Klaus Menapace: Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Klaus Menapace: Gedichte

Menapace/Menapace-Gedichte

VORRÄTE

ich hab mich eingerichtet
an der Oberfläche
die Masken ausprobiert
gewechselt
Möglichkeiten & Geschichten
ich kann jetzt wieder gehn
ohne den Versuch
trotzdem zu bleiben

aaaaaadie Vorräte fürs Scheitern
aaaaaaaaaasind wieder angelegt

 

 

 

Editorial

– Die literarische Jahreszeitschrift filadrëssa stellt den 1990 gestorbenen Lyriker Klaus Menapace in den Mittelpunkt ihres Heftes. –

Versuche einfacher zu denken / es ist einfacher als du denkst. Dieser verspielte und dennoch schlicht gehaltene Grundgedanke am Schluss eines Gedichts stammt von Klaus Menapace. Sepp Mall, selbst Schriftsteller und einstiger Freund des Lyrikers, beschreibt das Gedicht als „eine Sentenz, aufgeklappt in vier Zeilen, fast unscheinbar in ihrer unprätentiösen Diktion – aber so eindringlich und poetisch, dass sie nie mehr aus meinem Kopf gelöscht werden können“. Auch Claudio Magris hat Klaus Menapace im Buch Microcosmi (Die Welt en gros und en détail) ein Denkmal gesetzt, wenn er seine Gedichte als „außergewöhnliche Momentaufnahmen des Zaubers und der Mühsal des Lebens“ beschreibt. Menapace hat seine zarten, fragilen Gedichte in geometrisch, eindringlich konstruierte Wortketten gehüllt – rigorose Wortmasken, die seine intensiv und gefühlvoll erlebten Alltagsbeobachtungen aus einem behutsamen und dennoch bestimmten und melancholischen Blickwinkel zum Ausdruck bringen. Eine von trauriger Leichtigkeit durchtränkte Lyrik, die seinen frühen Tod lange überleben wird. filadrëssa will Klaus Menapaces Gedichte für einen kurzen Augenblick ans literarische Tageslicht zurückholen und sie mit dieser Ausgabe in den gegenwärtigen Kontext des Südtiroler Kultur- und Literaturbetriebes einbetten.
„Eine Kultur, die zum Klischee, zur Karikatur ihrer selbst wird, die sich auf die Tradition beschränkt und diese verselbstständigt, kann kein Verständnis mehr aufbringen für die Probleme, die die Gegenwart mit sich bringt, sie wird anachronistisch und läuft sich selbst tot.“ Mit diesen Zeilen, aus einem Artikel der Zeitschrift Skolast, hat Klaus Menapace die kulturelle Situation in Südtirol als junger Student beschrieben. Während der kämpferische Menapace-Geist, Ende der 1970er-Jahre, „dieser Gefahr entgegenwirken“ als „vordringlichste Aufgabe“ ansieht, ringt und schreibt er in den Jahren danach gegen persönliche Lebensziele und letztendlich auch gegen seinen lyrischen Ausdruck, der es ihm zeit seines Lebens ermöglichte, sich reiner und freier zu äußern als im gewöhnlichen Alltag. Am Ende stellt sich Klaus Menapace freiwillig auf die Seite des Stärkeren. Stärker / als alle Sprache / der Tod.
