Benjamin Neukirchs Gedicht „Auff ihre Augen“

BENJAMIN NEUKIRCH

Auff ihre Augen

Ich weiß nicht / ob ich euch noch einmal werde sehn /
Ihr Wunder-vollen Augen:
Dennoch werden meine Wunden /
So ich stets von euch empfunden /
Und nicht mehr zu heilen taugen /
Ewig / ewig offen stehn.

um 1700

 

Konnotation

War er nur ein Meister der galanten Gelegenheitsdichtung, der an der Schwelle von der Barockzeit zur Aufklärung gefällige Poeme am Fließband zu liefern vermochte? Benjamin Neukirch (1665–1729), der als Hofmeister und Prinzenerzieher ebenso reüssieren wollte wie als Verfasser eleganter Gedichte, wird gemeinhin als „Modedichter“ seiner Epoche abgetan. Sicher ist: Er beherrschte sein poetisches Handwerk und lieferte einige der anrührendsten Gedichte über die Momente des flüchtigen Glücks.
Es ist nur ein poetischer Augenblick, ein unwiederbringlicher Moment des Schauens und Angeschautwerdens, den der Dichter in diesem um 1700 geschriebenem Poem aufruft – dabei scheint die semantische Differenz zwischen „Wunder“ und „Wunde“ aufgehoben zu sein. Die Erinnerung an diesen Blick und der Schmerz über seinen Verlust fallen zusammen – und dennoch gibt es die Erwartung, dass dieser Moment des Wunders wiederkehren wird.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00