Peter Rühmkorfs Gedicht „Fast pastörlich“

PETER RÜHMKORF

Fast pastörlich

Blicke, fast wie auf dem Strich,
flitzende Magnetchen,
alte Männer merken sich
junge Mädchen
Jahr um Jahr ein Stück verstärkt,
leider bleiben selber unbemerkt.

Neigen Häupter, ziehen Hüte,
sehen mit verschärften Nerven
ungeheure Diven sich
in der Eile ihrer Blüte
Tagedieben in die Arme werfen –
Leider, diese Welt spricht nicht für dich.

Und dann wieder diese Abendstunden,
unausweichlich, unaufhörlich,
wo du wie gepierced,
eisern vors Kanonenrohr gebunden
virtuellen Blüten in die Kelche stierst…
Und erschauerst ehrlich fast pastörlich

1995/96

aus: Peter Rühmkorf: Wenn – aber dann. Vorletzte Gedichte. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999

 

Konnotation

Die Leiden eines alternden Voyeurs, der sich von den Reizen junger Mädchen in Bann ziehen lässt – dieses „Lolita“-Motiv hat den 1929 geborenen Dichter und „Elbromantiker“ Peter Rühmkorf schon früh beschäftigt. Das verbotene Begehren quält schon den Tagebuchschreiber Rühmkorf in Tabu II, der 1971/72 den Attraktionskräften einer Schülerin viele verschlungene Seiten widmet.
Der Dichter als alter Mann demonstriert hier, in dieser um 1995/96 entstandenen poetischen Selbstentblößung, in erster Linie sein Formbewusstsein. Als womanizer ist der Voyeur, der hier „fast wie auf dem Strich“ seine Blicke auf „ungeheure Diven“ wirft, nur noch ein Auslaufmodell. Rühmkorf porträtiert sich selbst als eher lächerlichen Erotiker, der denn auch grandios scheitert. Der sinnlichkeitshungrige Dichter vermag zwar immer noch seine Reimkunst zu zelebrieren – als Don Juan hat er ausgedient.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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