Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – «Ein Dichter bin ich!» (Teil 2)

«Ein Dichter bin ich!»

Teil 1 siehe hier

Es gibt wohl keinen Film von Godard, der ohne Einblendung von Schriftzeichen unterschiedlicher Art auskommt, egal, ob es sich dabei um einzelne Wörter oder Namen handelt, um Aussage- oder Fragesätze, um abgelichtete Zeitungen und Magazine, um Bücherrücken oder -umschläge – lauter Vorgaben, die nicht nur gesehen, sondern auch gelesen werden wollen. Indem Godard auffallend oft Kioske, öffentliche Werbeslogans, Firmentafeln, Plakate, auch Buchhandlungen und Privatbibliotheken ins Bild rückt, hält er die Sprache in ihrer Schriftlichkeit nachhaltig fest. Dass er einst einen Film geplant hatte, der ausschliesslich lesende Frauen, Männer, Kinder zum Gegenstand haben sollte, sei nebenbei bemerkt.

 

Homo legens – lesende Menschen als Protagonisten (Standbilder aus Filmen von Jean-Luc Godard)

 

In «Die Verachtung» (Le mépris, 1963), einem Film über die Entstehung eines Films, ist Literatur allgegenwärtig. Erstens liegt diesem Werk ein Roman von Alberto Moravia zugrunde; zweitens tritt als Protagonist ein junger Literat aufliegt, der zu dem geplanten Film – im Film – das Drehbuch abfassen soll; drittens finden sich – im fertiggestellten Film – mancherlei Anspielungen auf Autoren der französischen Gegenwartsliteratur; viertens lässt Godard seine Darsteller immer wieder beiläufig Zeilen von Homer, Dante, Shakespeare, Hölderlin zitieren, was bald zu amüsanten, bald zu irritierenden Verfremdungseffekten führt, etwa dann, wenn der ungeschlachte Hollywoodproduzent (hier als karikaturhafte Filmfigur) in perfekter Diktion Shakespeareverse von einem Streichholzbriefchen abliest. Die Beiläufigkeit und Abschätzigkeit, mit der in diesem wie in andern Momenten höchste Literatur mit dem üblichen Pathos zitiert wird, hebt immer auch deren Künstlichkeit hervor, hebt sie ab von der verwahrlosten Alltags- und Berufssprache, die sonst in diesem Film dominant ist.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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