Inger Christensen: Lys / Licht

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Inger Christensen: Lys / Licht

Christensen-Lys / Licht

AUFGETAN

Aufgetan ausgetan vertan
oder noch nicht ganz abgetan
die grauen elektroden der zukunft
fest an die gebleichte fingerspitze
des gedächtnisses gespannt
stehe ich da und stottre
daß ich gut sein will

 

 

 

Die Gedichtsammlung lys

ist 1962 in Kopenhagen erschienen. Es ist die erste Veröffentlichung der Dichterin Inger Christensen gewesen.

Kleinheinrich, Ankündigung, 2008

 

In Formeln gedichtet

− Dichterische Worte als Formeln, Zeichen und Benennungen für das Gedächtnis und die Gedanken: Mit diesem Ansatz gelingt es der dänischen Lyrikerin Inger Christensen, verborgenen Zusammenhänge der Welt aufzudecken. Der erste Gedichtband der für den Nobelpreis nominierten Autorin, erscheint nun in einer deutsch-dänischen Ausgabe: lys / licht. −

Inger Christensens Langgedicht Alphabet beginnt mit dem vielzitierten Vers „Die Aprikosenbäume gibt es, die Aprikosenbäume gibt es“. Um diesen Anfangssatz herum erschafft die dänische Dichterin, in immer größer werdenden konzentrischen Kreisen und in immer längeren Aufzählungen, die Welt noch einmal. Nur: dieses Mal mit Worten.
Ihr Wiener Dichterkollege Peter Waterhouse sagt: „Alphabet ist von einer solchen Gleichmäßigkeit“, von einer solchen „Balance der Energie, dass man in den Aprikosenbäumen des Anfangs alles andere entdecken könnte, die ganze ungegensätzliche Gegensätzlichkeit.“
Das magische Anfangswort „Aprikosenbäume“ schließt wie ein Sesam-Öffne-Dich alles weitere, was danach folgt, auf. Dieses sich allmählich Zeigende umfasst die ganze belebte und unbelebte Welt, von Zikaden und Zedern über Brom und Dioxin bis hin zu den Narwalen.

 Aus dem Alphabet wird die Welt geschöpft. Diese Welt ist ungeschieden und komplex, weil alles noch mit allem verbunden steht. Ein integrer Zustand sei das, meint Waterhouse, also ein vertrauenswürdiger wie unverfälschter Zustand.
„Ich habe kürzlich über bestimmte Legierungen gelesen“, sagt Inger Christensen, Legierungen, die „sich bei bestimmten Temperaturen an die Formen ,erinnern‘ können, in denen sie sich früher bei anderen Temperaturen befunden haben.“ Die Dichterin meint, auch Menschen müsse es möglich sein, „sich bei bestimmten Temperaturen – und die Gemütsbewegungen in einer Gesellschaft haben immer eine bestimmte Temperatur“ – an die früheren „Formen, Verhaltensformen und sprachlichen Räume zu erinnern“.
Die 1935 geborene Dänin Inger Christensen hat einen besonderen Blick für die verborgenen Zusammenhänge der Welt, ihren geheimnisvollen Strukturen und undurchdringlichen Gesetze. Möglicherweise trieb sie schon immer eine diesbezügliche Ahnung, denn sie schrieb sich als junge Studentin in Kopenhagen neben dem Fach Medizin auch für Chemie und Mathematik ein. Möglicherweise war sie aber auch erst durch die Naturwissenschaften auf die in Formeln fassbare logische Gesetzmäßigkeit der Welt aufmerksam geworden. Denn auch dichterische Worte sind nichts anderes als Formeln. Sie sind Zeichen und Benennungen für das Gedächtnis und die Gedanken.
Mit 27 gab Inger Christensen ihren ersten Gedichtband Lys, was übersetzt Licht heißt, heraus. Ein Jahr später, 1963, veröffentlichte sie ihren zweiten Gedichtband Græs, Gras. „Zu dieser Zeit“, sagt sie heute, „schrieb ich Gedichte auf die Weise, dass die Korrespondenzen der Worte, als Ganzheit gesehen, eine Art Universum schaffen sollten, das vollkommen in Ruhe lag, wo der Wert jedes Wortes in einem Zusammenhang stehen sollte, als wäre das Ganze organisch.“

stehe ich
alleine im schnee
wird klar
dass ich eine uhr bin

wie sollte die ewigkeit
sich sonst zurechtfinden

Lys, der erste Gedichtband der dänischen Nobelpreisanwärterin Inger Christensen ist ein kleines, berührendes Büchlein, ein erstes sprachliches Herantasten an die in den späteren Werken wie Alphabet, Das oder Schmetterlingstal ausformulierten großen Themen.
Zu Beginn eines dichterischen Werkes, und wohl eines jeden, ist das sprachliche Material noch nicht zur Gänze verfügbar und vertraut. Der Dichter ringt in den anstürmenden Wellen des Begreifens von den Abgründen der Welt, die jeden zunächst sprachlos machen, um Worte. Belastbarkeit und Tragfähigkeit des vertrauten Alphabets werden erst einmal auf verschiedene poetische Möglichkeiten hin ausprobiert und liegen noch nicht bis auf den Grund ausgelotet.
Doch bereits in Lys ahnt die junge Poetin Christensen, um welchen Preis nur zu dichten ist. Dieser Grund ist erreicht, wenn „es gelingt / im wort das licht wiederzuerkennen“, wie sie schreibt.

komm kleiner glaube der glaubt
alles sei berechenbarkeit
deine geräumige trauerstatistik
hat im grossen und ganzen berechnet
… unberechenbarkeit.

sagt Inger Christensen.
Schon in ihrem ersten Band Lys ist, bei allem sprachlichen Tasten, das Erstaunen vor der bizarren und ausgeprägten Komplexität der Welt, „in der welt wo alles gilt“, rein und vollkommen vorhanden. Jenes Erstaunen, das in den späteren Werken Christensens eine so unverwechselbare sprachliche Struktur erhält. Diese Komplexität vermag in einem Atemzug das Brutale wie das Zärtliche, das Aufleben wie das Ableben zu umfassen, ohne Trennungsstrich oder Alternativmöglichkeit.
Hinter allen Versuchen der Beschreibung lauert das Wissen um Vergeblichkeit auf eine Wahl oder einen Ausweg. Selbst der Tod bietet keinen Ausgang, sondern er gehört unabtrennbar zum Leben dazu. Alles ist mit allem verknüpft, nichts kommt ohne das andere aus. So wie in der mathematischen Fibonacci-Reihe, in der sich jede Zahl erst aus der Summe der beiden vorangegangenen ergibt, und die Inger Christensen ihrem zwanzig Jahre nach Lys entstandenem Alphabet-Gedicht als Formprinzip zugrunde legte. Keine willkürliche Spielerei, sondern nur ein aufgegriffenes Prinzip: die Fibonacci-Reihe strukturiert als geheimer innerer Bauplan viele Naturerscheinungen.
Begreift man Sprache und Denken ebenfalls als solche, als Erscheinungen einer gesamten und unteilbaren Natur, wird die Eingebundenheit des Menschen und seiner Dichtung in eine universale Komplexität noch sinnfälliger.
„Was Ihr gegen euch richtet“, schreibt Inger Christensen in Lys, „habt ihr gegen das Meer gerichtet / Das sieht sieht“.

