Dorothea Grünzweigs Gedicht „Schnürgaumen“

DOROTHEA GRÜNZWEIG

Schnürgaumen

aaaaaaaaaaaaaaaaaaadie worte
nach oben gezogen wie
wolken in der himmelskuppel
und in den wolken die flocken

wenn doch die worte herunter-
kämen wie das wolkengefieder
sich immer neu senkt

um das dorf und die landschaft
zu hudern mit wuschligem
aaaaaaa apfluderndem schnee

2008

aus: Dorothea Grünzweig: Die Auflösung. Gedichte. Wallstein Verlag. Göttingen 2008

 

Konnotation

Nach oben, in die „Himmelskuppel“, geht der romantische Weg der Dichterin Dorothea Grünzweig (geb. 1952). Dort, in den unsichtbaren Sphären des Firmaments, vollzieht sich die Verschmelzung von Wort und Welt, Name und Ding. Die nach oben „gezogenenen“ Wörter sollen im Wunschbild als Naturzeichen wieder auf die Erde zurückkehren, als „pfludernder Schnee“. Grünzweigs Dichtung knüpft in Gestus und Motivik an jene pietistische Gefühlskultur der Empfindsamkeit an, der wir die großen Werke der romantischen Schule verdanken.
In Grünzweigs Gedichtband Die Auflösung (2008), der das Bild vom „Schnürgaumen“ entnommen ist, dominieren Figurationen des Abschieds. Es sind die Gestalten des Vaters und vor allem der Mutter der Autorin, die hier in intensiven, leuchtenden Bildern vergegenwärtigt werden, dazu die Winter- und Frühlingszeichen der finnischen Landschaft, in der sich die Dichterin 1989 angesiedelt hat.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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