Nicolas Borns Gedicht „Eine Liebe“

NICOLAS BORN

Eine Liebe

In Köln-Knapsack küßte ich eine Frau
unter einer Brücke 1963.
Wie ihr Gesicht war
so mag ich Gesichter.
Dann hieß sie Heidelinde
das sagte sie.
Ich möchte wissen
wie sie mich dabei ansah.
Draußen war es zu kalt.
Wir verabredeten uns auf einen Zufall.
So bald komme ich nicht mehr nach
Köln-Knapsack.

1967

aus: Nicolas Born: Gedichte. Hrsg. von Katharina Born. Wallstein Verlag, Göttingen 2004

 

Konnotation

Im Klappentext zu seinem 1967 publizierten Debütband Marktlage gab der Dichter Nicolas Born, der später zum eigenständigsten Vertreter der „Neuen Subjektivität“ wurde, seine Vorstellung von einer neuen lyrischen Direktheit preis: „Weg von der alten Poetik, die nur noch Anleitung zum Poetisieren ist, weg von Symbol, Metapher, von allen Bedeutungsträgern… die rohe, unartifizielle Formulierung wird wieder Poesie…“ In einem Liebesgedicht, das ganz ohne Überhöhungen auskommt, demonstrierte Born dieses Bedürfnis nach unverstelltem Sprechen.
Das Gedicht vertraut ganz auf die Komik der in ihm aufgerufenen Orts- und Personennamen, die die Authentizität des dargestellten Ereignisses zu verbürgen scheinen. Bei näherem Hinsehen ist dieses so schlicht daherkommende Gedicht auch ein kleines Lehrstück über die Vergänglichkeit der Liebe. In Liebesdingen erscheint hier alles unverlässlich: die Person, auf die sich das Liebesgefühl fixiert, ist ebenso dem banalen Zufall unterworfen wie die Erinnerung an die Augenblicke des Begehrens.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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