Cornelia Jentzsch, Deutschlandfunk, 17.7.2008

„Ich bin eine andere“

Als die dänische Dichterin Inger Christensen 1962 mit ihrem ersten Gedichtband Lys/Licht debütierte, war sie 27 Jahre alt. In diesem Frühjahr ist er erstmals in einer zweisprachigen Ausgabe bei Kleinheinrich in der kongenialen Übersetzung von Hanns Grössel erschienen.
Inger Christensen wurde 1935 an der dänischen Ostseeküste, in der jütländischen Kleinstadt Vejle geboren. Sie wusste früh, dass sie Schriftstellerin werden wollte, und studierte deshalb zunächst Pädagogik, weil sie glaubte, als Lehrerin genügend Zeit zum Schreiben zu haben. Ihrer naturwissenschaftlichen Neigung folgend, belegte sie einige Kurse an der medizinischen Fakultät, weil sie auch daran dachte, wie AlbertSchweitzer in die Entwicklungsländer zu gehen. Sie unterrichtete sieben Jahre lang, zuletzt an der Kunsthochschule in Holbæk.
Die Gedichte aus Lys/Licht bezeichnete sie in einem Gespräch mit Jan Kjaerstadt als „kleine, feine Universen“. Einige handeln von Liebe, von Licht und dessen dunkleren Seiten. Bei anderen experimentierte sie mit einzelnen Wörtern, die sie wie Punkte auf ein Blatt streute und dann ihren Zusammenhang selbst finden ließ. Sie entdeckte Wörter als Einzelgrößen und ihre unterschwellige Verbindung untereinander. Was anderen Mystik zu sein schien, war für sie nahezu greifbar.
Doch ein wichtiger Einschnitt war für Inger Christensen damals ihre Entdeckung der modernen Kunst. Sie konnte es nicht fassen, dass die Welt so aussah, denn die Stadt, in der sie aufgewachsen war, hatte nur wenige Gemälde. Auch die Schulbücher sahen anders aus. Als sie das erste Mal mit diesen Bildern in Berührung kam, war das für sie eine Offenbarung: Die Aufhebung der Zentralperspektive, die Auflösung des Naturalismus, die „Mikroskopierung des Universums“ – das hatte eine starke Wirkung auf Lys/Licht. Besonders beschäftigte sie Paul Klee.
Einige Bilder inspirierten sie zu Gedichten. Das erste Gedicht aus Lys/Licht: „

Stehe ich
alleine im schnee
wird klar
dass ich eine uhr bin

wie sollte die ewigkeit sich
sonst zurechtfinden.

– Ein Initiationsgedicht? Das Motto? Es geht auf ein Chagall­gemälde zurück, auf dem eine Großvateruhr im Schnee steht und in deren Zifferblatt ein Gesicht zu ahnen ist. Rings herum eine blaue russische Winternacht. – Die poetische Sprache ist unendlich.
Die Gedichte, wo sie mit einzelnen Wörtern experimentierte, haben ihren Zusammenhang gefunden. In dem Gedicht „Der springende Punkt“, das mit der Zeile endet: „Ich bin der springende Punkt“, kann das deutlich werden. Viele Deutsche lernten bereits in der Schule, keinen Satz mit dem Personalpronomen ,Ich‘ zu beginnen. Bei Inger Christensen, die als Dänin mit den programmatischen Initialen I.CH. geboren wurde, ist das anders (Ich = jeg im Dänischen). Das Ich ist bei ihr immer ein offenes Ich und wie in ihren Gedichten „eine Kombination von der Welt und mir selbst“. Wenn am Ende die Zeile steht „Ich bin der springende Punkt“, so ist dem eine Metamorphose vorangegangen: Es handelt von einer schmerzhaften Auseinander­setzung, die sich abspielt zwischen „Ich friere“ und „die kochende Trauer“. Die letzte Strophe von „Der springende Punkt“:

So schneide schon durch
schlag die wörter zusammen
um unsagbarkeit
dass ich friere und fürchte
und dir dennoch
schmeichelei und ohr und augen
leihe mit untrüglichkeit zu sehen
Dies ist eine nähere küste
innerlich falsche verfälschung
wie wenn die kochende trauer
brauchbares strandgut ausspuckt
und tote ihr leben offenbaren:
ich bin der springende punkt

Während das Ich im Titel noch nicht vorhanden ist, zieht es sich in Verwandlungsspuren durch den Text: „ich dein augendiener (…) ich laure auf das was du schicksal nennst (…) Ich friere am strande ich bin eine andere“. Hier kommt das erste „ich bin“, als Entscheidung. Es hat sich hindurch gewunden durch das zeitliche, vorübergehende Frieren und Lauern und sich behauptet in: „ich bin eine andere“, die nicht mehr friert und lauert. Darin drückt sich das überzeitliche Ich aus, die ewige Entelechie. Das Ich ist nicht nur der springende Punkt, sondern das Verbindungsschaffende und Zusammenhangstiftende. In ihrem Essay „Die Seide, der Raum, die Sprache, das Herz“ zitiert sie den chinesischen Dichter Lu Chi aus dem dritten Jahrhundert: „In einem einzigen Meter Seide findet sich der unendliche Weltraum“, wo das Kleinste mit dem Größten und das Größte mit dem Kleinsten zusammenhängt. Inger Christensen spricht von der „ungeteilten Ganzheit des Universums“, von dem der Mensch ein Teil ist. Die Welt, so sagt sie, hat ihre natürliche Verlängerung in der Sprache. Hier kommt sie zum Bewusstsein ihrer selbst. Wirklichkeit und Sprache sind für sie nichts Getrenntes. „Eher tritt eine Art Schwellenzustand ein, in dem Sprache und Welt sich mit Hilfe von einander ausdrücken“.
In ihren späteren Gedichten verwendete sie äußere Systeme, z.B. die Acht in dem Langgedicht Det/Es (1969). In dem Langgedicht Alfabet/Alphabet (1981) war es das Alphabet und Fibonaccis mathematische Reihe: 1, 2, 3, 5, 8 usw., das heißt die beiden letzten Zahlen addiert ergeben die Nächste. Sie beendet das Gedicht mit dem Buchstaben n, in der Mathematik das Zeichen für „unendlich“. Sie wollte damals, dass ihr Schreiben so natürlich und organisch sei, wie wenn ein Baum Blätter hervorbringt, und sie wollte, dass das, was sie schreibt, eine Kombination sei aus ihr und der Welt, in diesem Falle also die Mathematik. Später war sie dahinter gekommen, dass Dinge in der Natur, in der Botanik, mit Fibonaccis Reihe übereinstimmen. Sommerfugledalen/Schmetterlingstal (1991) schrieb sie als Sonettenkranz, in dem die erste und die letzte Strophe ineinander gehen.
Neben Gedichten schrieb Inger Christensen Essays und Romane wie Das Gemalte Zimmer (1976, nach Andrea Mantegnas camera picta in Mantua), Hörspiele und Theaterstücke.
Man kann das Werk Inger Christensens als ein organisches Ganzes betrachten, in dessen Anfängen bereits das Spätere zu finden ist. Sie ist der springende Punkt, der es zusammenhält.

Brigitte Espenlaub, die Drei, 10/2008

Der Gesang der Würgefeige

Der 21. März ist der Welttag der Poesie, die um kulturellen Artenschutz bemühte UNESCO hat ihn im Jahr 2000 ausgerufen. Mit gutem Grund: Wer nach Global Poets auf dem deutschsprachigen Buchmarkt fragt, stößt vor allem auf Klein- und Kleinstverlage, in deren Reihen internationale Lyrik achtsam ins Deutsche übertragen wird – in der Edition Korrespondenzen aus Wien etwa, vom Baseler Verlag Urs Engeler Editor oder in der Leipziger Edition ERATA, die sich sowohl um westliche als auch um osteuropäische Dichtung verdient machen; der mehrfach preisgekrönte Kleinheinrich Verlag nimmt sich insbesondere der skandinavischen Lyrik an.

