Robert Gernhardts Gedicht „Wer bin ich“

ROBERT GERNHARDT

Wer bin ich

Ich weiß nicht, wie ich wirklich heiß’,
ich kenn’ nur meinen Namen.
Und diesen trug bereits ein Greis,
einer meiner Ahnen.
Ein Mann, der Abel hieß, nein Kain,
nein Noah, nein Hans-Peter,
nein Leberecht, nein Franz, nein Hein,
nein Werner, doch da steht er
ja zufällig am Wegesrand –
Tag, Ahn, wie schön, daß ich dich fand!
Wie heißt du denn, mein Guter?
„Klaus-Duter“.
Ach ja? Dann heiß ich auch so.

1981

aus: Robert Gernhardt: Gesammelte Gedichte, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2005

 

Konnotation

Die alte Frage: ,Wer bin ich?‘ hebt wieder mal ihr Haupt“, hatte Robert Gernhardt (1937–2006), da Meister der Humoreske, in einem seiner Gedichte aus dem Band Wörtersee (1981) angekündigt. Als diese „alte Frage“ dann im gleichen Buch tatsächlich virulent wird, zeigt es sich, dass Gernhardt sie nicht in der Manier eines pathetischen Existenzialisten beantwortet, sondern sich gleich der Fraktion der „Spaßmacher“ zuschlägt.
Das Gedicht zeigt einen Moment der „Selbstvergessenheit“, der nicht aus philosophischer Perspektive diskutiert wird, sondern ausschließlich aus Slapsticks besteht. Die Frage nach dem tiefsten Grund des Subjekts bedarf offenbar nicht ernsthafter Momente der Ich-Reflexion. Es genügt ein lustiges Spiel mit Namens-Kalauern. Und ein entgleisender Reim markiert schließlich den Höhepunkt dieser komischen Ich-Erkundung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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