Die Vorräte fürs Scheitern sind wieder angelegt lautet der Schlusssatz eines weiteren Gedichts von Klaus Menapace. Mit: „Die Vorräte fürs Schreiben sind wieder angelegt“ hat filadrëssa Menapaces Kernspruch leicht abgeändert und dennoch dem verloren gegangenen Wort „Scheitern“ einen festen Themenplatz in der Zeitschrift eingeräumt. filadrëssa interpretiert die Begrifflichkeit des Wortes literarisch vielschichtig und sucht leise am geruhsamen Rand eines immer lauter werdenden Bestenlisten-Literaturbetriebes, welche Geschichten sich auf der Kehrseite der Medaille vorgeträumter Erfolgsmodelle abspielen. Gemäß der Maxime „Wer am besten scheitert, gewinnt“ haben zahlreiche Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland mitgeschrieben und bespielen die Zeitschrift – Satz gegen Satz – mit verschiedenen stilistischen Mitteln.
Sätze? Gegensätze? In der Einzahl wie in der Mehrzahl sind die gesammelten Erzählungen edle Sprachprodukte, die thematisch als Erben einer zweifelhaften Konsum- und Multioptionsgesellschaft dastehen. Geschichten, wo Menschen an einem Punkt anlangen, an dem Gegensätze Grundsätzliches infrage stellen. Psychische oder physische Ausweglosigkeit in Form gegensätzlicher Sätze, an einem scheinbar endgültigen Punkt.
Mit Ann Cotten ist infiladrëssa zweifelsfrei eine der interessantesten Lyrikerinnen der Gegenwart vertreten, bei der unter anderem eine inhaltliche Wesensverwandtschaft zu Klaus Menapaces Œuvre erkennbar wird. „Ich versuche immer minimalistische Systeme zu bauen – Systeme, die so sind, dass sie auch mit einer gewissen Schlampigkeit funktionieren. Für mich ist ein gutes System so, dass man Fehler machen kann und dass sie auch das Potenzial haben sich weiterzuentwickeln,“ erklärte die mittlerweile als Wunderkind der deutschen Lyrik gefeierte Schriftstellerin, in ihrem ersten Fernsehinterview. Ihren Zugang zu Text und Sprache entwickelt sie nach gewissen Grundregeln der Fuzzy-Logik, einer Theorie, welche vor allem für die Darstellung des menschlichen, unscharfen Wissens entwickelt wurde. So kann der mathematische Wahrheitswert 0,5 betragen und Sprache mit unscharfen Angaben wie „ein bißchen“, „ziemlich“ oder „vielleicht“ rechnerisch gelöst werden. Ann Cotten brillierte mit ihrem Erstlingswerk, dem Gedichtband Fremdwörterbuchsonette, für welches sie vor Kurzem mit dem Clemens-Brentano-Preis 2008 ausgezeichnet wurde. Für filadrëssa hat Ann Cotten ein feines Anti-Gedicht verfasst.
Den künstlerischen Bildteil eröffnet Thomas Grandi mit einer ebenfalls mathematisch unscharfen numerischen Abfolge an Traumporträts. Gotthard Bonell, ein enger Freund von Klaus Menapace, zeigt in einer Reihe von Menapace-Porträts sein einfühlsames Können als Porträtmaler. Eine weitere Arbeit – am Ende der beiden filadrëssa-Bildteile – gilt als eine der persönlichsten Arbeiten Gotthard Bonells im Zusammenhang mit Klaus Menapace. Das längliche, dunkle, drohende Stillleben