Robert Gernhardts Gedicht „My Generation“

ROBERT GERNHARDT

My Generation

Wir werden nicht schöner.
Wir werden nur böser.
Spielen nicht mehr Erobrer.
Hoffen nicht mehr auf Jünger.

Wir werden zwar klüger,
doch wir werden nicht weiser.
Werden älter und lauter
und uns fortwährend fremder.

Wir mögen vergessen,
doch niemals vergeben.
Uns eint eins: Ein Sterben.
Das ist unverzeihlich.

2002

aus: Robert Gernhardt: Im Glück und anderswo. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2002

 

Konnotation

Kunst ist heiter und sonst gar nichts weiter“: An diese ästhetische Devise hat sich Robert Gernhardt (1937–2006), der Meister des Reimfreude und des pointensicheren Kalauers, in seinem letzten Lebensjahrzehnt nicht mehr gehalten. Seit dem Band Lichte Gedichte von 1997 entwickelte er immer stärker eine komisch-melancholische Anthropologie zu den letzten Dingen, also zu den Elementarthemen Vergänglichkeit, Krankheit und Tod. Das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit wird in Verse gefasst, die gleichermaßen das Pathos wie die kalauernde Heiterkeit auf Distanz halten.
Gegen das Stereotyp von der universellen „Altersweisheit“ setzt Gernhardt die lakonischen Befunde von den Verlusten und Plagen des Alterns. Die Zunahme an Klugheit korrespondiert mit einem enormen Wachstum an Boshaftigkeit und Krakeelerei. Die Zukunftsgewissheit der „My Generation“-Rhetorik, mit der einst Pop-Gruppen wie „The Who“ die Welt zu erobern gedachten, ist hier zurückgenommen auf die einzig verbleibende Wahrheit: die Unvermeidlichkeit des Sterbens.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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