August Fresenius’ Gedicht „Grabschrift“

AUGUST FRESENIUS

Grabschrift

Der Leib in Grabeshöhle
Ruht wohl an stillem Ort,
Die Melodie der Seele
Tönt ewig, ewig fort.
Die innig sich verbunden
Im Einklang selger Liebe,
Die haben wohl empfunden
Wie Lieb bei Liebe bliebe.
Der Leib in Grabeshöhle
Ruht wohl an stillem Ort,
Die Melodie der Seele
Tönt ewig, ewig fort.

1812

 

Konnotation

Der kurze Ruhm des Lyrikers und Theaterautors August Fresenius (1789–1813) beruhte auf der Publikation eines einzigen Gedichtbands, den der studierte Theologe 1812 in Darmstadt veröffentlichte. Im Gegensatz zu den publizistischen Aktivitäten seiner hessischen Freunde, etwa des Mitverfassers des revolutionären Hessischen Landboten, Friedrich Ludwig Weidig (1791–1837), geriet das Werk von Fresenius sehr rasch in Vergessenheit. Einzig durch die Aufnahme in Rudolf Borchardts (1877–1945) legendäre Sammlung Ewiger Vorrat deutscher Poesie (1927) wurde Fresenius der ihm gebührende literarische Respekt gewährt.
In seinem formal vollkommenen Rondo hat Fresenius die beklemmende Erfahrung von Vergänglichkeit mit dem tröstenden Bewusstsein einer Unsterblichkeit der Seele verknüpft. In den vier Zeilen, die das Zentrum der „Grabschrift“ bilden, entwickelt der Autor das Bild einer fortdauernden liebenden Verbundenheit mit den Toten. Hinzu tritt das romantische Motiv einer „tönenden“ Seele, eines musikalischen „Einklangs“ der Lebenden mit den Toten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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