Die Herausgabe der Gedichte Inger Christensens, der Grande Dame der dänischen Lyrik, gehört zu den Großtaten dieses Verlags. Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren wurden Christensens Gedichtzyklen – von den Systemgedichten das und alphabet bis hin zum Sonettkranz Das Schmetterlingstal – von Hanns Grössel ins Deutsche übertragen. Mit dem neuesten Band, Christensens 1962 erschienenem Erstling lys (licht), ist hier nun auch das Frühwerk zu entdecken. Anders als ihre großen Systemdichtungen, bei denen linguistische oder mathematische Muster die Versgruppen organisieren, besteht lys / licht, ganz konventionell, aus Einzelgedichten: ruhige, zuweilen haikuhafte Miniaturen, voller poetischer Wiederholungsfiguren und kinderliedhafter Reimfolgen. Aus wenigen Worten entstehen so Skizzen einer brüchigen Natur- und Körpererfahrung, und jeder Moment der Öffnung kann das Gefühl des Ausgesetztseins auslösen:

Meine Augen streifen
fragend
das Nackte
Der Spiegel rinnt
nach unten
von meinen Füßen
hinunter
in den rostigen Abfluß

Realistische Szenerien stülpen sich in surrealistische Bildwelten um, Worte werden zu Chiffren, in denen mythische Urszenen der Liebe, der Zeugung, der Verletzung aufscheinen – alles kreist um die Unsicherheit der Weltbegegnung.
Der Ton dieser Gedichte entspringt dem Geist der späten Moderne, man findet ihn in den 1950ern auch bei Paul Celan oder Ingeborg Bachmann. Eine Dichtung der Substantive ist das, eine der schweren Worte, die, nicht immer frei von existenzialistischem Pathos, den Sinn der Welt zu tragen haben. „Substantive sind sehr einsam“, schreibt Inger Christensen in ihrem Essay „Die Seide, der Raum, die Sprache, das Herz“ – doch Dichtung ist, als Verbindung von Worten zu einem Sinn, immer auch Überwindung dieser Einsamkeit. Christensens Gedichten kann man es ablesen.

Peer Trilcke, Literaturen, März 2008

Eine Kombination von der Welt und mir selbst

– Jan Kjærstad im Gespräch mit Inger Christensen. –

Jan Kjærstad: Was hast Du gelesen, bevor Du angefangen hast zu schreiben? Gibt es Bücher, die Dich mehr beeinflußt haben als andere?

Inger Christensen: Als ich sehr jung war, habe ich Goethe gelesen. Faust und die Gedichte. Auch Heine. Ich hatte einen Rektor, der dafür sorgte, daß ich schnell Deutsch lernte, diese Sprache wirkte gerade damals ziemlich anziehend auf mich. Das bedeutete, daß mein Einfallswinkel auf die Weltliteratur, abgesehen vom Lehrstoff, der deutsche war. Und es war Rilke, mehr als Goethe, der mich auf eine Spur brachte, als ich etwas älter wurde. Jetzt weiß ich kaum noch, was für eine das war, aber es machte damals einen starken Eindruck auf mich. Ich dachte daran, als ich alphabet fertiggeschrieben hatte: Ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte, es auf diese Weise zu machen, hätte ich nicht diese Wurzeln gehabt. Auch wenn ich Rilke heute nicht lese, sehe ich ihn als Ressource, als etwas, das in mich eingesunken, zu einer Art Grundwasser geworden ist.
Diese ersten Leseerfahrungen lassen sich fast, in ihrer Nachdrücklichkeit, mit den ersten Erfahrungen vergleichen, die man als Kind von der Welt hat. Auch wenn du sie nicht mehr verwenden kannst, funktionieren sie auf die gleiche Weise, wie wenn du in einem Album alte Fotografien anguckst.

KjærstadWas hast Du noch gelesen?

Christensen: Selbstverständlich diejenigen, die alle Leute lesen, Eliot, Rimbaud, Ekelöf, Södergran. Mit der Zeit alles mögliche: Zu irgendeinem Zeitpunkt tauchst du in die Gegenwartssituation ein. Du triffst Menschen, die älter sind als du und die schon lange schreiben. Oder, wenn es um Prosa geht, dann waren ja die fünfziger Jahre die Zeit, wo man Sartre und Camus las. Damals kam der Existentialismus nach Dänemark, mit seiner moralischen Diskussion um Individuum und Gesellschaft. Auf Camus bin ich nie zurückgekommen, aber in einem Essay mit dem Titel „Ich denke, also bin ich ein Teil des Labyrinths“ nähere ich mich einigen Ansichten Sartres an.
Die Schriftsteller mit der größten Bedeutung für meine Prosa, mit der ich relativ spät begann, sind wohl Musil und Broch. Ich habe Mitte der sechziger Jahre auch ein paar deutsche Schriftsteller übersetzt, u.a. Johannes Bobrowski und Wolfgang Hildesheimer. Einiges davon machte Eindruck auf mich. Es war eine Art, Prosa zu schreiben, die mir unbekannt war, eine Art, die, stelle ich mir vor, ihren Ausgangspunkt in Broch und Musil hat. Dann waren da noch Gombrowicz’ Tagebücher – zu ihnen kann ich weiterhin zurückkehren… Tagebücher haben eine ganz eigene Kraft.

KjærstadIn Deinem Buch det (es) von 1969 zitierst du Philippe Sollers. Zumindest in Norwegen war er zu dieser Zeit ein wenig bekannter Schriftsteller.

Christensen: Vieles vom französischen Strukturalismus und vom neuen französischen Roman kam früh nach Dänemark. Besonders der Verlag Arena, der damals teilweise von Schriftstellern geleitet wurde, hat das eingeführt. Diese ganze Welle wirkte wie ein Schock, auf die gleiche Weise wie zuvor Beckett und Ionesco. Auch der semiotische Teil dieser Strömung wurde in Dänemark aufgegriffen, also die Darstellung der Beziehung zwischen Sprache und Mensch. Für mich hatte das große Bedeutung.

KjærstadUnd die dänische Literatur?

Christensen: Als Lyriker möchte man einige wenige nennen: Johannes Ewald, Emil Aarestrup, Sophus Claussen. Tatsächlich nicht mehr. Von den Prosaisten vor allem Jens Peter Jacobsen und Karen Blixen. Beide wegen ihrer Art zu schreiben. Einige von Blixens Diskussionen, z.B. mit Gott über das Schicksal des Menschen, sind phantastisch. Aber was mich am meisten anzieht, ist das Labyrinthische in ihrer Art zu erzählen. Auch wenn ich manchmal finde, daß es etwas zu leicht aufgeht. Es ist eine schwierige Balance: In welchem Maß soll man den Leser das Labyrinth, in das er oder sie hineingestürzt wird, begreifen lassen?

Kjærstad: Du hast früh gewußt, daß Du Schriftstellerin wirst?