war eine der letzten durch Menapace angeregten Arbeiten und gleichzeitig Beginn von Bonells Leidenschaft, das Material Leder malerisch zu entdecken. Die Arbeiten „gescheiterter Haufen“ von Leander Schwazer stellen eine gescheiterte Dimension vielschichtig und vielfarbig in den Raum, ähnlich wie die einfache Anleitung zum Bau eines doch komplizierten Papierkranichs. Gemäß einer japanischen Überlieferung müssen 1000 Kraniche gefaltet werden, um einen sehnsüchtigen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen. Wer auf das Spiel eingeht, kann unter Umständen scheitern. Die zwei Kranich-Gedichte der Brüder Werner und Klaus Menapace können als Dialog zueinander oder im Kontext mit der Papierkranich-Anleitung gelesen werden. Mit Monika Rinck und Ulrich Zieger sind zwei weitere Autoren aus dem deutschsprachigen Ausland vertreten, die auf ihre Weise ihre Verbindung mit Südtirol literarisch aufarbeiten. Zwei Berliner Blickwinkel auf ein Südtirol, Anfang der 1990er-Jahre und gut 15 Jahre danach. Ulrich Zieger hat nach seinem Südtirolaufenthalt, bei dem er Bekanntschaft mit Klaus Menapace – wenige Tage vor dessen Tod – machte, genaue Beobachtungen des hiesigen Alltags gemacht, die als gelungene Sozialstudie in der Erzählung Cortaccia-Kurtatsch nachgelesen werden kann. Abgedruckt finden sich ferner vier Gedichte von Bettina Galvagni, Trägerin des diesjährigen Theodor-Körner-Preises. Die ausgewählten Erzählgedichte aus ihrem letzten Gedichtband Totes Meer erinnern an die Violinistin Alma Rose, Tochter von Arnold Rose und Nichte Gustav Mahlers. Galvagni setzt – wie Birgit Holzner nachstehend analysieren wird – „zwei Welten einander entgegen, indem sie Tel Aviv gegen Auschwitz, Licht gegen Dunkelheit, Erinnerung gegen Vergessen“ stellt. Mit Birgit Holzners Besprechung zu Bettina Galvagnis Gedichtband und dem von Markus Hellweger unternommenen Versuch eines literaturhistorischen Vergleichs der mythologischen Figuren Medea und Filadrëssa finden, neben den im Zentrum stehenden Literaturbeiträgen von Christine Riccabona und Lorenza Rega zu Klaus Menapace, auch wissenschaftliche Auseinandersetzungen an historischem Textmaterial ihren festen Platz in der Zeitschrift. Eine Hynme für oder gegen das Scheitern, für Musiker und Notenverweigerer, hat Manuela Kerer komponiert. Zur Wiederbelebung der selten beachteten musikalischen Gattung des Pfeifsongs hat sie die Geschichte des Kinderraubs der ladinischen Sagengestalt Filadrëssa – welche Knaben entführt und sie in Singvögel verwandelt – zum Inhalt gewählt. Was lag näher, als eine pfiffige Aufarbeitung? Als weiteres Klangexperiment liegt der Zeitschrift eine CD bei, die mit lyrischen Geräuschkulissen eine Auseinandersetzung mit den Gedichten von Klaus Menapace eingeht. Die komponierten Soundcollagen stammen von Peter Holzknecht…

