Hans-Georg Gadamer: Zu Paul Celans Gedicht „WORTAUFSCHÜTTUNG, vulkanisch,…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Celans Gedicht „WORTAUFSCHÜTTUNG, vulkanisch,…“. –

 

 

 

 

PAUL CELAN

WORTAUFSCHÜTTUNG, vulkanisch,1
meerüberrauscht.

Oben
der flutende Mob
der Gegengeschöpfe: er
flaggte – Abbild und Nachbild
kreuzen eitel zeithin.

Bis du den Wortmond hinaus-
schleuderst, von dem her
das Wunder Ebbe geschieht
und der herz-
förmige Krater
nackt für die Anfänge zeugt,
die Königs-
geburten.

 

Den Schluß der Gedichtfolge bilden zwei Gedichte:

„Wortaufschüttung“ und „Weggebeizt“. Sie schließen einen in Klammern gesetzten Vierzeiler ein, vier Verse, die sich durch das konventionelle Metrum und den konventionellen Reim-Stil herausheben und wohl gerade durch diese Stilmittel einen eigenen Charakter gewinnen.
Wie viele Gedichte dieser Folge ist auch dieses Gedicht von einem einfachen Gegensatz beherrscht. Es spricht von dem Ereignis des Wortes wie von einer vulkanischen Explosion, die es gegen das alltägliche Treiben des Sprechens abhebt.
Gleich der Eingang beschreibt die volle Landschaft: Die Wortaufschüttung ist Gestein aus vulkanischem Ursprung, das aus der Tiefe kommt und, erkaltet, wie ein Meeresgebirge, das heißt vom Wasser des Meeres überrauscht, daliegt. So ist Sprache da: als versteinertes Gebilde früherer Lebensausbrüche und als Schöpfung, die es war, verdeckt von dem alles verzehrenden, alles vergleichenden, eintönig flutenden Meer. Denn das eigentliche Gestein der Sprache ragt überhaupt nicht mehr aus den schäumenden Wassern heraus. Was als Sprache sichtbar wird, heißt vielmehr „Gegengeschöpfe“, ein flutender Mob, das heißt ohne Namen und Herkunft und Heimat. Der Mob „flaggt“, das heißt schmückt sich mit etwas, auf das er stolz ist und das doch nicht in Wahrheit seines ist, sondern so willkürlich gewählt und aufgezogen wie die Wimpel der Sonntagssegler. Die „Gegengeschöpfe“ kreuzen auf der Oberfläche der Sprache „zeithin“, das heißt ohne Richtung und Ziel, aber doch so sehr von der „Zeit“ getrieben, daß keine Dauer in ihnen ist. Sie sind Abbild und Nachbild des echten Wortes, das heißt: sie tönen bloß nachahmend oder im Nachklang echter Schöpfungen, ein eitles Treiben, das fort und fort geht, bis…
Auf dieses „bis“ zielt alles hin. Durch das Ereignis des neuen Ausbruchs wird das oberflächliche Treiben in seiner ganzen Eitelkeit und Scheinbildhaftigkeit aufgedeckt. Es ist eine großartige kosmische Metapher, die das Ereignis echter Sprachwerdung beschreibt. „Du“ – jenes namenlose Du, das nur der kennt und erkennt, für den es Du ist, schleuderst den Wortmond hinaus.
Man muß sehr genau hinhören. Gewiß möchte man zunächst das Bild von der Ausschleuderung des Mondes aus der Erde (eine Meinung über die Entstehung des Mondes, die ja noch bis vor kurzem weit verbreitet war) unmittelbar mit der „Wortaufschüttung, zusammenbringen, die unter dem flutenden Meer der Reden der verborgene Grund der Sprache ist. Indessen scheint in kühner Hyperbolik dieser Wortmond mehr Mond als Wort. Nicht das runde, leuchtende und immer wieder neu und rund aufleuchtende Wort selbst, etwa das des neuen Dichters, kann „der Mond“ sein, der da hinausgeschleudert wird. Die Wendung „der Wortmond“ – und nicht „ein Wortmond“ – läßt sich allein deuten in dem Sinne, daß der Herr der Zeiten- und Erdenstürme sich immer wieder des gleichen Mittels bedient, um die Anfänge für ein echtes neues