Marion Tauschwitz: Zu Hilde Domins Gedicht „Harte fremde Hände“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Hilde Domins Gedicht „Harte fremde Hände“. 

 

 

 

 

HILDE DOMIN

Harte fremde Hände

Harte fremde Hände
sollen über mich fahren
wie Pflüge
und deine Wurzeln zerreißen.
Ich will meinen Körper einreiben
mit fremdem Schweiß
wie mit einer beizenden Salbe
daß alle Poren vergessen
wie du riechst.
Haare ohne Namen
sollen auf meiner Haut liegen
wie Tannennadeln auf dem Waldboden,
andere Lippen die Augen küssen
die für dich weinen.

Und meine Seele, die dich sucht
so natürlich
wie abends ein Vogel über das Meer fliegt,
verliert die Richtung
und kommt
nie wieder an Land.

 

Hilde Domins Vorsatz,

sich durch ihre Flucht nach Haiti für Palm a little inaccessible zu machen, erwies sich schnell als Illusion. Denn aus der Distanz heraus verfing sie sich umgehend in den alten Schlingen: Kaum getrennt, verzehrte sie sich nach Erwin Walter Palm, verzieh ihm und stand wieder in seinen Diensten: Sie bearbeitete paradoxerweise sogar die Dramen, die sie in grenzenlose Panik versetzt hatten, weil Palm darin ihre Beziehung schonungslos bloßgestellt hatte. Sie ergab sich mönchischer Kopierarbeit, tippte mangels Blaupause seine Manuskripte wieder und wieder ab. Dreifache Ausfertigung hatte er gewünscht, die sie anschließend auch noch ins Spanische und Englische übersetzte und auch davon jeweils drei Kopien anfertigte, um sie an Verlage zu versenden.
Wieso der Rückfall in diese Demut? Palms kurzer Besuch in Haiti mit symbolischem Kniefall vor seiner Frau hatte nichts am Grundkonflikt geändert. Unter diesen Umständen mussten die Tage nach ihrer Rückkehr nach Santo Domingo zermürbend bleiben. Sie wurden zur Qual, als Hilde Domin dort auf die Korrespondenz Erwin Walter Palms und seiner Geliebten stieß, die offenlegte, was sie bisher befürchtet, doch verdrängt hatte: Beide verband eine feste Liebschaft. Und so entschloss sich Hilde Domin am Morgen nach einem Tag, wo die Qual zwischen [ihnen] unerträglich war, die in Haiti ausgesprochenen Drohungen umzusetzen, als ihr Mann sie zu ihrem Geburtstag nicht wie gehofft besucht hatte: Je me ferais frivole. Weder aus noch ein wissend, wollte sie in höchster Verzweiflung Gleiches mit Gleichem vergelten. Jahre später erst schilderte sie ihrem Bruder die dramatischen Umstände aus jener Zeit in Santo Domingo: Sie hatte beinahe im Hass gegen [Erwin] das Haus verlassen:

Denn er hat Dinge getan, die man niemanden erzählen kann. Du weisst, dass ich auf die Strasse ging, um mich zu prostituieren. Um mit mir selber ein anderes Ende zu machen. Ich ging hinter einem Neger her. Dann begann ich zu laufen und kam weinend in das Haus von Freunden. Es war ein so Äusserstes. Wie er es erfuhr, bekam er einen Schock und kam auf einen Augenblick zurück.
[…]
Ich starb fast, ich konnte mich aber nicht umbringen.

Quälende Hoffnungslosigkeit auch noch nach sieben Jahren.
Enttäuschung, Verzweiflung, Wut und Schmerz hängen wie an einem scharfen Fleischerhaken in dem Gedicht „Harte fremde Hände“. Gehäutet und der Öffentlichkeit preisgegeben. Mit Stumpf und Stiel sollte Vertrautes getilgt werden. Schonungslos sollten harte fremde Hände über [sie] fahren wie Pflüge und [seine] Wurzeln zerreißen. […]. Ihre Poren sollten mit fremdem Schweiß gebeizt, Haare ohne Namen auf ihrer Haut liegen. In den Briefen, die dem Gedicht folgten, fegte Hilde Domin Erlittenes mit eisernem Besen zusammen und warf ihrem Mann die kümmerlichen Überbleibsel seines Folterprogramms vor die Füße. Gründlich deutsch sei er im Zerstören gewesen und dass er sie wie eine Katze, die man partout ertränken will und der man nicht vergönnt, Fuss zu fassen immer von Neuem ins Wasser geworfen hatte. Und doch kehrte sie zu ihm zurück. Mehr noch: Nach heftigen Auseinandersetzungen kniete sie nachts vor seinem Bett und wusch die Hand, die sie verletzt hatte. Sie sollte wieder „rein“ sein. Ihr war bewusst, dass das irrational war und dass ihr auf der Seite des Rationalen und der Energie etwas abhandenkommen könnte. Doch wieder siegte die Sehnsucht auf Hoffnung nach der versöhnenden Hand.