Christensen: Ja. Zu meiner privaten Geschichte gehört, daß ich mich zur Volksschullehrerin ausbilden ließ. Lehrerin zu werden schien mir der beste Weg, in der Freizeit schreiben zu können. Also ging ich an ein Seminar in Arhus. Lehrerin war ich übrigens sieben Jahre lang, die letzten an der Kunsthochschule in Holbæk. Zwischendurch, am Seminar, kamen mir starke Zweifel daran, Schriftstellerin zu werden. Eine Zeitlang ging ich parallel zur Universität und studierte Medizin. Ich dachte daran, Ärztin zu werden und vielleicht sogar in die Entwicklungsländer zu gehen, wie Albert Schweitzer. Damals dachte man so. Jedenfalls führte das dazu, daß ich auch etwas Chemie, Mathematik, Physik und Physiologie studieren mußte – Fächer, die ich am Gymnasium nicht gehabt hatte.
Ich war an sich immer an Mathematik interessiert. Wenn ich sie an der Schule nicht gewählt habe, dann deshalb, weil Mädchen nicht gern Mathematiker werden. Außerdem stamme ich aus einem Arbeiterviertel in einer dänischen Provinzstadt, und als ich am Gymnasium anfing, war ich das einzige Kind aus der Unterklasse. Darum wurde es zu einer allzu hohen zusätzlichen Barriere, diesen eigentlichen Hang zur Mathematik überwinden zu sollen.

Kjærstad: Du hast 1962 mit Lys (Licht) debütiert. 1963 kam dann Græs (Gras). Kannst Du über diese ersten beiden Gedichtsammlungen etwas sagen?

Christensen: Das allererste Gedicht in Lys ist sehr wichtig:

Wenn ich allein
im schnee stehe
wird es klar
ich bin eine uhr

wie sonst sollte ewigkeit
sich zurechtfinden

Das ist fast wie ein Motto. Lys handelt von Liebe, auch von den dunklen Seiten – des Lichts. Darüber hinaus fällt Dir vielleicht meine Entdeckung der Wörter als Einzelgrößen auf. Da gibt es unter anderem ein Gedicht, in dem die Wörter zu Ameisen werden und gehen… Das ist eine Art, Wörter als Punkte unten in der Welt zu betrachten.

KjærstadEs hat den Anschein, als ob einige der Gedichte von Gemälden inspiriert wären?

Christensen: In der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es nicht viele Gemälde. Eines Tages geriet ich an eine Mappe mit Kunstreproduktionen, die ich an die Wände meiner Mansarde heftete, Cezanne, Isakson u.a. Dann erwischte ich ein Buch mit moderner Kunst. Es war eine Offenbarung. Ich konnte nicht fassen, daß die Welt so aussah, so anders als in den Schulbüchern. Hier waren die Zentralperspektive und solche Dinge torpediert. Das Gepräge von Auflösung, Mikroskopisierung des Universums, das Lys auszeichnet, hat möglicherweise etwas mit meiner Begegnung mit Klee zu tun. Ich malte damals sogar selbst ein bißchen. Wie alle anderen.
In Lys steht auch ein Gedicht mit dem Titel „Blue poles“. In seiner Art ist es von Jackson Pollock inspiriert – Wörter auf einem Stück Papier verteilen, die dann, wenn du genauer hinsiehst, dennoch einen notwendigen Zusammenhang bekommen. Das erste Gedicht in diesem Buch, das ich zitiert habe, geht übrigens von einem Chagall-Gemälde aus, auf dem eine Großvateruhr im Schnee steht, in deren Zifferblatt man ein Gesicht ahnen kann. Und rundherum eine blaue russische Winternacht. Also hat eigentlich er das Gedicht geschrieben
Græs macht in der gleichen Richtung weiter wie Lys. Dann aber passiert diese Sache mit dem langen Prosagedicht „Møde“ („Begegnung“), das mit einer ehelichen Auseinandersetzung beginnt und an einem völlig anderen Ort endet, ein Gedicht, das eine eheliche Krisensituation in eine Form der Philosophie von der Liebe und von der Macht und Ohnmacht der Wörter verwandelt. In dieser Sammlung gibt es auch ein paar heruntergerasselte Gedichte, die man ebenso schnell vorliest wie diese Texte in der Rap-Musik. Die kleinen, feinen Universen, mit denen ich in Lys gearbeitet hatte, bekamen seltsamere und seltsamere Klänge.

Kjærstad: In Verbindung mit der Gedichtsuite „Møde“ möchte ich Dich fragen, ob Du als Lyrikerin das Dilemma erlebst, inwieweit Du Gewicht auf das minimale und punktlyrische Gedicht oder auf die längeren und eher epischen Gedichtkompositionen legen sollst. Es kann ja den Anschein haben, als hättest Du Dich, in und mit den späteren Büchern det und alphabet, für letzteres entschieden?

Christensen: Mein Ziel ist wohl, eine Form zu wählen, in der sich beides verwirklichen läßt, wo man sich ausbreiten darf; empfinden kann, daß man etwas über eine längere Strecke selbst durchdenkt – indem man sich das Umweltmodell schafft, das man zu brauchen meint – und wo man gleichzeitig kleine Geschichten und Gedichte schreiben kann. Aber es stimmt, daß ich über die Problematik nachgedacht habe, obwohl das später war als „Møde“, nämlich vor allem, nachdem ich einen Essay von Lars Gustafsson gelesen hatte.

Kjærstad: Bist Du der Meinung, daß sich Lys und Græs von den Gedichtsammlungen, die vor 1962 in Dänemark erschienen sind, unterscheiden?

Christensen: Ich habe empfunden, daß etwas in ihnen anders war. Außerdem habe ich einige der Gedichte gesungen. Es klang etwa so, wie wenn eine Kuhmagd in den norwegischen Bergen Kühe lockt. Damals kamen die ersten Tonbandgeräte nach Dänemark, da habe ich zu einigen Gedichten in Lys Melodien improvisiert. Ich glaube sogar, es kam im Fernsehen! Damals besaß ich noch eine gewisse Dreistigkeit. Aber mit anders meine ich eher die Schreibweise. Schon in Lys gab es wohl etwas, was sich von dem unterschied, was in Dänemark unter der Bezeichnung ,Modernismus‘ lief; das lag vielleicht an anderen, ausländischen Präferenzen. Ich glaube z.B., eine Strophe wie die folgende, aus Lys, wurde als etwas ungewöhnlich aufgefaßt:

Alleine soll stehn mit warum
mit fleckigen wänden warum
mit deiner fahrt in das herz
mit der nacht in der ich vergessen
unter dem vulkan lag hautlos

Es gibt auch andere Gedichte, in denen die Worte eine Art stand-in für Situationen und Personen sind, in denen die Worte alles allein schaffen müssen. Einiges davon hat Wurzeln zurück bis zum New Criticism, zu dessen textkonzentriertem Lesen, bei dem ein Gedicht als ein Universum begriffen wurde und die erste Zeile alles enthielt. Zu dieser Zeit schrieb ich Gedichte auf die Weise, daß die Korrespondenzen der Worte, als Ganzheit gesehen, eine Art Universum schaffen sollten, das vollkommen in Ruhe lag, wo der Wert jedes Wortes in einem Zusammenhang stehen sollte, als wäre das Ganze organisch. Als ich anfing zu schreiben, hatte ich auch die Idee, daß es sich machen ließe, Gedichte zu schreiben, die so wären, wie das moderne Weltbild, soweit man wußte, aussah; Gedichte, die irgendwie so wären, daß nicht einfach die Sonne morgens auf und abends unterging.

A

Kjærstad: Dein Roman Evighedsmaskinen (Die Ewigkeitsmaschine oder Perpetuum mobile) kam 1964 heraus. Wie würdest Du ihn charakterisieren?

