Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – «Ein Dichter bin ich!» (Teil 3)

«Ein Dichter bin ich!»

Teil 2 siehe hier

Den informationellen und ideologischen Überdruck durch Texte veranschaulicht Godard am eindrücklichsten in seinem antirevolutionären Revolutionsfilm «Die Chinesin» (La Chinoise, 1967): Ort der Handlung ist hier eine Wohngemeinschaft junger Maoisten, die um sich herum – auf Tischen, am Boden, in Wandregalen – nichts anderes als Tausende von ununterscheidbaren «Roten Büchlein» mit den Agitationstexten des grossen Vorsitzenden gestapelt haben, über das sie unentwegt reden, sich ereifern und gleichzeitig sich langweilen. Das damals weithin verbreitete «Rote Büchlein» steht in diesem Fall für die Welt der Texte generell, die bestenfalls «schön», nie jedoch «wahr» sein kann. Wenn Jean-Luc Godard das millionenfach gedruckte maoistische Lehrbuch als Makulatur ausweist, ist dies analog als Verdikt über die schriftlich fixierte Sprache zu verstehen, die in solchem Verständnis notwendigerweise wirklichkeitsfremd, wenn nicht lügenhaft sei. Von daher wird vielleicht auch klarer, was Godard, der Vielleser, gemeint haben könnte mit dem ruppigen Spruch: «Ich kann nicht lesen.»

 

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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