Martin Hanni, Aus dem Editorial von filadrëssa, Kontexte der Südtiroler Literatur, Heft 4, Oktober 2008

„der Himmel muß weit sein“

– Anmerkungen zu den Gedichten von Klaus Menapace. –

Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Schönheit gepflegt wird.

Hier ist die Rede vom Salz, das brennt in den Wunden.
Hier ist die Rede vom Tod, von vergifteten Sprachen.
Von Vaterländern, die eisernen Schuhen gleichen.
Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Wahrheit verziert wird
.
(Christoph Meckel)

Christoph Meckel schrieb über die Lyrik, dass, wenn man sie ernst nimmt, Bestimmungen über sie nur schwer möglich sind, dass es vielmehr darum geht: „Daß man Sätze sagt, eigene und andere, die den Vers ergänzen im Umkreis der Poesie (…). Was zur Literatur geäußert wird, kann nur Bestandteil von Literatur sein. Was aus der Poesie heraus gesagt wird, führt unmittelbar in die Poesie zurück.“ So also ließe sich über Gedichte reden: dass das Gesagte wieder zurückführt zu den Gedichten, nichts Bestimmtes im Sinne von festlegend und eingrenzend, sondern Annäherungen, versuchte Ortsbestimmungen, Ausblicke.

Als Klaus Menapace in den späten Siebzigerjahren in Innsbruck Germanistik studierte, war die junge, zeitgenössische Literaturszene, vor allem auch in Südtirol, gerade dabei sich rege und aufgeweckt in der Öffentlichkeit bemerkbar zu machen. Menapace engagierte sich damals eine Zeit lang als Redakteur für den Skolast, die Zeitschrift der Südtiroler Hochschülerschaft, schrieb für dieses Medium auch einige kulturjournalistische Arbeiten, wurde dann Gründungsmitglied der Südtiroler Autorenvereinigung und vor allem: Er trat mit ersten eigenen Texten, mit Gedichten in Erscheinung. Bereits 1981 war er Preisträger beim literarischen Wettbewerb des Südtiroler Künstlerbundes, 1984 erhielt er einen Preis der Stadt Innsbruck für künstlerisches Schaffen, gemeinsam mit Markus Wilhelm, dem damals jungen engagierten Herausgeber des Foehn. Wer in den Siebzigerjahren zu schreiben begann, für den waren die 68er direkt noch greifbar, in der Literatur war damals eine geerdete, vom Alltag geprägte Lyrik maßgebend: unprätentiös, nüchtern in der Geste, unsentimental, dennoch auch leidenschaftlich. Es war die Zeit der alternativen Lebensformen, der Bürgerinitiativen, der Öko-Bewegung, eine Aufbruchstimmung in der Wir-Form, eben diese Überzeugung der Veränderbarkeit gesellschaftlicher Zustände klang zumindest ansatzweise in der Alltagskultur nach, auch in der Literatur, ganz besonders in der Lyrik der Siebzigerjahre. Allerdings bereits angereichert mit dem Ton der Skepsis und dem Lamento der Vergeblichkeit. Die Sensibilität für die Verletzbarkeit des Menschen an sich, die Wahrnehmung seiner „Innerlichkeit“, war damals in den ausgehenden Siebzigerjahren mehr als zeitgeistiger Ausdruck, es war die Haltung einer Generation, die sich kaum treffender als mit jener vielzitierten Verszeile von Peter Rühmkorf ausdrücken ließ: „Bleib erschütterbar und widersteh.“ Werner Menapace, der Bruder Klaus Menapaces, selbst auch Lyriker und Übersetzer in Tramin, fasste dies einmal in den folgenden Gedichtsatz: „So sei denn Schreiben KONTROVERS! / Widersprüchlich, in sich und nach außen, / Widersprüche aufzeigend.“
Programmatisch liest sich Klaus Menapaces „Gedichte“-Gedicht, das die radikale Subjektivität des Schreibens benennt. Im selben Atemzug jedoch – quasi wie die Umkehr des Einatmens nach außen – ist diese Selbstverschlossenheit zurückgenommen, um den eigentlichen Sinn des Schreibens, der poetischen Haltung freizulegen:

GEDICHTE

gefilterte Mitteilungen
aaaaaaaaaaaan mich selbst
& ohne Gebrauchswert
aaaaaaaaaaafür irgendwen
geeignet höchstens
aaaaaaaaaaaVerletzlichkeit
nicht nur zu verbergen

Der als untrennbar erkannte Zusammenhang von Privatem und Öffentlichem entließ das Gedicht, das gerade noch als Werkzeug für gesellschaftliche Veränderung auf öffentlichem Prüfstand gestanden hatte, wieder in den Innenraum des konkret erfahrenen Lebens, das in seiner subjektiven Konkretheit um nichts weniger in die gesellschaftlichen Bedingungen hineingebunden war.
„La poésie est dans la rue“, die Poesie liegt auf der Straße, ein alter 68er-Slogan hallte wie das Motto einer unruhigen Zeit nach, die so manche Maxime und Utopie kollektiver Veränderungen verloren, sich statt dessen das Schlagwort der ,authentischen Selbsterfahrung‘ und mehr noch die Verunsicherung subjektiven Fragens eingehandelt hatte.

FRAGE

die Erinnerung an
versäumte & vergessene Gedichte
kaum gedachte Briefe &
nicht geschriebene
verlorene Zeit
nicht erzählte Gedanken
verdrängte Wünsche &
abgewöhnte
die Grausamkeit der Gewohnheit
alltäglicher Schmerz
was kann
oder
kann überhaupt noch was
dagegen stehn?

