Malcolm Lowry: Fünfunddreißig Mescals in Cuautla

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Malcolm Lowry: Fünfunddreißig Mescals in Cuautla

Lowry-Fünfunddreißig Mescals in Cuautla

SONDERBARE TYPE

Ich schrieb: in der dunklen Kaverne unserer Geburt.
Der Drucker machte Taverne draus, was besser
aaaaascheint:
aber hierin liegt der Anlaß unserer Fröhlichkeit,
denn auf der nächsten Seite erscheint der Tod als
aaaaaseltne Not.
So mag es sein, daß Gottes Wort Zerstreuung hieß,
was in unserer sonderbaren Type sich Zerstörung
aaaaaliest.
Das ist bitter.

 

 

 

Vorbemerkung

Die vorliegende Auswahl beruht auf den von Malcolm Lowrys kanadischem Schriftstellerfreund Earle Birney mit Hilfe von Margerie Bonner Lowry 1962 bei City Lights Books San Francisco herausgegebenen Selected Poems.
Mehrfach hatte Lowry in Briefen an seinen Agenten Harold Matson von dem Plan gesprochen, einen Band mit rund 170 Gedichten unter dem Titel Der Leuchtturm zieht den Sturm an für eine Veröffentlichung zusammenzustellen. Dazu ist es nie gekommen. Die von Earle Birney getroffene Auswahl enthält 71 Gedichte, die wohl das Beste sind, was der Lyriker Malcolm Lowry vorweisen kann. Drei Gedichte wurden für diesen Band zusätzlich aufgenommen, das aus Lowrys Studentenzeit datierende „Lebt wohl“, das er stets zu seinen Lieblingsgedichten zählte, das „Klagelied – Juni 1944“ und „Gedanken vor dem Wind“.
Vier der sieben Untertitel dieser Auswahl („Das Brüllen der See und die Finsternis“, „Die Cantinas“, „Der Komödiant“ und „Lieder vom Strand: Eridanus“) stammen von Lowry selbst. Die anderen Untertitel und die Anordnung der Gedichte innerhalb dieser Abschnitte hat Earle Birney vorgenommen. Sie folgt meist der chronologischen Niederschrift der Verse. Die erste Gruppe Gedichte steht so in engem Zusammenhang mit der Entstehungszeit des Romans Ultramarin. Die nächsten beiden Gruppen spiegeln die mexikanischen Jahre ab 1936 wieder. Die folgenden drei „Venus“, „Der Komödiant“ und „Lieder vom Strand: Eridanus“ sind an der Küste von Dollarton, der letzte Abschnitt „Die Sprache von der Not des Menschen“ vermutlich auf seinen letzten Reisen und in den Monaten in Sussex vor seinem Tod entstanden.
Lowrys Verse reimen sich häufig. Wo die Fertigkeiten des Übersetzers lediglich eine sich vom Original entfernende oder umständlichere Version zuließen, wurde auf die Wiedergabe des Reims verzichtet, auch dessen eingedenk, daß der Leser für Klangfarbe und Atem das Original stets mit vor Augen hat.
Der Übersetzer dankt Christa Cooper für ihre Hilfe bei der Konzeption dieses Bandes, für ihre Anregungen, für vieles mehr. Es war vorgesehen, diese Gedichte wie das Dutzend, das 1981 in den Akzenten den Lyriker Malcolm Lowry erstmals in Deutschland vorstellte, gemeinsam zu übertragen und die Herausgabe des Gesamtwerks von Malcolm Lowry fortzusetzen. Ihr früher, jäher Tod hat diese Pläne zunichte gemacht.

Joachim Sartorius, Vorwort

 

Ausgebrannt brenne ich lichterloh

– Zu den Gedichten Malcolm Lowrys. –

für C.

Er ist wirklich ein schönes Geschöpf.
Lag ihn. Er wird sich ohnehin zu Tode stechen.
Lowry: Unter dem Vulkan

1.
Im II. Kapitel von Unter dem Vulkan findet sich eine Passsage, die über Entstehungsbedingungen und Werdeprozeß vieler Lowryscher Gedichte genauen Aufschluß gibt. Auf der Suche nach ihrem Mann, dem Konsul, macht Yvonne in einem Restaurant halt. Spielerisch dreht sie eine Speisekarte um und entdeckt, daß die Rückseite fast ganz überzogen ist „von der Handschrift des Konsuls in ihrem chaotischsten Zustand“. Links oben ist eine Rechnung über drei Schnäpse, eine Aufstellung, die der Konsul offenbar für sich selbst gemacht hatte und vor Monaten hier liegengeblieben war:

Aber unter dieser „Rechnung“ standen die rätselhaften Wörter „Leute… Meute… scheute“, und darunter ein langes, unleserliches Gekritzel. In der Mitte der Karte waren die Wörter „ehrt… Schwert… wert“ zu lesen, dann „eine kalte Zelle“, während rechts als teilweise Erklärung des Unverständlichen etwas stand, was wie ein im Entstehen begriffenes Gedicht aussah, vielleicht ein Versuch zu einem Sonett, aber so unsicher und mißraten in der Form, mit so vielen Ausstreichungen und Verbesserungen, so fleckig, unleserlich und mit Kritzeleien umgeben – Zeichnungen von einem Golfschläger, einem Rad, sogar einer sargähnlichen schwarzen Kiste –, daß es kaum zu entziffern war;

Yvonne entziffert es mit Mühen. Das Produkt könnte von Thematik – eine arme Seele auf der Flucht vor nur noch eingebildeten Verfolgern – und Tonfall her – einem angestaut verzweifelten, romantisch-rührseligen – ohne weiteres unserer Auswahl zugeschlagen werden.

2.
Der Wechselbeziehungen zwischen den Gedichten und dem übrigen Lowryschen Werk sind so viele, daß es dem mit den großen Romanen Vertrauten schwerfällt, hiervon losgelöst die Lyrik zu beurteilen. Worte und Bilder der Gedichte sind mit einer Gewalt geladen, die nur für den wirklich kommunizierbar wird, der Literatur und Leben ihres Schöpfers kennt. Er wird in den Gedichten, mitunter in reinster Form, die Lowrysche Kosmogonie wiederfinden: die Vulkane, die Sonne, den Sturm, Sterne und die See, die Welt des Feuers. Er wird wiederfinden das Netz von Bilder-Zeichen: Haus = Schiff; Vulkan = Hölle; Sturm = Leidenschaft; Ozean = Ebbe, Flut/Erschaffung, Vernichtung; Sterne = Chaos, Unendlichkeit; Frau = das Alphabet der Seele, Venus, „die Jungfrau für jene, die niemanden haben“; das Alternieren von Leben und Tod:

und die Rufe, die das Ächzen der Sterbenden
oder das Ächzen der Liebe sein mochten –

Diese Entsprechungen setzen sich bis in einzelne Bilder hinein fort. Sie werden immer wieder aufgenommen. „Das Brüllen der See und die Finsternis“ zum Beispiel taucht in Lowrys Werk zum erstenmal im letzten Satz der frühen Erzählung On board the ,West Hardamay‘ (1933) auf, dann wieder als Schlußformel des vorletzten Kapitels von Ultramarin. Seiten ließen sich füllen über Ort und Frequenz des „Geräuschs des Todes in der Bar“, das quer durch Lowrys Gesamtwerk leitmotivisch tickt.
Aber auch Lowrys zentrale Themen fehlen nicht: das (durch den Alkohol noch angeheizte) Schuldgefühl, nicht zu genügen, überall versagt zu haben – gegenüber seiner Frau, in seinem Werk –, „schlimmer als nutzlos“ zu sein; die aus der Schuld resultierende Angst und die daraus erwachsende Rechtfertigungswut; schließlich die Fluchtmöglichkeiten: das Haus (als Gral nach der traumatischen Erfahrung der Unbehaustheit), die See (und der Seemann als Rolle, in der Identität gefunden werden kann, zumindest im frühen Mannesalter und in den frühen Gedichten) und das Feuer des Alkohols, das jene delikate innere Balance erlaubt, nach der der Konsul zittert.

3.
Sind die Gedichte, auf verschwitzte Zettel in Bars gekritzelt, mit „vom Hinabsehen“ starren Hals, also nicht mehr als Werksplitter? So aus der Flasche gerieben, daß zu ihrer Lektüre der Gin-flachmann am besten gleich mitgeliefert wird?
Lowry wußte, daß seine Gedichte etwas Unfertiges an sich hatten, daß sie im Gegensatz zu seiner unfaßbar poetischen Prosa prosaisch wirkten. Er hörte, unzufrieden, nicht auf, sie immer und immer wieder umzuschreiben, neu zu schreiben, bis zu seinem Tod. Es hat Margerie und Earle Birney unendliche Mühe gekostet – so berichtet Douglas Day in seiner grandiosen Biographie –, bis sie 1947 Malcolm überreden konnten, Gedichte an Zeitschriften zu senden, die sie dann auch druckten, als Gedichte des Verfassers von Unter dem Vulkan.
In seinen Briefen spricht Lowry nicht mehr als ein knappes Dutzendmal von seiner Lyrik, eigentlich immer im Zusammenhang mit der Möglichkeit, damit rasch von einem Magazin wie Esquire oder Atlantic Monthly Geld zu bekommen. Als er sah, daß er im Gefolge des Vulkans mit seinen Romanvorhaben nicht weiterkam, spielte er mit der Idee, einen Band Gedichte zusammenzustellen. Bis zu seinem Tod spielt er damit.