Damit, wenn am letzten Tag sie vor Dir auf der Bettdecke liegt, wie eine blasse Blume so matt aber nicht ganz so leicht und nicht ganz so rein, sondern wie eine Menschenhand, die befleckt und gewaschen wird und wieder befleckt, Du ihr dankst und sagst: Lebe wohl meine Hand. Du warst ein liebendes Glied zwischen mir und der Welt.

Dennoch war etwas zerstört: Der lange Jahre gehegte Wunsch, mit Erwin Walter Palm gemeinsam in einer Umarmung zu sterben – als Ausdruck bedingungsloser Zuneigung –, wie es von einem Liebespaar in der Renaissance überliefert worden war. Tatsächlich kam das mit dem Tod nie wieder in Ordnung. […] Der Tod ist kein gemeinsamer Tod mehr. Seiner, mit mir, ja. Meiner nicht. Er weiss das, schrieb sie dem Bruder. Verstörend gesellte sich Panik hinzu bei dem Gedanken, dass ihre Mutter auch noch nach dem Tod vom Leid ihrer Tochter erfahren könnte. Bisher hatte Hilde Domin an ein Leben nach dem Leben geglaubt und es als tröstlich empfunden. Nun betete sie, dass es kein Weiterleben nach dem Tod geben möge. Dass ihr damit nicht nur bange vor dem Leben, sondern auch vor dem Tod war, lastete sie Erwin Walter Palm an.
Wie konnte sie dennoch am Zusammenleben mit Erwin Walter Palm festhalten? Hilde Domin besann sich genau auf die Energien, die in Extremsituationen freigesetzt werden, weil sie emotionales Überleben garantieren. Ist der Rubikon erst einmal überschritten, gibt es kein Zurück mehr – auch bei Hilde Domin waren die Würfel längst gefallen. Sie hatte sich auf das riskante Unterfangen ihres Lebensgespräches mit Palm eingelassen und würde daran festhalten. Sie griff auf ihre Ressourcen zurück und zehrte von den gespeicherten Vorräten ihrer Liebe, die in ihr lagerten wie Minen in einem Berg.
Als Trost blieben ihr Gedichte – nicht nur die, die sie selbst schrieb. Balsam waren auch fremde Verse. Rafael Alberti war den Palms seit den ersten Tagen des Exils auf Hispaniola Seelennahrung gewesen. Einen Band mit seinen Gedichten hatte Hilde Domin gleich von ihrem ersten Einkauf im neuen Land mitgebracht. Gedichtelesen blieb die Kost, die beiden Überleben garantierte. An Albertis Sprache hatten sie ihr Spanisch vervollkommnet, mit seinen Bildern ihre ausgehungerten Seelen gespeist. Vor allem Albertis Engelsgedichte stillten Hilde Domins Sehnsucht nach Geborgenheit:

Wenn meine Stimme an Land stirbt,
bringt sie hinunter ans Meer
und laßt sie mir am Strande.

Hilde Domin fühlte ihre Seelenverwandtschaft zu Alberti. Beide hatten eine heitere Anlage, die Verzweiflung zu mildern vermochte. Und so darf es wundern, wenn Albertis Bilder in Hilde Domins Worten nachhallen:

Und meine Seele, die dich sucht
so natürlich
wie abends ein Vogel über das Meer fliegt,
verliert die Richtung
und kommt
nie wieder an Land.

Die sanften Worte täuschen. Sie täuschen darüber hinweg, dass sich in Hilde Domin in jenen Tagen innerer Widerstand formiert hatte. Mit Leib und Seele würde sie deshalb nicht wieder zu Erwin Walter Palm zurückfinden, dazu war das Vertrauen zu sehr erschüttert. Mochte sie ihm ihren Leib lassen, ihre Seele hatte sich aufgeschwungen. Sie hatte eine neue Richtung genommen und wollte nie wieder an Land kommen.

Marion Tauschwitzaus Marion Tauschwitz: Hilde Domin – Das heikle Leben meiner Worte, VAT Verlag André Thiele, 2012

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