Gregor Laschen: Lyrik in der DDR

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Gregor Laschen: Lyrik in der DDR

Laschen-Lyrik in der DDR

STATT EINES NACHWORTS: „VORLÄUFIGES“

– Zur jüngsten Lyrik in der DDR. –

Das Jahr 1964 war für die jüngere Lyrik in der DDR ein Datum, das alle Kennzeichen des Aufbruchs, des Neu-Ansatzes wie des „Vorläufigen“, des – stellenweise programmatisch geforderten – „Halbfabrikats“1 trägt. Die Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen meldete sich zu Wort:

Bleibt ruhig, Bürger! Die Jugend gibt ihren Einstand:
Die Schornsteine stellen wir auf zwecks bester Akustik für Verse
.2

Pathetisch und selbstbewußt:

Hier schreit eure Wünsche aus: Empfang beim Leben persönlich.

(…)
Alles Alte prüft: her, Kontrollposten Jugend!
Hier wird Neuland gegraben und Neuhimmel angeschnitten –
Hier ist der Staat für Anfänger – Halbfabrikat auf Lebenszeit.
Hier schreit eure Wünsche aus: an alle Ufer
Trommelt die Flut eurer Erwartungen!
Was da an deine Waden knallt, Mensch, die tosende Brandung:
Das sind unsere kleinen Finger, die schießen nur
Bißchen Zukunft vor, Spielerei
.3

Ministerium, schließ deine Mappe: das sind parteiliche Verse.4

1964 erschien die heute schon legendäre, kaum noch greifbare Anthologie Sonnenpferde und Astronauten, die Gedichte von Wolf Biermann (seine einzige Publikation in der DDR), Volker Braun, Sarah Kirsch, Axel Schulze u.a. vereinigte: es fehlten nur die Namen von Reiner Kunze, Karl Mickel und Rainer Kirsch, die zu dieser Zeit bereits schrieben, wenig später dann auch mit Einzelveröffentlichungen nachstießen. Begünstigt wurde das Auftreten dieser jungen Autoren durch eine „allgemeine Lyrik-Freundlichkeit“, der sich die Verlage anschlossen.5 Neben anderen Gruppen konstituierte sich 1964 in (Ost-)Berlin eine Vereinigung jüngerer und älterer, zumeist unbekannter Schriftsteller unter dem Namen „alex 64“, eine Gruppe, die weniger für Qualität als für guten Willen steht.6

Dieser Neuansatz, der durchaus und pointiert als Generationenwechsel verstanden wird, deutlich gemacht etwa in der Ironisierung:

Generationsproblematiker: der Braun z. B. ist grau wie Methusalem und
Noch gar nicht geboren, wenn’s sein muß. Keinen Verfolgungswahn bitte.7

– melancholischer, aber abenso bestimmt von Wolf Biermann in „An die alten Genossen“ formuliert:

Seht mich an, Genossen
Mit euren müden Augen
(…)
Seht mich unzufrieden mit der Zeit
Die ihr mir übergebt.

(…)
Drum seid mit meiner Ungeduld
Nicht ungeduldig, ihr alten Männer;
Geduld
Geduld ist mir die Hure der Feigheit
Mit der Faulheit steht sie auf Du und Du
Dem Verbrechen bereitet sie das Bett.
Euch aber ziert Geduld.
Setzt eurem Werk ein gutes Ende
Indem ihr uns
Den neuen Anfang laßt!8

– und auch Gedicht-Titel wie: „Anmerkungen für Bürger der Deutschen Demokratischen Republik“,9 „Zueignungen für den Zyklus für die Jugend“,10 „Mitteilung an die reifere Jugend“,11 „Antrittsrede des Sängers“,12 „Tischrede des Dichters“,13 „Warte nicht auf beßre Zeiten“,14 oder „An den Rat der Stadt Leipzig“15 deuten auf den Konflikt hin, – dieser Neuansatz ist vorerst und überwiegend thematisch bestimmt: „hier wird Neuland gegraben und Neuhimmel angeschnitten –“.16 Das Pathos des Aufbruchs in dieses „Neuland“ ist identisch mit der Pathetik des Vokabulars, der forschen, oft überzogenen Sprachgeste. Besonders häufig benutzt der 1939 geborene Volker Braun die pathetisch aufgeladene, Progression vorgebende, suggestiv-agressive Sprechweise; nicht gerade selten führt das zu einem hohlen Rhythmus, bar gerade jener Information, die sein Gedicht vermitteln will. So etwa eine Passage aus seinem Gedicht „Schlacht bei Fehrbellin“:

(…)
Soll ich singen mitm Loch im Kopf, mit Blut im Mund, heißer
Vom Wutschrei singen das Hochlied auf
die Jugend Fehrbellins,
Die die bezechten Helden des Rhinluchs zusammendrischt im Hinterhalt?
Singen das Lied auf
die Jugend, die ihren Grips beim RIAS einkauft?
Die den Hintern zusammennietet, um stark zu sein?
Der Jugend mit Schultern, die die Welt tragen könnten –
Und keinen Dunst davon hat?
17

Eine so nebenbei vorgenommene Differenzierung wie die der Wendung ,heiser vom Wutschrei‘ zu „Heißer / Vom Wutschrei…“ geht vollends unter in einer derart lautstark propagierenden Sprachgeste,18 die aufdringlich das Bechersche Postulat einer proletarisch-revolutionären Literatur vom August 1929 evoziert: „Sie (– die proletarisch-revolutionäre Literatur –) ist der Aufstand gegen die Welt, so wie sie heute ist, der Ruf nach durchbluteten Hirnen und nach dem Breitschultrigen“.19 Klischees, Gemeinplätze, Sprach-Nieten hochgezogen in ein Sprechen, das sie schwungvoll und widerstandslos übernimmt, verkoppelt mit der didaktisch-moralischen Sentenz und der imperativischen Agitation. Der Rückbezug auf die Geschichte, die ,Wirklichkeit‘ und die in dieser angelegten Progression, von Braun programmatisch formuliert in der Übernahme der Brechtschen Bestimmung von der Funktion der Kunst als Mittel zur Veränderung der gesellschaftlichen Situation,20 scheitert eben da, wo der Rückbezug auf die Wirklichkeit nicht jener auf das Wort ,Wirklichkeit‘, wo das Konkrete nicht das konkrete Bild ist. Wolf Biermanns balladesk-trauriger Sing-Sang Kleinstadtsonntag etwa ist ein Beleg für jene ,Ent-Sprechung‘, für die Identität von Thema – Entwicklung und Sprechgeste:

Gehn wir mal hin?
Ja, wir gehn mal hin.
Ist hier was los?
Nein, es ist nichts los.
Herr Ober, ein Bier!
Leer ist es hier.
Der Sommer ist kalt.
Man wird auch alt.
Bei Rose gabs Kalb.
Jetzt iss es schon halb.
Jetzt gehn wir mal hin
.21

Der Verzicht auf die Beschimpfung der Kleinstadtszenerie ermöglicht Biermann ein Sprechen so banal, daß die Banalität des besprochenen Gegenstandes anschaulich bewußt wird. Bei Volker Braun hört sich das noch sehr oft so an:

(…)
aaaIch werde die neue Sprache
Auf unsere Straßen heften, in unsere Nächte gießen
In den gelben Mond in den Bäumen der Malerstraße kippen
22

Der trockene Schrei des Saxophons ist immer „der trockene Schrei des Saxophons“,23 die Schlacke des Achtstundentags immer „die Schlacke des Achtstundentags“.24 Der futurische Impuls seines Gedichts bleibt hängen im deklamatorischen „ich will, ich werde, wollt ihr nicht“?25 Auch da, wo technische Möglichkeiten, etwa die der Raumfahrt, ins Gedicht kommen, geht die Information unter im Wortgeklingel: eine Passage aus dem Gedicht „Die fliegende Frau“, das den Raumflug der sowjetischen Kosmonautin Valentina Tereschkowa im Juni 1963 memoriert:

Mein kostbares Schiff, Boot, dem ich gebiete,
Der Kran Energie hebts scheu aus den Trossen –
Mein bebendes Bett in metallener Kemenate:
Jetzt ich frei bin auf dir, jetzt bin ichs mit Feuer und Flut
Jetzt ich frei bin auf dir, jetzt sinkt die Erde zurück
Fragen der wartenden Welt ihr, ihr Worte der Erde –
Jetzt heb ich mich höher: nun wälzt es sich langsam
Auf mich hinab…,
26