Menapace beschäftigte sich während seines Studiums intensiv mit dem wohl populärsten gesellschaftskritischen Autor seiner Zeit, der an öffentlicher Wirksamkeit kaum zu überbieten war: Erich Fried. In seiner Dissertation über Erich Fried, den er in Lana bei einer Lesung persönlich kennengelernt hat, zeichnete Menapace die Entwicklung seiner Lyrik nach. Dabei stand vor allem auch der Begriff der „politischen Lyrik“ im Zentrum, der zu den Grundfragen des Schreibens nicht nur bei Fried hinführt, Grundfragen, die auch Menapace selbst betrafen und auf seine eigenen Texte abfärbten. Und natürlich empfand Menapace – er hat dies in seiner Fried-Dissertation auch herausgearbeitet – den Begriff „politische Lyrik“ als einengend und reduzierend, und zwar prinzipiell, nicht nur thematisch. Fried hat bekanntlich neben explizit politischen Texten auch Liebesgedichte, Naturgedichte, Widmungsgedichte u.a. geschrieben. Seine Texte sind in eine größere Perspektive gestellt, die Menapace in einem Satz von Fried gefunden und festgehalten hat: Das ist (…) die Aufgabe des Künstlers: die Wirklichkeit zu eruieren zwecks größerer Humanität.“
Menapace erarbeitet in seiner Dissertation ein differenziertes Bild der Entwicklung wie auch der unverwechselbaren Charakteristik der Lyrik Frieds, die in erster Linie in der untrennbaren Verquickung engagierter Weltsicht und existenzieller Ich-Erfahrung liegt. Menapaces eigene Lyrik entwickelt sich aus eben dieser poetologischen Grundhaltung heraus, kein Wunder also, dass in vielen seiner Gedichte dieser „Fried-Ton“ bemerkbar ist, ebenso der „Gestus des Fragens und des Weiterdenkens“, den Menapace an der Lyrik Frieds besonders hervorhebt. Nicht zuletzt dieser Gestus bewirkt eine offene Struktur der Gedichte, die die Leser in einen Kommunikationsprozess hineinzieht und die Texte offen hält für individuelle Lesarten.
Johann Holzner wies später in einem Aufsatz über die unterschiedlichen Nachwirkungen Erich Frieds bei Autoren der jüngeren Generation auf Klaus Menapace hin:
„Hier ist der Ort, an einen Lyriker zu erinnern, der beinahe alle seine Gedichte im Sog des Fried-Tons geschrieben hat.“ Gedichte wie „kein Märchen / dieser Tage“, „Der Vorsichtige“, „Rechtfertigung I“ u.a. zeigen, wie nahe Menapace den Gedichten Frieds stand. Dennoch: Was die Qualität der Gedichte Menapaces ausmacht, ist, dass er letztlich „eine unverwechselbare, eigene Sprache gefunden hat.“ Was Menapace anhand der Lyrik Frieds produktiv erprobt und als poetologische Prämisse entwickelt hatte, dass nämlich Schreiben grundsätzlich dem Auseinanderbrechen von privater und politischer Existenz entgegenwirkt, einfach deshalb, weil der Mensch unteilbar ist, gilt selbstverständlich für sein eigenes Schreiben und für seine unverwechselbare Sprache.
Diese eigene Sprache verdankt sich gewiss auch anderen Lektüren, Christoph Meckel beispielsweise, oder Ernesto Cardenal, ebenso prägt Rockmusik und Blues mitunter den Sound der Texte und mischt Atmosphärisches in die Wortzwischenräume, ganz wesentlich scheint auch das visuelle Moment zur Eigenheit der Texte Menapaces zu gehören. Seine Gedichte sind aus der Perspektive der Nachschrift stille Notate – aufgezeichnet an den Rändern des gesellschaftlichen Alltags, der Arbeit, der Familie, der Tätigkeit in der Schule – sie scheinen festgehalten mit der Optik einer poetisch-engagierten Weltsicht, die es vermag, aus dem Lärm der Realität jene singuläre und eigenwillige Partitur herauszufiltern, in der die Zeitsignatur und die individuelle Tonlage ineinander geschrieben sind. Es ist in den Texten ebenso viel Gesellschaftskritik enthalten wie subjektives Erleben und individuelle Befindlichkeit, die über den gegenwärtigen Moment und jedwede monologische Ich-Bezogenheit hinausweist – und so die Leser erreicht, anspricht, vielleicht auch berührt.
„Es sind viele Chiffren des Zerbrechens an diesem Leben, an dieser Welt, an der Gesellschaft in diesen Gedichten enthalten; nirgends aber hat man das Gefühl, der Dichter würde sich selbst bemitleiden“, schrieb Ferruccio Delle Cave in seinem Essay über Klaus Menapace, mit dem er 1996 einen Abend mit Texten Menapaces und Vertonungen von Eduard Demetz und Heinrich Unterhofer im Bürgerhaus von Tramin einführte.
Chiffren für Liebe, Tod, Trauer, Leidenschaft und Emotion – destilliert in äußerst knappen-Mitteilungen, die mit wenigen Worten Momente des Daseins evozieren. Einfache Zeilen führen den einen treffenden Linienstrich, lassen manchmal nicht viel mehr als filigrane Skizzen und in ihrer Reduziertheit federleicht wirkende Augenblicksbilder entstehen.