4.
Die Gedichte machen es einem schwer, sie zu lieben. Sie haben in Diktion und Rhythmus etwas an sich, das vollkommen passé ist – ein Echo von John Masefield, Rudyard Kipling und William Ernest Henley, ein Echo auch des nautischen Psyche-pathos von Gerald Manley Hopkins –, und doch haben sie etwas hart Anrührendes. Eine Emotion schwingt mit, die auch die unsre ist, die aller Zeiten ist. Sie packt. Sie hat mit der Keuschheit, der Unvollkommenheit, der Verletzlichkeit dieser Verse zu tun. Es geht um Selbstentblößung. Deren Schonungslosigkeit in den großen Romanen löst dort Ästhetisierungsmechanismen aus, die in den meisten Gedichten fehlen.
Lowrys Gedichte sind seine eigentlichen confessiones. Sie sind auf irritierende Weise unschuldig, ja naiv, ohne rechte Verteidigung. In ihnen spricht er, mit vollkommener Offenheit, mit seiner Stimme, von sich selbst.

Es stimmte schwermütig zu hören, wie er versuchte, die Verantwortung
für seine sichere Schuld auf uns zu schieben; aber die Gabe
der Klarheit fehlte ihm, und tatsächlich
wurde die tastende Bitte um Hilfe nicht erneuert;
es war lange, bevor er verstummte. Ich versuchte später
das Geheimnis zu lüften von des Menschen Verstellung,
wenn er am meisten der Hilfe bedarf.

Diese Stimme kommt in verschiedenem Gewand – Sonett, Villanelle, Sestine, Ballade, freier Vers – und wechselndem Tonfall – archaisch, liedhaft, symbolisch schwer, trunken, hymnisch – zu uns. Formale Aspekte haben Lowry nicht wirklich interessiert, allenfalls als Spiel (man darf nicht vergessen, daß er zeitlebens ein begeisterter Spieler der Ukulele war). Was für ihn zählte, was so für uns zählt, ist die Botschaft, die er dieser Stimme anvertraute, die Botschaft von seinem wahnwitzigen, wahnsinnig wehen, mit Feder, mit Flasche geführten, vergeblichen, tödlichen Kampf, die Grundwidersprüche seines Lebens aufzulösen, herauszutauchen, ein Ertrinkender, aus der Spannung zwischen dem Wunsch nach einem einfachen, unverfälschten Leben und seinen gewußt geringen Realisierungschancen, herauszufinden aus der Verkeilung in Schuld und Scham, sich aus der Kreuzigung „zwischen seinen beiden Ichs“ zu lösen und auf die Liebe zuzugehen. No se puede vivir sin amar. Aber er war bereits gestürzt. Aus dem warmen schwarzen Bauch der Trunkenheit stolpernd beschreibt Lowry schwankend immer von neuem die Kreise der Hölle, die seine Wegstrecke als Schriftsteller sind.
In vielen Gedichten spürt man eine Sehnsucht nach menschlicher Nähe und einen realisierbaren Umgang mit der Natur: mit rauher See, mit Segelbooten; oder auch nur der Wunsch, das Blockhaus an der Bucht wiederzusehen, den Dampfer am Kai zu nehmen und wegzufahren.
Aber ein jedes Mal, wenn sich Lowry müht, sich in einen Winkel der Erde einzuschreiben, sich festzusetzen, an den Elementen teilzuhaben, dem natürlichen Lauf der Dinge, wenn es ihm endlich gelingt, fröhlich und unschuldig eins mit der Landschaft zu leben, wird er verjagt, ausgeschlossen, vor die Tür gesetzt. Hellsichtig begreift er seinen Zustand: daß ihm nur noch der Rausch gelingt, nicht die Liebe, die das Leben ermöglichen könnte. Und es gibt keine Entschuldigung, nicht zu lieben, auch nicht die, daß die Vereinzelung Bedingung von Erkenntnis ist. Der (zunächst vielleicht überraschende) Mangel an Liebesgedichten belegt sein Wissen hierum; und diesem Wissen legt er nun Masken an. Er spielt den „Komödianten“ in den trostlosen Bierlokalen von Vancouver, den Schamanen in Mexiko (an ungefähr den gleichen Orten, wo sich Lawrence und Artaud aufhielten), den „heiligen Malcolm unter den Vögeln“, den Fischer in Dollarton. Der Wunsch nach Glück wandelt sich nach und nach in die geduldige Hoffnung, seine Hölle mit anderen zu teilen. Die späteren Gedichte sind begriffenes Grauen. Sie werden zu Botschaften, die so wenig wie die Briefe im Vulkan ihren Empfänger erreichen, es sei denn wenige Momente vor dessen Tod.