LAIKA

In einer Kugel aus Metall,
Dem besten, das wir besitzen,
Fliegt Tag für Tag ein toter Hund
Um unsre Erde
Als Warnung,
Daß so einmal kreisen könnte
Jahr für Jahr um die Sonne,
Beladen mit einer toten Menschheit,
Der Planet Erde,
Der beste, den wir besitzen
. (Erinnerung an einen Planeten, S. 54)

Wo Braun auf die pathetische Geste verzichtet und sich für das „Auffinden der poetischen Idee“27 entscheidet, gelingt ihm in einer Wiederaufnahme des Themas, „Von Gagarins Flug“ betitelt, ein Einsatz wie dieser:

Da geht er in die nähern Bezirke des Alls
Aus dem Mutland des Kindes hinter dem Käfertier
Aus dem Schwenken des Huts, dem grauen Zutraun-Fächler
Aus dem Aufschwung der Milch fünf Stockwerk hoch
Ins bunte Riesenrad Welt:
28

Wie bereits erwähnt, ist der Neuansatz in der Lyrik der DDR, für den diese Autoren stehen, vor allem thematisch bestimmt: in der Hinwendung auf die gesellschaftliche Wirklichkeit ihres Staates, in der Formulierung des Anspruchs auf Veränderung bestehender Strukturen. Formal gehen diese Artikulationen kaum über das hinaus, was von Huchel, Arendt, Bobrowski, Kunert unmittelbar greifbar, über sie hinaus an Sprech-Möglichkeiten Hölderlins, Klopstocks oder Brechts präsent ist. Auch da, wo der Sprachrhythmus etwa Majakowskijs (bei Braun), Ballade und Bänkelsang Villons, die Strophe Heines (bei Biermann) oder Hymne und Ode im Klopstockschen Gestus (bei Mickel) ins Spiel kommen, geht dieser Einsatz, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, kaum über das erinnerte Muster hinaus: auch hier droht ständig die Gefahr, durch Übernahme solcher Sprech-Muster eine immanent sprach-reflexive Komponente erst gar nicht aufkommen zu lassen, die ihrerseits der thematischen Fixierung im Hinblick auf ihren Informationswert nur zum Vorteil gereichen würde. Das Ergebnis ist noch allzuoft eine ziemlich verstellte Zeitgenossenschaft, belastet von Wörtlichkeiten, die eben nicht genau genug genommen worden sind und daher den Bezug zur angesprochenen Wirklichkeit nicht selten vernebeln.
Diese wenigen Bemerkungen müssen hier genügen. Abschließend seien drei Sprech-Positionen stellvertretend für diese Neu-Orientierung gesetzt, für die Stoßrichtung dieser jüngsten Lyrik, Zustimmung und Kritik an Verhältnissen formulierend, deren ,Wörtlichkeit‘ der Formulierung noch im Wege steht und von ihr erst eingeholt werden muß. Daß dem so sein wird, lassen die besten Beispiele erkennen.

Wolf Biermann:

HANS EISLER ODER
DIE ANATOMIE EINER KUGEL

Seltene Gelegenheit eines runden Menschen!
Gespalten nicht seine Zunge, noch sein Gehirn.
Auch geht kein Riß zwischen Oben und Unten ihm.
Da, wo bei andern die furchtbar berüchtigte Stelle,
Da, wo den andern so leicht das Kreuz brach,
Wölbet sich mächtig sein fröhlicher Bauch,
Schwingt auf und ab in wildem Gelächter
über die Dummheit in der Musik nicht allein.
Also verschonte der Große uns mit größeren Worten.
Staunend noch heute, fahren wir Neueren hin und her
Auf diesem winzigen Globus. O Fläche der Kugel!
O wunderbarer Widersinn! Wir finden und finden
Das Ende nicht
.29

Reiner Kunze:

Rückkehr aus Prag
Dresden frühjahr 1968

Eine lehre liegt mir auf der zunge, doch
zwischen den zähnen sucht der zoll
30

Karl Mickel:

DER NOVEMBER

Der Abdruck deiner Hinterbacken Waldseen
Die Füße schwarz früh streck ich ausm Bett
Wer ernennt die Jahres Zeiten? ich bins
Um uns Laub lag wie auf meinem Tisch die
Gedichte. O Regen November Mai
31

 

 

 