INSPIRATION

aaaaaaaaaanachts
setz ich mich hin
Blues oder Oldies
Zigaretten & Rotwein
& warte
auf die kleine Inspiration
die mir die Sicherheit gibt
bis zum nächsten Morgen
beruhigt zu sein

Es scheint, der Lyriker habe sich den Blick für das Einzelne, das Besondere zu bewahren versucht. In zahlreichen Fotografien hat er diesen Blick erprobt, mit diesem Blick Landschaften und Impressionen eingefangen, in Bildern, die auf seinen Reisen in Europa, Asien, Russland entstanden sind, in Irland, in Italien, in den Gegenden Südtirols, auf Höhenwegen, in den Dörfern und Wäldern seiner Umgebung. Man nimmt das jeweils bewusst gewählte Segment, den Blick für das Detail im Ganzen wahr. Ganz ähnlich wie in den Gedichten, wo keine Zeile zufällig oder zu viel steht, wo die einzelnen Worte zählen, die aus den Moränen einer brüchig gewordenen Sprache aufgelesen wurden, wo da und dort auch ein meditativer Zug durchscheint.

DUNKLER WERDEND

verliert sich
aWiesenhang an Wald
aaWald an Bergrücken
aaaBergrücken an Himmel
aaaaHimmel an Nacht
aaaaaverliert sich

Es ist diese Übersetzung des Raumes in uneingeschränkte Gegenwart, die auch Claudio Magris an den Gedichten Klaus Menapaces hervorhob: „Seine Gedichte, außergewöhnliche Momentaufnahmen des Zaubers und der Mühsal des Lebens, verwandeln die konkreten Landschaften, das Glitzern von Schnee und Wald in Landschaften der Seele, in eine winterliche Szenerie, die die Orte, an denen diese Bilder entstanden sind, evoziert und gleich wieder vergessen lässt.“
Gedichte von Landschaften, die in die eigene Seele hinein wirken, die von Bildern der Seele durchwirkt sind diese poetische Vermittlung des „In-der-Welt-Seins“ von innen heraus lässt an die Zeile von Anita Pichler denken: „Das Herz, das ich meine, ist die Luftwurzel im Auge, durch die ich die Welt einlasse, es ist die Luftwurzel im Auge, aus der die Welt mich nimmt.“
Ein Gedicht wie „Landschaften Orte“ wendet subtil die sinnliche Impression des Örtlichen zurück ins eigene Ich, lässt sie (die „Bilder / hinter geschlossenen Lidern“) dort entstehen, wo das Zentrum der Sehnsucht und der Vorstellung von Schönheit, Freude und Fantasie ist, aber auch das Zentrum des Schmerzes.

LANDSCHAFTEN ORTE

erfinde dir
Landschaften Orte Geschichten
& statte sie aus

mit dem Flirren
des Mittags Katzenkopfpflaster
& wechselndem Licht

vergiß nicht
die Bläue von Himmel & Wasser
das Salz auf der Haut

brennt
in den Wunden.

