Barbara Köhlers Gedicht „Möbel“

BARBARA KÖHLER

Möbel

Alles Verläßliche verlassen,
die benutzten Sätze, das Besagte
verschweigen bis es geht,
bis zu den Dingen geht,
die im Raum stehen unbewegt:
der Tisch
die zwei Stühle
das Bett.
Hinaus gehen, die Tür schließen, die Dinge
stehen lassen für sich,
dir zu.

So wird alles anders,
so wird es Zeit:
wir begegnen im Anderen
einander, ein andermal
öffnet sich so die Tür,
wir sitzen auf den Stühlen, am Tisch,
auf dem Bett träumen wir
noch einmal das Holz zurück
in die Wälder.

nach 1990

aus: Barbara Köhler: Blue Box. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1995

 

Konnotation

Barbara Köhler (geb. 1959) betreibt ihre Dichtkunst als akribische Erforschung des Zwangssystems Sprache. „Im Mundraum im Sprachraum sind wir Gefangene“, heißt es in einem programmatischen Text – und tatsächlich geht es in ihren Gedichten und Essays wesentlich um Verletzungen, die das starre Ordnungssystem von Syntax, Semantik und Grammatik dem sprechenden Subjekt zufügt. Am Anfang ihres nach 1990 entstandenen Gedichts steht daher ein Misstrauensvotum gegen vermeintlich „verlässliche“ Sätze.
Das Verhältnis der Wörter zu den Dingen steht hier auf dem Prüfstand, selbst die einfachsten Benennungen werden auf ihre Tauglichkeit befragt. Und auch die Positionen von „Ich“, „Du“ und „Wir“ geraten ins Wanken. Das Ich und die Anderen – auch diese Abgrenzung scheint nicht mehr zu funktionieren. Doch die zweite Strophe zeigt an, dass die Trennungen zwischen Name und Ding, zwischen Ich und dem „Anderen“ aufhebbar sind: ein Moment der Zuversicht.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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