Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Kuhlbrodts Gedicht (Teil 4)

Kuhlbrodts Gedicht

Thesen, Gegenthesen, Fragezeichen

Teil 3 siehe hier

Weitere zehn Thesen widmet Jan Kuhlbrodt dem Reim, mithin einem dichterischen Verfahren und einer dichterischen Formbildung, die man gewöhnlich einem althergebrachten Regelzwang zuschreibt. Geschichte und Theorie der Reimtechnik sind in der Forschungsliteratur reichlich abgehandelt worden, nur ganz selten jedoch hat man den Reim als rhetorischen oder poetischen Befreiungsakt belobigt, wie Kuhlbrodt es nun in seinen dezidierten Thesen tut: «Ob ein  Reim gelungen ist, erweist sich in der Freiheit der Aussage.» Und explizit: «Der Reim widerspricht als gelungener dem Reim- und dem Sinnzwang.» Oder ausufernd ins Philosophische, fast schon Religiöse: «Der Reim ist nicht das zu Rettende, sondern das Versprechen der Rettung.» Und noch: «Sein Klappern ist der Nachhall des Unbedingten.»
Was ist denn nun aber ein «gelungener» Reim? Ist es der exakte (klassizistische) Reim, der gerade nicht klappert im Unterschied zum ungenauen Reim, den man bei Autoren wie Rilke, Majakowskij oder Marina Zwetajewa als besonders «reich» zu schätzen weiss? Und überhaupt: Welchen Reim hat Kuhlbrodt im Sinn – ausschliesslich den Endreim? Auch den Binnenreim? Die assonantische Wortverbindung? Auf formale Kriterien mag Kuhlbrodt nicht eingehen, seine «Thesen» sind als Forderungskatalog anzunehmen oder abzuweisen, Erklärungen dazu gibt es nicht, braucht es vielleicht auch gar nicht, da es hier wohl eher um Provokation denn um Aufklärung geht.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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