Klaus Menapace schrieb gerade so viele Gedichte, wie sie einen Band füllten. Verstreut hat er sie zu Lebzeiten in den literarischen und kulturellen Medien seiner Umgebung publiziert, zuallererst im Skolast, dann in den Sturzflügen, in der Arunda, im Gaismair-Kalender. Nach seinem frühen, unerwarteten Tod erschien 1992 posthum ein Gedichtband, zusammengestellt von Freunden und Weggefährten, herausgegeben von der Südtiroler Autorenvereinigung. Nicht zufällig entstand der Band in der Meraner Offizin S. von Siegfried Höllrigl (gesetzt auf der Linotype und gedruckt und gebunden in der Tipolitografia Armena auf der Isola di San Lazzaro in Venedig), denn Klaus Menapace ging nicht nur mit Worten sehr sparsam und sorgfältig um, er legte auch Wert auf das Druckbild. Jedes Wort scheint gedreht und gewendet, bevor es seinen Ort im Gedicht findet, präzise gesetzt und zu den anderen in Beziehung stehend. Für seine letzte Gedichtpublikation in den Sturzflügen im Herbst 1989 erbat er sich: „Die Texte bitte in graphischer (Zeilenanfänge & -enden; Widmungen versetzt & in Klammem; usw.) wie in formaler Hinsicht (Groß-/Kleinschreibung; &-Zeichen; Schrägstriche; usw.) unverändert bzw. genauso, wie sie hier stehen, abdrucken.“ Die Gedichte Menapaces wollen also mindestens so viel gesehen wie gelesen werden, denn bewusste äußere Formgebung spielt mit dem außersprachlichen Raum, lässt dem Schweigen Zeit, holt das Ungesagte in die weißen Freiräume der beschriebenen Blätter. Das optische Moment der Texte lässt die Absätze als Atempausen nehmen, die Schrägstriche als Denkbrücken und Brüche anderswohin. Es ist die Kunst des Andeutens, des Anstoßens eines Assoziationszusammenhanges, einer Inspiration vielleicht, des traumwandlerischen Denkens und Redens auf der Nachtseite des Lebens, mit der seine Gedichte manchmal jede Eindeutigkeit unterlaufen.
Ganz deutlich macht beispielsweise die optische Gestaltung des Gedichts „Ins Auge / dem engerwerdenen Land“ sichtbar, was der Text auch bedeuten kann. Alles – das Sichtbare, das Gelebte, Glück und Hoffnung – löst sich auf, fällt ab, die Zeilen werden kürzer, am Ende nur noch ein Wort: Tod. Eine Engführung des Lebens auf den Moment des Todes hin: „das letzte / aber ist / Tod“. Es ist eine Antwort auf Erich Frieds Gedicht „Sichtbares“, das davon handelt, wie das Bewusstsein vom Tod, von „dem engerwerdenen Land / dessen Lider sich schließen“, den Blick verändert, und mehr noch, den Blick öffnet.
Das grafische Moment der Texte Menapaces weist nicht zuletzt auf eine poetische Wahlverwandtschaft mit N.C. Kaser hin, der wie kaum ein anderer die grafische Form seiner Texte betonte. Wohl die meisten der jüngeren Südtiroler Autorengeneration beriefen sich da und dort auf Kaser, den „Unangepassten“, der in seinen Texten den Ton der rebellischen 1968er beherrschte, den frechen Umgang mit den vermeintlich heiligen Kühen der Landeskultur, der Liebesgedichte schrieb, Texte über Natur, Landschaft, Brauchtum und Legenden, der aus dem Italienischen übersetzte, ein wenig auch aus dem Norwegischen. Unbeirrt durch persönliche Rückschläge hat Kaser weitergeschrieben, ein gebührender Platz in der Gegenwartsliteratur wurde ihm erst posthum zuerkannt. Unter anderem auch durch ein Anknüpfen an das Werk Kasers in vielen Anspielungen und Zitaten – zumindest punktuell, da und dort. Solche zeigen sich nicht nur bei Menapace, auch im näheren Umfeld bei Sepp Mall zum Beispiel, bei Sabine Gruber, Josef Oberhollenzer u. a. Eines der fünf Gedichte Menapaces, die er in den Sturzflügen publiziert hatte, hieß „Notiz“, eine auf elf Worte zusammengezogene Reminiszenz an N.C. Kaser. Darin nimmt er Bezug auf dessen inzwischen vielerorts zitierte metaphorische Briefmitteilung, die 1981 im posthum erschienenen Band Kalt in mir enthalten war: „es ist kalt sehr kalt auch in mir.“