Doch war ich auch jener grausame Peitschenskorpion,
der sich zu Tode sticht unter dem Stein,
wo keine Botschaft ist, auf der Mescalebene.
So getan rette ich immer mich selbst, wenn nur für kurze Zeit.

Es kam dann ein Stadium, in dem sein Leben anfing, seine Kunst nachzustellen, in einer Weise, die so schamlos nur das Verhängnis auf die Bühne bringen kann. Nicht: Literatur statt Leben. Literatur als Leben. Lowry als vom Feuer zerfressenes Boot, das aus dem Leben ausläuft. Lowry als Konsul, in die Barranca geworfen. Die Gedichte als Geier, die um die Ruinen des Konsuls kreisen, den er in sich entdeckt hatte.
Im Sinken und Ertrinken ahnt er: die mich kennen, erkennen sich in meiner Legende wieder. Ausgebrannt brenne ich lichterloh. Mein Tod macht meine Freunde groß:

die Touristen warten mit einfältigen Lächeln des Triumphs
mit hilflosen Armen auf dem tuschelnden Strand
sie haben die Leiche gekannt für einen Moment stellen sie etwas dar

5.
Wenn wir die Gedichte gelesen haben, dann waren wir auf dem Grund der Barranca, des verzwickten Spalts, gewesen, haben unter dem Abfall und den krepierten Hunden das Gesicht unseres Bruders, des Konsuls, gefunden und sind wieder hinaufgestiegen, sind jetzt in den Straßen der Stadt, die Losung auf den Lippen: ¿Le gusta este jardin que es suyo?, die verzweifelte Zuversicht im Herzen, den Garten Eden auf Erden zu finden, vielleicht in Gestalt einer Hütte am Strand mit einem hölzernen Steg, der Flut und Feuer trotzt. Wir suchen um unser Leben. Wir schreiben um unser Leben. „Keine Zeit stehenzubleiben und nachzudenken“.

Wir lieben, wir sterben um unser Leben.

Joachim Sartorius, Nachwort

 

In Deutschland ist Lowry noch immer fast unbekannt,

aber in Frankreich, in den USA und England zählt man heute Unter dem Vulkan zu den wenigen Schlüsselepen, die unsere Epoche bis in ihre Abgründe aufschließen und unser Selbstverständnis erweitern und vertiefen. Die Gedichte sind Elemente Lowryscher Autobiographie, die sich in Unter dem Vulkan zu einem Welt-Bild, der vollkommenen Summe aller möglichen Identifikationen des Konsuls, zusammenfügen und verdichten. Sie sind heftiger und beklemmender Ausdruck von Lowrys Isolation, von der vergeblichen Suche nach abgefallenen, von den Quellen allen Glaubens hermetisch abgeriegelten Menschen nach Erkenntnis, Identität und Liebe.

Rowohlt Verlag, Klappentext, 1983

 

ICH, MALCOLM LOWRY

Ich, Malcolm Lowry, habe nie gelebt –
das wurde ihm an einem Morgen wieder klar,
als er, ein toter Mann, die letzte leere Bar
verließ wie ein Verdurstender,

der Wasser schöpft mit einem Sieb.
Er ging und überflog im Gehen die Misere,
die schlechte Tage und die guten.
Was unterm Strich da übrigblieb?

Ein paar Minuten bestenfalls,
die waren, als ob er lebendig wäre.
Er hat die Männer darüber befragt;

die hielten die Rechnung für richtig.
Scheiß drauf, mein Junge, hat einer gesagt,
scheiß drauf , nur das ist wichtig.

Wolf Wondratschek

 

 

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shi 詩 yan 言 kou 口

 

Joachim Sartorius liest auf dem VIII. International Poetry Festival von Medellín 1998.

 

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