisch verrückten, überdrehten Blicks auf das Leben und die ganze Welt.
Admirals Poesie ist aus jener Strömung in der Lyrik nach Whitman hervorgegangen, die alles, was auf der Welt geschieht, geboren wird oder stirbt, gleichzeitig beschreiben will. Seine Poesie ist ein Blick in Borges’ Aleph, der Schnittpunkt aller Zeiten und aller Räume. Sie ist ein gewaltiges Brodeln des Lebens, ein Festtag, an dem das Leben wahrhaftig gefeiert wird.
Admirals Dichtung reicht in sämtliche Welten, vom Asyl in einem Tropfen Lavendelöl bis zu den so oft erwähnten Universen, Sternen, Sonnen und Welträumen. Die Idee von der Flucht in eine bessere Welt ist eines der großen Themen der gesamten Kunst. In Admirals Version von dieser Idee möchte er in einen Tropfen Lavendelöl emigrieren.
Seine Dichtung ist aber zweifelsfrei auch vom Mediterran geprägt, in ihr dominieren immer wieder das Sonnenlicht, saftige Früchte, Honig, Wein, Feigen und Meereswellen. Es ist auch eine Poesie der fortwährenden Reisen, sowohl realer als auch imaginärer Reisen durch die Geschichte der menschlichen Seele. Durch philosophische Ideen, Metaphern, die Geschichte, durch Abenteuer von Geist und Sprache.
Admirals Poesie ist ein großes Wagnis seines Geistes, dieses faszinierend unruhigen, lyrischen Geistes, der in einem seiner autopoetischen Verse, im Gedicht „Ziegenbrücke“, von sich sagt:

Vom Bösen fern hält mich der Glaube an die Poesie!

Wer Admiral kannte, der wusste auch, dass er seine Poesie tatsächlich lebte; dass er für die Poesie lebte, mit ihr abends zu Bett ging und morgens mit ihr aufwachte. Einmal meinte er:

Wenn ich bloß niese, ist da schon eine Metapher.

