Christian Morgensterns Gedicht „Das Böhmische Dorf“

CHRISTIAN MORGENSTERN

Das Böhmische Dorf

Palmström reist, mit einem Herrn v. Korf,
in ein sogenanntes Böhmisches Dorf.

Unverständlich bleibt ihm alles dort,
von dem ersten bis zum letzten Wort.

Auch v. Korf (der nur des Reimes wegen
ihn begleitet) ist um Rat verlegen.

Doch just dieses macht ihn blaß vor Glück.
Tiefentzückt kehrt unser Freund zurück.

Und er schreibt in seine Wochenchronik:
Wieder ein Erlebnis, voll von Honig!

1905

 

Konnotation

Seit dem frühen 17. Jahrhundert zirkuliert im Neuhochdeutschen die Redewendung von den „böhmischen Dörfern“ als Synonym für „etwas ganz Unbekanntes, Unverständliches“. Der Ausdruck geht historisch wohl zurück auf die Schwierigkeiten der deutsch sprechenden Bevölkerung bei ihrer Begegnung mit der tschechischen Sprache.
Der galgenhumorige Dichter Christian Morgenstern (1871–1914) hat die Redewendung wörtlich genommen und seinen renitenten Helden Palmström in ein böhmisches Dorf geschickt.
Hier sind es einzig der Wort-Witz und eine um Kalauer nicht verlegene Reimkunst, die den Text vorantreiben. Morgenstern lässt seinen Palmström in den Galgenliedern (1905), aus denen das Gedicht stammt, immer wieder mit den Selbstverständlichkeiten des bürgerlichen Alltags in Konflikt geraten. Bei aller scheinbaren Ungeschicklichkeit kann sich Palmström aber doch in einer Welt der funktionalistischen Vernunft und der ideologischen Leichtgläubigkeiten behaupten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00