Chrisensen: Er handelt vom Einzelindividuum gegenüber einer Gesellschaft, vom Kind gegenüber der Erziehung, eine Geschichte, die sich eine bestimmte Anzahl von Malen wiederholt, bis man aus dem, was man herausgefunden hat, die Quadratwurzel zieht. Diese Wiederholungsgeschichte läßt sich als eine psychische und physische Reise hinaus in die Welt erklären, vom Kindlichen bis zum Erwachsenwerden. Herauszufinden, wie die Welt ist, und wie gut sie sein sollte. Und dann ist da eine Utopie, eine Art Gesellschaftsvision. Die erste Version der Geschichte ist in einem altmodischen, allgemein üblichen realistischen Stil geschrieben. Dann geht es los, Dinge passieren. Es war ein großes Experiment.
Eine der Wurzeln zu Evighedsmaskinen liegt in dem Unterricht, den ich früher bei dem Theologen Regin Prenter hatte; er hat sich lange Zeit in die Beziehung zwischen den Prophezeiungen im Alten Testament und den tatsächlichen Ereignissen vertieft, die später eintrafen, und auch in die sprachlichen Dinge im Neuen Testament, die, wie man sieht, Wurzeln im Alten Testament haben. Evighedsmaskinen arbeitet mit etwas Entsprechendem.

Kjærstad: „Ich habe mir erzählen lassen, ich sei die Frau, der er bereits auf Seite acht begegnet.“ So beginnt der Roman Azorno von 1967. Er ist eine Liebesgeschichte, zugleich aber ein labyrinthisches Rätsel. Wie ist dieses Buch entstanden?

Christensen: Die ersten Seiten sind extrem langsam geschrieben. Sie haben sehr lange gelegen. Dann war der Rest des Buches plötzlich in drei Wochen fertig, mit verschlossener Tür, kein Unterschied zwischen Nacht und Tag, wieder und wieder dieselbe Schubert-Platte gespielt, fast in einer Stimmung wie der Welt abhanden gekommen.

Kjærstad: Es gibt zahllose Theorien darüber, wie Azorno gelesen werden soll.

Christensen: Azorno kann auf viele verschiedene Arten gelesen werden, bestimmt wird jeder seine eigene Theorie darüber haben, wer der eigentliche Erzähler ist. Es ist kein Buch, das leicht aufgeht. Das Modell, das läßt sich leicht sagen, ist ,offen‘. Man will, daß Dinge aufgehen, wie eine Rechenaufgabe, aber sie tun es selten – in der Wirklichkeit.

Kjærstad: Gibt es Fragen, die Du als Schriftsteller erwartest, die Dir aber nie gestellt werden?

Christensen: Ja, die Frage, inwiefern z.B. ein Buch wie Azorno etwas anderes als ein Roman ist. Die Frage, die darauf hinausläuft, in welcher Weise das, was man schreibt, Erkenntnistheorie ist oder Sprachphilosophie, wie also die sinnliche Dimension eines Buchs auch ein Vorstoß erkenntnistheoretischer Art ist. Diese Fragen kommen selten. Sie werden dir vielleicht gestellt, wenn du fast überdeutlich darauf aufmerksam machst, sagst: Sehen Sie, wie ich das gemacht habe! Ich mache die Erfahrung einer Abgeschlossenheit der Genres, die es nicht geben müßte. Interessanter als Lehrbücher von irgendeinem Universitätsmenschen, finde ich es, Calvino als Philosophie zu lesen. Du kannst seine Romane mit Recht als eine Form der Philosophie bezeichnen, finde ich. Auf die gleiche Weise liebe ich Borges als Philosophen ebensosehr, wie ich seine Geschichten liebe.

Kjærstad: Welche Beziehung hast Du zu den Kritikern?

Christensen: Am Anfang stürzt man zum Rådhusplassen und kauft alle Zeitungen, um die Besprechungen zu lesen. Und wenn man älter wird, flüchtet man aufs Land und denkt, nein, ich will überhaupt nicht hören, was sie meinen. Ich habe ein Furcht/Vertrauensverhältnis zu den Kritikern. Du hast Angst, aber trotzdem eine Art von Vertrauen darauf, daß jemand, in deiner eigenen Sprache, etwas aufnehmen wird von dem, was du hast sagen wollen. Torben Brostrøm und Hans-Jørqen Nielsen haben es geschafft, vieles von der Dichtung ihrer Zeit weiterzuvermitteln, aber mit einem wirklich qualifizierten kritischen Diskurs steht es schlecht, zumindest in den öffentlichen Medien.

B

Kjærstad: Der Gedichtband det sammelte vieles von dem, was in den sechziger Jahren passiert war. Die Erstausgabe des Buches erschien 1969 in 15.000 Exemplaren und steht wie ein Monument über dem, was Ihr in Dänemark ,Systemdichtung‘ genannt habt. Jemand hat gesagt, es sei eine ,Wort-Kathedrale‘. Mich interessieren besonders die Spuren der Dichtung früherer Zeiten, die man in diesem Buch entdeckt. Hast Du eine Beziehung zum Begriff ,Postmodernismus‘?

Christensen: Ich finde ihn nicht uninteressant, aber ich fühle mich ziemlich verwirrt hinsichtlich meiner Beziehung zu ihm. Als ich zum erstenmal auf den Begriff stieß, dachte ich sofort an meine Arbeit mit det, an die Art und Weise, Formen wiederzuverwenden. Als ich det schrieb, suchte ich nach Formen, die sich in der langen Geschichte der Poesie aus besonderen Zuständen der Kultur herauskristallisiert hatten. Dann griff ich einige dieser Formen heraus, z.B. das Madrigal, Dante, Blake und Erik Lindegren, die ich als Grundformen mit einem bestimmten musikalischen Klang auffaßte, eine individuell geprägte und zugleich von der Gegenwart erfundene Form, die etwas Bestimmtes sagen kann, was andere Formen nicht können.
Eine solche Idee begreife ich als etwas Typisches für das, was man Nach-Modernismus nennen könnte. Als ich det schrieb, wollte ich die oben Genannten als Modelle verwenden, über die ich schreiben konnte. Nicht nur als rhythmische Modelle oder Reimmodelle. Ich dachte, indem ich mich solcher bestimmter Schreibweisen bediene, indem ich z.B. versuche, ebenso kompakt zu schreiben wie Erik Lindegren in Mannen utan väg (Der Mann ohne Weg) – mit den mächtigen Schwingungen zwischen den Lauten, mit dem Zusammenstoß von Buchstaben –, könnte ich in meinem Bewußtsein etwas aufreißen, was ich sonst nicht zum Vorschein brächte. Auf diese Weise stieg ich in Schichten hinab, mit denen ich mich früher nicht beschäftigt hatte, jedenfalls nicht in der Poesie. Solche Dinge kommentierte selbstverständlich niemand, als det gelesen wurde. Dies lebt aber in alphabet weiter; hier konnte ich es nicht lassen, alte dänische Kirchenlieder zu verwenden, die als Ferment in die Art des Schreibens eingegangen sind.

Kjærstad: Wie bewertest Du die siebziger Jahre?

Christensen: Die Siebziger in Dänemark waren eine seltsame Periode, zumindest für mich. Die Politisierung, die eigentlich überfällig war und an der ich mit det selbst teilnahm, nahm eine ganz andere Wendung, als ich erwartet hatte, und wurde zum ,praktischen Schreiben‘. Vielleicht kam auch etwas Gutes dabei heraus: Einige der Energien, die vorher an die Schrift gebunden gewesen waren, wurden jetzt irgendwie nach außen vermittelt, so daß sich die Leute ihrer bedienen konnten. Außerdem war es eine starke Aufschwungperiode für Frauen, die anfingen zu schreiben.