Seine Lyrik ist überaus reich an Metaphern, und mögen manche auch schräg erscheinen, Admirals Metaphern finden ihre Bestätigung durchwegs in der authentischen, menschlichen Erfahrung. Deshalb sind sie häufig bitter, auch dann noch, wenn sie überschwänglich das Leben feiern, oder sie sind humoristisch, obwohl sie für eine schwere Enttäuschung, Resignation oder Depression stehen.
Admiral Mahić ist ein Dichter von ekstatischer Weltanschauung, in seiner Poesie existiert keine Mitte. Seine Gedichte sind niemals langweilig, selbst dann nicht, wenn er Dinge aufzählt oder wenn er Gedichte als Danksagungskataloge für Menschen benützt, die ihm im Leben geholfen haben. Man könnte sagen, dass Admiral diese Form des lyrischen Danksagungskatalogs sogar erfunden hat, in dem er die menschliche Güte, Barmherzigkeit und Liebe feiert.
Vielleicht geht es in dieser Dichtung im Wesentlichen doch um die ewige Suche nach der Liebe, sei es die reale Liebe zu einem anderen Menschen oder jene metaphorische Liebe, die Rumi besingt; die Liebe zu allen Dingen, zum Absoluten. Gedichte, gewoben aus Sinnlichkeit und ätherischer Zartheit. Aus Sex und aus hehren Gefühlen.
Es ist schwierig, diese Art ekstatischer Poesie auf ein paar Charakteristika zu reduzieren, die sie womöglich erklären sollen, denn es ist unmöglich, die Imagination und die Kraft von Admirals dichterischer Vision zu erklären.
Hätte er in irgendeinem anderen Land gelebt, in einer anderen Stadt, und nicht in Sarajevo, ich bin sicher, sein Leben hätte anders ausgesehen, weniger dornig, dafür glanzvoller, vielleicht rühren daher die vielen Sterne in Admirals Poesie. Denn Sarajevo ist eine rohe, unbarmherzige Stadt, in der dich die Leute bis zum heutigen Tag schief anschauen, wenn du sagst, dass du ein Dichter bist.
Deshalb hat man das immer beinahe im Flüsterton ausgesprochen, als wäre man an irgendetwas schuld, denn primitive Milieus dulden niemanden, der anders ist als sie selbst. Admiral schämte sich natürlich keineswegs seiner Zunft, er stand ganz im Gegenteil offen und mit Selbstironie dazu, wodurch er die Krankhaftigkeit der Welt aufzeigte, in der wir leben, denn der Dichter ist die Antenne der Rasse, wie Ezra Pound schrieb.
In einem Video von seiner Buchpräsentation unmittelbar vor Kriegsbeginn in Bosnien-Herzegowina im legendären Jazz Club Zvono sah ich Admiral zu jener Zeit, als er jung war und am Beginn seiner schriftstellerischen Karriere stand. Eigentlich war er genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte, bevor er starb. Nur war seine Gestalt aufrechter, das Haar dunkler und das Gesicht klar und hell.
Bei der Veranstaltung wandte sich Admiral charmant an das Publikum und die Rezensenten, unter ihnen auch Miljenko Jergović, und sprach davon, dass er viel lese, dass er ein gebildeter Autor sei, denn die Rezensenten hatten mit einem Augenzwinkern über seine Poesie gesprochen wie über etwas nicht Ernstzunehmendes und rein Zufälliges. In diesem Dokumentarfilm konnte man deutlich das Verhältnis der gesamten Gesellschaft zum Dichter als solchem sehen, denn man war der Ansicht, ein Dichter sei ein primitives Genie, ein schmuddeliger Alkoholiker, hungrig und übergeschnappt; ein Verrückter, der mit Engeln spricht, im Wesentlichen ein Faulpelz und Taugenichts; das heißt ein Schädling, ein Nichtsnutz in einer geordneten, kleinbürgerlichen Gesellschaft wie es die sozialistische jugoslawische Gesellschaft war.
Solcherart war die Einstellung zu Admirals Dichtung auch in höheren akademischen Kreisen – Ehre sei den raren Ausnahmen wie zum Beispiel Marko Vešović, der Admirals Manuskripte redigierte und über seine Poesie schrieb.
Es tut mir leid, dass ich Admiral nicht in seinen jungen Jahren kannte und dass ich auch selbst immer wieder dem widerwärtigen Etikett aufgesessen bin, das ihm die Kulturschickeria auf den Rücken geheftet hatte. Erst in diesem Video erkannte ich, wer dieser Mensch gewesen war, und was dieses Umfeld später aus ihm gemacht hatte. Aus ihm als einem Menschen, dessen Leben nicht gerade ein Honiglecken war. Das Einzige, worin er unantastbar war, waren seine Verse.
Deshalb war Admiral ein Dichter, weil Schreiben ein unendliches Gefühl der Freiheit bedeutet, und wenn Sie so wollen, ein Gefühl der Macht, nicht der Macht über jemanden anderen, sondern ein Gefühl von uneingeschränkter Kraft und Freude daran, sein eigenes Leben zu leben.
Dies ist bereits die zweite posthume Auswahl aus Admirals Dichtung nach jener, die Goran Simić für den Verlag Buybook in Sarajevo redigierte und die einen Tag nach Admirals Tod erschien. Man erzählt sich, dass Admiral an seinem letzten Lebenstag die Leute im Altenheim, in dem er untergebracht war, fragte, warum er hier sei.
Er verlangte danach, ins Spital verlegt zu werden, denn er wollte Medikamente verabreicht bekommen, die es ihm ermöglichen würden, aufzustehen und zu seiner letzten Buchpräsentation zu gehen.
Er ging fort im unerschütterlichen Glauben an seine Poesie. Emigrierte schließlich in einen Tropfen Lavendelöl. Dorthin, wo die Sterne keine Schuld haben, in jenem mythischen Autobus, der wie verrückt über nordafrikanische Straßen jagt:

Ich hätte mich in Ägypten vermählen können
mit einem Strahl der untergehenden Sonne
der majestätisch die Tore zu den Fluren aufstößt
vor dem Autobus, der wie verrückt
von Kairo nach Port Said jagt…

Faruk Šehić, Nachwort

 

Admiral Mahić

nimmt eine Sonderstellung in der bosnisch-herzegowinischen Literatur ein. Er ist Vertreter einer ekstatischen Poesie, die das Leben feiert, aber auch Echoraum für das multikulturelle Milieu Bosniens und die historischen Verwerfungen in dieser Region ist. Seine eigenständige Poetik, eine hohe sprachliche Qualität und nicht zuletzt seine liberale und humanistische Grundhaltung kennzeichnen seine Lyrik und machen ihn zu einer Entdeckung. Mit der vorliegenden Auswahl an Gedichten aus mehreren Bänden (von 2008 – 2015) besteht erstmals die Möglichkeit, diesen herausragenden Autor in deutscher Übersetzung umfassend kennenzulernen.

danube books, Ankündigung

 

Beitrag zu diesem Buch:

Timo Brandt: Skurrile Weltbewegtheit
signaturen-magazin.de

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Admiral Mahić liest am 6.8.2010 beim Poesieabend Fluss aus Stein in Počitelj.

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