Vorbemerkung

Lyrik in der DDR heißt das Thema, ein bislang ziemlich unbeschriebenes, und: Anmerkungen zur Sprachverfassung des modernen Gedichts seine spezifische Verengung. Dazu ist folgendes vorauszuschicken. Lyrik in der DDR: die Komplexität des Themas auf so begrenztem Raum wie es der dieser Arbeit sein muß, auch nur einigermaßen komplex erfassen zu wollen, birgt nicht unerhebliche Risiken in sich. Sie liegen zum Teil in der Unbeschriebenheit der Sache selbst, zum Teil auch in der (Vor-) Entscheidung, wie dieser Komplex darzustellen ist. Die Gefahr einer Darstellung von endlos anmutenden Vergleichsketten zwischen den einzelnen Werken, von Motiv-Analysen und -nachweisen, von Detail- und Werkseinordnungen drängt sich unersprießlich nah auf, zusätzlich auch noch verbunden mit der mehr oder weniger starken Verpflichtung zur Information und Interpretation bestimmter Bedingungen politisch-gesellschaftlicher Relevanz, unter denen ein Teil dieser Lyrik entstand und noch entsteht, Bedingungen, die nicht selten aus dem Bereich der ästhetischen, sprachkritischen, poetologischen Argumentation herausfallen. Die gleiche Problematik stellt sich auch in der vorgenommenen Beschränkung auf eine Reihe von Einzeldarstellungen der jeweiligen Werke, hier zuweilen noch unvermittelter als in einem groberen Gesamtüberblick. So mußte, nachdem die Entscheidung zugunsten von Einzeldarstellungen getroffen war, noch einmal eine Verengung bewußt in Kauf genommen werden. Sie ist im Untertitel der Arbeit bezeichnet, verstanden allerdings schon als Grundlage für weitergehende, die hier rigoros ausgesparten Bereiche umfassende Untersuchungen. Die Beschränkung auf eine sprachkritische, nach der Sprachlichkeit der jeweiligen Werke fragende Darstellung bot die Möglichkeit, wenigstens in Anmerkungen so etwas wie einen poetologischen Grundriß lyrischer Sprech-Positionen in der DDR anzudeuten. Sie bot auch die Möglichkeit, zunächst einmal den Sprachbestand, die Sprachverfassung der vorhandenen Sprech-Möglichkeiten zu sondieren und nicht, wie vielfach Brauch, zu werten ohne diesen Bestand, seine sprachreflexiven Bedingungen zu kennen.
Der Anmerkungs- und Hinweischarakter trifft auf sämtliche Einzeldarstellungen dieser Arbeit zu, nicht ohne die Absicht, eine gewisse Reizqualität zu vermitteln, die zu gründlichen Einzel-Arbeiten über Autoren und Werke anregen könnte. Ein gewisser anthologischer Zug dieser Arbeit läßt sich trotz der vorgenommenen Einengungen nicht verleugnen.
Die Entscheidung, Johannes Bobrowski im Rahmen des Huchel-Kapitels und unter den Verkürzungen des Exkurses vorzustellen, bedeutet eine wesentliche Einengung. Sie wurde in Kauf genommen unter der Rücksicht, daß beide Autoren in der Bundesrepublik bislang am bekanntesten geworden sind (s. Literaturverzeichnis), im Falle Bobrowskis hier eines der kompliziertesten, dazu bereits abgeschlossenen Werke vorliegt, dessen lyrische Szene unter intensiver Beobachtung seines Prosawerkes zu erläutern sein wird. (Zudem werden in Kürze einige Einzeluntersuchungen zu diesem Werk vorliegen.) Allerdings versteht sich der Hinweis auf Bobrowski durchaus als Bezeichnung des Ansatzes, von dem aus eine weitergehende Analyse auszugehen hätte: von der Sprache und ihrer Wörtlichkeit im Werk dieses Dichters.
Obwohl nach diesen knappen Vorbemerkungen erkennbar, soll noch einmal nachdrücklich festgehalten sein, daß die politische Haltung der Autoren für die Darstellung nur insofern relevant ist, als sie sich sprachlich, als „ Ent-Sprechung“ (Kunert) im jeweiligen Text oder Werk niederschlägt.

Gregor Laschen, 1970, Vorwort

 

ZWEI ZEILEN-GRUSS FÜR GREGOR LASCHEN

1
„Was ist das soeben gewesen, husch, husch, die Geschichte?“

2
Die flatternden Hände, darinnen paar Blätter Gedichte –

Adolf Endler

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLG + Archiv + Kalliope
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Nachrufe auf Gregor Laschen: Tagesspiegel ✝︎ Badische Zeitung

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