Kjærstad: Verläuft eine natürliche Verbindungslinie zwischen det und alphabet, das 1981 erschien?

Christensen: det ist ein Produkt der sechziger Jahre, mit dem allmächtigen Autor, der det schreibt, weil es ein Wort ist, das stellvertretend steht für alles auf der Welt, das solche langen, seltsamen Mobiles in die Luft wirft und sich dann wieder in sich selbst kehrt. Das ist ein Modell, man sagt das nur so: Bitte, so kann die Welt auch aussehen, vom ersten ,det‘ bis zum letzten ,det‘ des Buches. Die ganze Zeit aber mit dem Autor als einer Person, die es inszeniert.
Ich finde, es ist eine enorme Strecke bis hin zu alphabet, das nur auf Schrift, auf sich selbst als Schreibprozeß verweist – indem es sagt, daß es das Alphabet tatsächlich gibt. Worin aber der Mensch, auch der Autor, zu etwas geworden ist, das eher in der Ferne auftritt. Der Mensch steht nicht länger im Zentrum, wo er mit Modellen kommen kann, wie die Welt aufgebaut ist. Das Ganze geht seinen Gang und ist zufälliger geworden, vom Standpunkt des Menschen aus gesehen, und zugleich notwendiger in einem höheren Sinne. Die Balance zwischen Zufälligkeit und Notwendigkeit ist für mich im Laufe der Zeit zwischen det und alphabet ganz anders geworden. Ich fühle mich heute als Mensch zufälliger als in den sechziger Jahren. Ganz zu schweigen davon, wie notwendig und einzigartig wir uns als Kinder fühlen.

C

Kjærstad: Wurde alphabet ungefähr in der gleichen Form von Raptus geschrieben wie Azorno und Teile von det?

Christensen: alphabet wurde auf eine ganz andere Art geschrieben: Ich habe es lange Zeit mit mir herumgetragen. Ich habe es mit ins Bett genommen oder in die Küche, ich bin mit ihm ans Nordkap gereist und zurück, habe ständig ein bißchen daran geschrieben. Es war eine schwere Geburt. Ich saß da mit einem Stapel großer Bögen mit Wörtern mit a, b, c usw. Sie lagen einfach da, von der ursprünglichen Idee her, ein utopisches Wörterbuch zu machen. Dann kam ich plötzlich auf das Wort ,finnes‘ (,gibt es‘), es wurde zum Schlüssel: daß es all diese Wörter gibt, und daß die Möglichkeit, daß es sie nichtgäbe, heute gegenwärtig ist. Aber noch immer fehlte mir etwas, das all diese Wörter auf all diesen Bögen strukturieren konnte.
Dann fiel mir plötzlich ein, daß ich irgendwo, während der Suche nach Wörtern mit verschiedenen Buchstaben, in einer ganzen Reihe verschiedener Lexika las, etwas gesehen hatte, aber ich konnte mich nicht erinnern, was es gewesen war. Das war eine ziemlich merkwürdige Erfahrung für mich: Es war kurz vor Ostern, und ich saß auf einer Bank und ruhte mich aus, mit allen Paketen, die ich gekauft hatte, um mich herum. Da kam ein junger Komponist, den ich kenne. Ich erzählte ihm, ich könne mich nicht erinnern, was ich gelesen hatte, glaubte aber, es sei etwas Mathematisches gewesen, so und so. Ja, das ist die Fibonacci-Folge, sagte er plötzlich. Eigentlich hat also er die Schuld!

Kjærstad: alphabet endet mitten im Alphabet und enthält außerdem viele apokalyptische Andeutungen – ist alphabet ein pessimistisches Buch?

Christensen: Nein, das glaube ich nicht. Viele nehmen Anstoß daran, daß es so traurig endet, damit, daß sich niemand mehr der Kinder annimmt. Das ist eine Ebene. Auf einer anderen Ebene aber ist es optimistischer als z.B. det, weil, scheint mir, größere Ressourcen darin liegen, daß wir der Welt gewissermaßen unterworfen worden sind, statt weiter zu glauben, wir kontrollierten sie.

Kjærstad: In alphabet verwendest Du also Fibonaccis mathematische Reihe. In Evighedsmaskinen sind die Kapitel wie eine Potenzreihe numeriert. det ist auf der Zahl Acht und einigen grammatikalischen Termini aufgebaut. Es scheint so, als ob Du meintest, daß man die größtmögliche Offenheit und Spontaneität gerade bei der größtmöglichen bewußten Inszenierung und Kunstfertigkeit erreicht. Oder warum benutzt Du Systeme und Modelle, wenn Du schreibst?

Christensen: Ich benutze Modelle, um nicht gänzlich dem Spiel der Zufälligkeiten überlassen zu sein. Mit ,Spiel der Zufälligkeiten‘ meine ich mein zufälliges Temperament, das einer von Milliarden von Zufällen ist. Wenn man das entdeckt, dann erfindet man einen oder man sucht nach einem Widerstand wie Mathematik. Mathematik ist ja ganz anders als die Gedanken, die man hat, wenn man beispielsweise herumläuft und sein Haus putzt. Einer der Gründe dafür, daß ich Systeme benutze, ist mit anderen Worten, daß ich gerne etwas anderes sagen möchte, als das, was mir zuerst einfällt. Weil das, was mir zuerst einfällt, dasjenige ist, worüber man sonst dauernd redet, dasjenige, was einen die ganze Zeit umgibt.
Die Systeme helfen dabei, etwas herauszubekommen, das anderswo herstammt, nicht bloß aus der eigenen ,Seelentiefe‘, sondern aus allen möglichen merkwürdigen Ecken. Da ich als Mensch die ganze Zeit mit Formen von Systemen konfrontiert werde, will ich, daß auch die Gedichte, die ich schreibe, in der Begegnung mit etwas Ähnlichem geschaffen werden. Auf diese Weise kommt etwas heraus, Gedichte, die eine Kombination aus der Welt und mir selbst sind, und das werden Gedichte, die anders sind, als wenn ich bloß von meiner eigenen privaten Welt aus schreibe, die außerdem privater wird, je länger man lebt. Für ein Kind ist die Welt ja sehr groß, dann wird sie kleiner und kleiner. Darum benutze ich diese Systeme. Ich will auch nicht damit hinter dem Berg halten, daß es Spaß macht. Aber das ist auch erstaunlich: Warum in aller Welt gibt es Mathematik?

Kjærstad: Als Du während der Arbeit an det Viggo Brøndals Præpositionernes Theori (Theorie der Präpositionen) gelesen hast – ein Buch, aus dem Du einige Strukturierungsschlüsse ziehst –, war das völlig zufällig?

Christensen: Nein, man ist die ganze Zeit auf der Suche. Und man trifft selten Leute, die dieses Buch gelesen haben. Es hat meine Aufmerksamkeit erregt, weil es von Relationen handelt, und dieser Begriff war damals sehr wichtig für mich. Ich grübelte ständig darüber nach, was Relationen in der Sprache herstellt.

Kjærstad: In meinen Augen ist das Originellste an Deinem Werk, daß Du, literarisch, Strukturalismus und Biologie zusammengedacht hast. Du hast gesagt, Du faßt die sprachliche Struktur als etwas auf, das in der Verlängerung der biologischen Struktur liegt. In alphabet schreibst Du von Wörtern als Chromosomen.