Sprachgeschehen freizulegen. Denn es ist ja nun von der neuen Schwerewirkung die Rede, die von diesem Mond ausgeht und die das verborgene Gebirge der Sprache trocken fallen und so den wahren Ursprung sichtbar werden läßt. Der ganze sprachkonventionelle Wust verläuft sich wie Brackwasser. Das „Wunder Ebbe“ geschieht, nämlich das Wunder, daß dort, wo unbetretbares Element des Schwankens schien, festes Land auftaucht, das Halt und Stand zu gewähren vermag. Nun heißt es, was da trocken fällt, lege den Krater des Herzens frei, der für die Angänge zeugt. Das will sagen: an dem, was neu sichtbar wird, erkennt man endlich die Gewalt von Stauung und Entladung wieder, aus der von jeher das Dichterwort seine Spannungskraft und seine Dauer gewinnt. Wenn es weiter heißt, daß es „Königsgeburten“ sind, die hier bezeugt werden, das heißt Gründer von Dynastien, so ist es ja wirklich eine ganze Dynastie der Sprache, unter der wir sprechend stehen und die uns in den großen Schöpfungen der Dichtung, die in dieser Sprache gelangen, regiert. Oder nehme ich den Dichter hier allzu wörtlich (oder nicht wörtlich genug)? Jener Wortmond, den „Du“, wie es scheint, von Zeit zu Zeit aus der durch das Gerede verdeckten Tiefe hinausschleuderst und der dem eitlen Scheintreiben von Reden und Gedichten ein Ende macht, ist am Ende doch selber Wort, und eben doch rundes, echtes, vom Lichte widerleuchtendes Gestein. Die Schwerewirkung, die er im Schaffen der Gezeiten ausübt, ist die des Wortes allein. Denn nur das Wort selber legt frei und kann freilegen, was echtes Wortgestein ist, und läßt so nicht nur alle die „Anfänge“, die als Schöpfungen der Dichtung unser Sprechen regieren und die über dem eitlen Kreuzen des hin- und hertreibenden Redens verschwunden waren, sichtbar werden, sondern auch sich selbst. Versteht man so, dann ist der Wortmond der Inbegriff des vollen Mondwortes, in dem alle neuen Eruptionen aus dem vulkanischen Grunde in sich zusammengefaßt sind. So ist der Mond das Wort selber. Und in der Tat ist es so, daß wir nicht nur die neue Sprachschöpfung, die dem Dichter gelingt, erfahren, sondern unter ihrem Eindruck alle königlichen Gestalten unserer Sprache neu entdecken. Das sind die „Königsgeburten“: etwas, was lang zuvor geschah, Herrschaft begründend, und was neu in seiner herrschaftlichen Gültigkeit wirksam wird durch das neue Gedicht. Jedes wahre Gedicht rührt an die verborgenen Tiefen des Sprachgrundes und seine schöpferischen Gestaltungen. Es erkennt Herrschaft und stiftet neue Herrschaft unter der eigenen Dynastie.
In jedem Falle, es ist eine Metapher, die in wunderbarer Weise das wahre dichterische Wort wie ein kosmisches Ereignis beschreibt, aber nicht nur als etwas, das nichts zerstört, was wahr ist, und das Wahre aufdeckt, sondern vor allem als ein Wort, von dem keiner, auch der Dichter nicht, sagen kann: Es ist mein Wort. Der Dichter hißt keine Flagge.

Hans-Georg Gadamer, aus Hans-Georg Gadamer: Wer bin Ich und wer bist Du? Kommentar zu Celans Atemkristall, Suhrkamp Verlag, 2019

1 Antwort : Hans-Georg Gadamer: Zu Paul Celans Gedicht „WORTAUFSCHÜTTUNG, vulkanisch,…“”

  1. Lydia sagt:

    Sprache als vulkanische Eruption, fast schon hermetisch verschlüsselt dargestellt von Celan, aufgeschlüsselt von Gadamer und damit uns allen viel verständlicher und näher gebracht, auch Gadamers Kommentar ist als vulkanische Eruption zu sehen…

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