Michael Braun: Zu Ilma Rakusas Gedicht „Sieben Wünsche“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ilma Rakusas Gedicht „Sieben Wünsche“ aus Ilma Rakusa: Impressum: Langsames Licht. –

 

 

 

 

ILMA RAKUSA

Sieben Wünsche

Genau sieben sollen es sein,
fröhlich wie eine rotgepunktete Pelerine.
Die Wolken spielen Zuckerwatte,
der Wind kräuselt die Dachbirken,
Griechenland steht vor dem Bankrott.
Ich bitte um Rettung (Wunsch eins),
um die Verzweigung der Vernunft
(Wunsch zwei), um den Machtwechsel
der Verzweiflung Richtung Möglichkeit
(Wunsch drei). Keine Asche auf Häupter,
nur Oberwasser (Wunsch vier). Statt
Karambolagen Kapitäne (Wunsch fünf ),
statt Exit We make it (Wunsch sechs).
Der siebte geht an den Himmel, wo
die Schwalben verfassungswidrig
herumalbern, die Schwalben.

 

„Hätt’ ich sieben Wünsch’ in meiner Gewalt“,

hat Johann Gottfried Herder in einem „Rundgesang“ einmal gefragt, „Was wünscht’ ich? / Nicht Glück und Ehren mannichfalt; / Den schönsten, liebsten Aufenthalt, / Den wünscht’ ich.“ Die zwischen vielen Sprachen und Kulturen changierende Weltpoetin Ilma Rakusa schnürt dagegen ein Paket aus „sieben Wünschen“, das nicht auf die persönliche Vervollkommnung und existenzielle Selbstbeglückung des Ich gerichtet ist, sondern in sprachspielerischer Leichtigkeit und ironischer Assoziationslust die Krisenlage Europas in den Blick nimmt und fast beiläufig ein paar flirrende poetische Bilder und Beobachtungen in die Arena der Politik wirft. Die poetische Grenzgängerin Rakusa hat immer wieder ihre Vorliebe für die ältesten Formen der Poesie betont – für die Invokation, den Abzählreim oder die Litanei. Die religiösen Beschwörungsformeln, die inständigen Anrufungen, die ergreifenden Kirchenlieder und murmelnd repetierten Gebete prägten bereits ihre katholische Kindheit in Budapest, Ljubljana und Triest. Aufgewachsen mit sakralen Ritualen, verbrachte sie viele Stunden in Gottesdiensten oder Andachten, in denen der Rosenkranz gebetet wurde, eine der eindringlichsten liturgischen Exerzitien der Wiederholung. Die Litanei und Abzählreim sind hier noch in der in Klammern gesetzten Aufzählung der Wünsche enthalten. Der Text setzt ein mit bildstarken Impressionen, die eine Affinität zum Surrealismus erkennen lassen. Dann wird plötzlich das spröde Faktum der ökonomischen Krise Griechenlands eingeblendet. Daraus spinnt Rakusa aber kein politisches Klagelied oder einen pathetischen Appell an die Rettung, sondern ein poetisches Geflecht aus Alliterationen und verdrehten Redewendungen, das dem politischen Hintergrund jede Schwere nimmt. Der siebte Wunsch scheint ein religiöses Motiv aufzurufen, aber auch hier bevorzugt Rakusa das Spiel mit der Homophonie, wenn sie die Schwalben „herumalbern“ lässt. Und der zweite Wunsch verkündet wie nebenbei ein Grundsatzprogramm aller substanziellen Poesie: nämlich den „Machtwechsel der Verzweiflung Richtung Möglichkeit“ herbeizuführen.

Michael Braun, Volltext, Heft 4, 2017

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