NOTIZ

zu lange
der Winter / will
nicht loslassen / die
Kälte / in mir

Von Christoph Meckel gibt es eine Erzählung mit dem Titel „Kranich“, es ist eine absurde, ein wenig unheimliche Geschichte, in der eine verlorene Gruppe von Freundesgesellen auf einen Kumpanen wartet, sich deswegen oder überhaupt die Zeit vertreibt, irgendwo und irgendwann zwischen Leben und Tod. Es ist nicht ganz klar, ob sie sich noch auf der Erde oder schon im Jenseits befinden, verloren wirken sie allemal. Einzig ein Kranich, von einem der Gesellen herbeifantasiert, symbolisiert die Vision einer anderen Möglichkeit, einer Hoffnung, vielleicht sogar eines Sinns. In der Geschichte heißt es: „Ein Kranich weiß, was er tut, sagte Alibi. Immer unterwegs, den Schnabel vorneweg. Er hat den Himmel, und er hat die Erde, und er kann was damit anfangen.“ Menapace hat nicht zufällig das Gedicht „Kraniche“ Christoph Meckel gewidmet: Es ist die skeptische Antwort auf Meckels Erzählung, und dennoch beschwört der Text im Bild des Faltens von „tausend Kranichen“ eine symbolische Handlung und damit ein Bild gegen Hoffnungslosigkeit, vielleicht auch gegen das Scheitern.
Von der „Liebe“ in Menapaces Gedichten wäre zu sprechen, die manchmal vernehmbar ist wie ein Oberton in seinem Schreiben, einige seiner Texte jedoch sind zuallererst „Liebesgedichte“. Deshalb noch einmal Fried. Dessen Liebesgedichte waren – oder sind es vielleicht noch – wohl die meistgelesenen, -zitierten und -nachgeschriebenen der deutschen Literatur nach 1945, vergleichbar vielleicht am ehesten mit Pablo Neruda. Menapace schrieb in seiner Fried-Arbeit Folgendes über dessen Liebesgedichte, insbesondere zum Gedicht „Worte“. Und in dem, was er schreibt, ist unschwer er selbst als Lyriker erkennbar, der in seinen Texten manchmal jenes in der Liebe bewahrte utopische Moment aufleuchten lässt. „Das subjektive, auf persönlicher Erfahrung basierende Ich erhält in den ,Liebesgedichten‘ einen öffentlichen Charakter. In der Liebe ist möglich, was in der Gesellschaft nicht mehr verwirklichbar scheint: der Wunsch, sich mitzuteilen, das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Solidarität.“ Menapace betont „die Bedeutung der Liebe: als Ort einer qualitativen Differenz gegenüber den äußeren Verhältnissen. (…) Die Liebe ist das Gegenmittel, Müdigkeit, Trauer und Resignation (…) zu überwinden zugunsten einer zukünftigen Utopie von Glück“.

NOCHMALS

aaaaanochmals
dir zeigen
wo der Fluß ins Meer mündet
aaaaa& ich in dich
– trinken daraus
aaaaa& die Tropfen verdunsten lassen
auf deiner & meiner Haut

Christine Riccabona, filadrëssa, Kontexte der Südtiroler Literatur, Heft 4, Oktober 2008

 

Zeno Bampi Jr.: „die Bläue von Himmel & Wasser / das Salz auf der Haut“

 

Fakten und Vermutungen zum Autor
Zum 30. Todestag des Autors: salto

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