Christensen: Wie gesagt, ich entdeckte den Strukturalismus in den sechziger Jahren. Er und die gleichzeitige Lektüre der französischen Biologen Jacques Monod und François Jacob hatten eine ungeheure Bedeutung für mich. Sie sagten mir etwas, das irgendwie z.B. mit Claude Lévi-Strauss zusammenpaßte. Die Art und Weise, wie Chemie und Biologie funktionieren – für mich ist das ein bißchen die gleiche Art und Weise, wie Sprache funktioniert.
Das klingt vielleicht wie ein Bild, aber ich habe es immer so gesehen: Wenn du ein Gedicht liest, empfindest du, daß ein Wort, das in der ersten Zeile steht, gewissermaßen eine besondere Korrespondenz mit einem Wort in der dritten Zeile hat, das wiederum eine merkwürdige Verwandtschaft hat mit einem Wort in der vierten Zeile… und dann tritt etwas Seltsames ein, das irgendwie beeinflußt, was so glatt ineinanderzufließen schien. Diese verborgenen Verbindungen können im besonderen Klang der Wörter liegen. Auf die gleiche Weise wie die Grundstoffe in ihrem Periodensystem haben auch die Wörter eine Fähigkeit, andere Wörter an sich zu binden. Ich habe das so schon in Lys empfunden, aber ohne es formulieren zu können. Viele nennen das reine Mystik. Für mich ist es etwas, das man beinahe anfassen kann.
Aber diese Entdeckung bewirkt auch, daß es mir so schwerfällt zu schreiben. Lange Zeit wollte ich einen Roman schreiben, der sich entfaltet wie die DNA-Kette, mußte ihn aber weglegen. Das läßt einen dann verzweifeln, Mensch zu sein. Auf der einen Seite werden wir beherrscht, unter anderem von solchen biologischen Prozessen. Und auf der anderen Seite sind wir die Herrschenden. Es gibt etwas in diesem merkwürdigen Punkt, Beherrschter und Herrschender zugleich zu sein, das herauszufinden ich als lebenswichtig empfinde. Vielleicht schreibe ich deswegen so selten, weil ich ihm nicht auf die Spur kommen kann.

Kjærstad: Mit Deinem Interesse für Biologie – wie kommt es, daß Du in Deinen Büchern in erster Linie mathematische Systeme gewählt hast?

Christensen: Ich finde, alphabet hat etwas Biologisches. Ich hätte ja nicht einfach schreiben können 1, 2, 3, 5, 8 usw., d.h. Fibonaccis mathematische Reihe – niemand würde das als ein Gedicht betrachten. Aber ich vertraue darauf, daß, wenn ich etwas schreibe, das teils ich selber bin, teils in der Welt ist – in diesem Falle also Mathematik –, daß diese Kombination aus den Zahlen und meinen Worten so etwas wie ein natürlicher Organismus wird. Übrigens bin ich später dahintergekommen, daß Dinge in der Natur, in der Botanik, mit Fibonaccis Reihe übereinstimmen.

D

Kjærstad: 1976 hast Du Das gemalte Zimmer veröffentlicht, eine Erzählung in drei Teilen, die in der Hochrenaissance spielt und sich um ein Zimmer dreht, dessen Wände und Decke von Mantegna bemalt sind.

Christensen: Es hat Spaß gemacht, eine Geschichte zu schreiben, die einige Regeln einhalten sollte, die ich in den Gemälden, die Du erwähnst, gesehen hatte; sie sind im Buch auch wiedergegeben. Ich habe den tatsächlichen historischen Stoff über diese Zeit gelesen und das dann mit der Idee kombiniert, all die Elemente, die ich in den Gemälden gesehen hatte, sollten auch in der Erzählung gegenwärtig sein. Das war spannend. Besonders gern habe ich die letzte der drei Geschichten geschrieben, die aus dem Blickwinkel eines zehnjährigen Jungen – es geschieht selten, daß mich ein Stoff so gefangen nimmt, es ging so schnell, daß ich kaum schnell genug schreiben konnte.
Das gemalte Zimmer ist vielleicht dasjenige meiner Bücher, das mir am liebsten ist. Azorno ist eine eigenere, in sich gekehrte, meditative Erfahrung, während mir gleichzeitig völlig klar war, wie ich über die Sprache dachte. Das gemalte Zimmer war etwas anderes, dem ich mich nicht noch einmal richtig zugewandt habe, da gibt es ein paar lose Fäden… Es war schön, von diesen Menschen zu lesen und allem, was sie geschrieben haben. Wäre ich ein bißchen normal gewesen, hätte ich eine ganze Romanserie schreiben können. Eine Zeitlang hatte ich das Gefühl, ich hätte den Beruf verfehlt, ich hätte nicht Schriftstellerin werden, sondern irgendein seltsames kleines Tier erforschen sollen. Das scheint mir ein glückliches Dasein zu sein. Eine kleine Spinne zu erforschen, die dich dann, durch einen Zufall, auf die Spur großer Zusammenhänge bringt; die schließlich beweist, daß die Kontinente einst zusammengehangen haben.
Das ist vielleicht das Optimale: demütig nach etwas zu suchen, von dem man ahnt, daß es richtig sein muß. Ganz tief in etwas zu leben. Vielleicht ist das Schreiben von Dichtung von diesem Zustand nicht so weit entfernt. In der Sprache forschen, auf die gleiche Weise, wie man in ein Mikroskop schaut, nach etwas suchen, das man nur spürt… das ist es, was mich dazu bringt, Gedichte zu schreiben. Wenn ich nicht in diese Stimmung komme, finde ich es nicht der Mühe wert zu schreiben. Dann schreibe ich Prosa, spaßeshalber.

Kjærstad: Du meinst, man soll einem Kunstwerk ansehen können, wie es gemacht ist, weil Du die Struktur eines Kunstwerks als eine Form von Philosophie siehst, als etwas, das in sich bedeutungstragend und sinnvoll ist. Du meinst auch, daß ein Buch suggestiv sein soll. Ist das nicht ein Widerspruch? Oder ist es möglich, darüber zu schreiben, daß es auf eine verführerische Art gemacht ist? Ist das nicht eines der Probleme der Metaliteratur – daß wir nicht gut genug sind, auch dort verführerisch zu schreiben, wo wir über die Schrift schreiben?

Christensen: Ich habe das Ziel, beides zu erreichen. Azorno ist ja ein Roman über Verführung, und er verführt auch einige Leser, andere legen ihn weg. Die, die verführt werden, sind vielleicht am Ende so erstaunt, daß sie von vorn anfangen, und einige von ihnen stellen auch fest, daß der Roman davon handelt, verführt zu werden – indem sie entdecken, wie das Buch gemacht ist.

Kjærstad: Du bist nicht gerade der Typ, der jedes Jahr ein Buch veröffentlicht.

Christensen: Wonach Ich immer suche, ist die Art, wie ich Dinge machen will. Man sucht nach einer Art, den Morast von Zufälligkeiten zu strukturieren, von denen die Welt so voll ist. Ich fühle mich im Augenblick ziemlich desorientiert im Hinblick auf das, was eigentlich vorgeht. Und ich bin nicht damit zufrieden, mich hinzusetzen und ein Gedicht darüber zu schreiben, daß die Sonne da auf- und dort untergeht. Ich schaffe es nicht, mich mit dieser Form des Schreibens zu begnügen, ich habe Lust, mehrere Dinge gleichzeitig herauszufinden.

E

Kjærstad: Die Gedichtsammlung brief im april, die Du 1979 publiziert hast, wirkt sehr durchkomponiert, man kann sie fast wie eine Partitur lesen. Welche Beziehung hast Du zur Musik?

Christensen: Hier in Kopenhagen gab es, Anfang der sechziger Jahre, eine Gruppe namens De Unge Tonekunstneres Selskab (Gruppe der jungen Tonkünstler). Sie gaben Konzerte. Dabei hörte ich die ersten modernen Stücke, die mich wirklich schwindelig machten. Dann nahm ich Sendungen über Komponisten dieses Jahrhunderts im Dansk Radio auf. Webern und Fartein Valen.
Ich bin immer mit dem Klang beschäftigt, wenn ich schreibe, Rhythmus und Musik sind ganz wesentlich für mich. brief im april wurde in Paris geschrieben, obwohl alle glauben, es sei auf dem Land entstanden. Ich habe ihn nach einem Kompositionsmuster geschrieben, das ich bei Messiaen gefunden hatte, ein Muster aus seiner seriellen Kompositionstechnik, das durch Punkte über den Gedichten angegeben ist.

Kjærstad: Liest Du jemanden von den jüngeren dänischen Lyrikern mit Interesse?

Christensen: Es ist so viel passiert in der letzten Zeit. Es ist nicht ganz fair, einige wenige herauszugreifen. Pia Tafdrup ist ja in Vinduet vorgestellt worden. Sie schreibt sinnliche Gedichte auf eine klare, beinahe sezierende Weise. Kennst Du Morti Vizki? Einige seiner Gedichte sprühen in alle Richtungen und sagen verblüffende Dinge. Besonders in seinem letzten Buch. Und dann gibt es natürlich Klaus Høeck, auch wenn er nicht mehr so jung ist.

Kjærstad: Das Körperbewußtsein, das in jüngere dänische Poesie hineingekommen ist – ist es bei den Schriftstellerinnen stärker präsent?

Christensen: Nein, dies sieht man auch bei einigen Schriftstellern. Es liegt eher an der Zeit. Es hat vielleicht etwas damit zu tun, daß niemand so recht weiß, wo wir stehen. Man läßt sich im Körper nieder. Nicht nur Dichter, das passiert auch bei den Leuten, die joggen. Auch die Renaissance hat den menschlichen Körper studiert, aber da gibt es trotzdem einen Unterschied, Heute wissen wir das meiste, aber in der Zwischenzeit sind wir eingesperrt gewesen. Wir wissen, daß die Sonne sich selbst verbrennt.

Kjærstad: Wenn Du mit jüngeren Schriftstellern in Kontakt kommst – gibt es etwas, worüber sie Deiner Ansicht nach nachdenken sollten?

Christensen: Es ist schwer, allgemein darüber zu reden. Dichtung ist für mich etwas sehr Konkretes. Aber manchmal habe ich den Eindruck, sie sind zu selbstbezogen. Ich vermisse – aus meiner eigenen Tendenz heraus – eine größere Perspektive. Manche haben ein Gehör wie Wale dafür entwickelt, wie sie Signale in Richtung der anderen Körper aussenden, die in derselben Stadt herumlaufen. Aber was macht man dann?

Kjærstad: Siehst Du charakteristische Züge in der skandinavischen Literatur? Was ist unsere Stärke?

Christensen: Selbstverständlich empfinde ich eine spezielle Art von Verwandtschaft mit anderen Schriftstellern, die in Skandinavien schreiben, mit Gören Sonnevi, Tomas Tranströmer, Birgitta Trotzig – denn wir gehören, in vieler Hinsicht, zur selben Kultur. Das Charakteristische unserer Literatur ist vielleicht ein nachdenklicher Ton… wenn man Ekelöf nimmt; ein Individuum, das sich zu seiner nahen Umwelt und zugleich zur großen globalen Umwelt verhält, ein Dichter, der versucht, die Fäden von vielen verschiedenen Orten zusammenzuhalten und in seine Poesie hineinzuziehen. Es kann sein, daß dieses anderswo, in so hohem Maße nicht geschieht.
Wenn Neruda, den ich am höchsten schätze, die Erde besingt, ist das so, wie es Dichter immer gemacht haben, man hat immer an irgendeinem Feuer gesessen und Verwendung für jemanden gehabt, der solche Dinge sagt. Aber hier, wo in den Straßen Feuer selten sind, arbeiten die Dichter einsamer. Vielleicht können sie Flammen von mehreren Orten einfangen, von allem, was auf der ganzen Welt gleichzeitig geschieht, versuchen, ihnen Körper zu geben.

Kjærstad: Meinst Du, daß die Stellung der Literatur stärker ist, als viele Schriftsteller heute befürchten?

Christensen: Die Stellung der Literatur ist ebenso stark wie die des einzelnen Individuums. Entweder geht alles unter, oder auch die Literatur geht nicht unter.

Schreibheft, Heft 45, Mai 1995
Aus dem Norwegischen von Angelika Gundlach

Der Mut der Jugend

– Brief an Hanns Grössel. –

Lieber Hanns,

(…) Ich freue mich sehr, daß Du Dir für die Übersetzung von Lys und Græs Zeit nehmen kannst. Gut, daß Josef [Kleinheinrich] sich endlich aufgerafft hat, Dir zu schreiben. Selber neige ich dazu, sie [Lys und Græs] als Phänomene aus einer fernen und fremden Jugend zu betrachten. Aber vielleicht ist es ganz gut, an ihre Existenz erinnert zu werden.
Ich wurde es neulich in einer Nummer von Hvedekorn, deren Redaktion eine alte Rundfunkaufnahme meiner improvisierten Melodien zu einigen Gedichten aus Lys aufgespürt hatte (Improvisationen aus der Zeit nach 1961), als Paul [Borum] und ich uns das erste Tonbandgerät gekauft hatten). Sie hatte dann den Komponisten Karl Aage Rasmussen dazu vermocht, sie mit Noten aufzuzeichnen. In dem Zusammenhang fiel mir ein, daß die schwedische Zeitschrift Ord & Bild damals in den Sechzigern die Noten zu dreien der Gedichte gedruckt hat. (…)
Hiermit schicke ich Dir Kopien davon, auch um Dir für die Übersetzungsarbeit an etwas so Altern den Mut der Jugend zu wünschen. Ich hoffe, Du wirst Dich nicht langweilen, sonst mußt Du anrufen.

Inger Christensen aus einem Brief vom 8. Januar 2004, Schreibheft, Nr. 72, März 2009

 

Thomas Sparr: Lesbarkeit der unlesbaren Welt. Die dänische Lyrikerin Inger Christensen, Merkur, Heft 567, Juni 1996

Uljana Wolf sprach im Rahmen des poesiefestival berlin 2008 mit Inger Christensen.

Zwiesprachen: Nico Bleutge über Inger Christensen. Am 5. November 2019 im Lyrik Kabinett, München

 

 

Jan Wagner: Weltenformeln. Vor allem über Inger Christensen. Zweiter Bamberger Poetikvortrag im Rahmen der Bamberger Poetikprofessur

 

Beim 1. Internationalen Literaturfestival in Berlin, am Samstag, den 16. Juni 2001, lesen im Festsaal der Sophiensäle in Berlin-Mitte die Lyriker Rita Dove (USA), Günter Kunert (Deutschland) und Inger Christensen (Dänemark), gefolgt von einer Podiumsdiskussion und Fragen aus dem Publikum (moderiert von Iso Camartin).

 

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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Inger Christensen

 

Inger Christensen spricht 2008 mit Paal-Helge Haugen.

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