Peter Gosse: Poesiealbum 252

andreas koziolPROVINZBERICHT 1979M. ist mal ganz Harmonie, mal hormonisch.
Mal gesengte Sau, mal gesenkten Haupts.
Zu zu vielen Gesichtern geteigt oder atomized,
als daß Gesichte blieben. Alptraum wär Gnade.

S. schiebt seine Schicht, und kinderreich,
und gerne im Fernsehn die wackelnden Ärsche der
aaaaaPferde wackeln
und drüber die Kaffeebohnen der Jockeyärsche
sieht er über schackerschackerreiternden Knien.

W. hat die Witzchen,
die alles Muskeljucken durchs Zwerchfell ablassen,
und gewaltige Gespräche unter vorgehaltener Hand
und das Essen satt .

H., ah, ist Erde heraus aus dem irischen Elend,
und Äolsharfe bläst er naturburschikos, wo’s doch pfeift
auf technologischen Lücken, und Roheit abhanden
und er ausm Schneider.

K. versuchts nun mit älteren Frauen,
von Sehnsucht nach Sehnsucht getrieben
im zählflüssigen Verkehr, geschäftigen Vakuum,
im Sich-Schlagen in die Flucht in die Festwerte.

„Woher Geschichte“, knirscht M., „wie putschen im Punsch!
Zustände!“ knirscht er, „wenige kriegen sie
in Brot und Spüle, taubgespeist im Wettwüsten
die Proleten: mit verschleyertem Blicke, trostlos gesund!“

J. sagt, ein bißchen zu hektisch um zuhörn zu machen,
ein bißchen zu schrill, ein bißchen zu äquatorial:
„Unser Mißmut“, sagt er, „ist provinziell!“
und hat ja sicherlich, sicherlich hat er recht.

 

 

 

Peter Gosse,

Diplomingenieur für Hochfrequenztechnik, lehrt seit längerem am Leipziger Literaturinstitut junge Schreibwillige fragen, wie dichterisches Reden funktioniert; in Zeiten, da vielen Kenntnis der Tradition als lästig und Schludern für Selbstverwirklichung gilt, hält er unverzagt auf Denkschärfe und gewußtes Handwerk. Angetreten war er Mitte der sechziger Jahre mit flapsig-motzigen sinnlichen Poesien, denen gleichwohl sächsischer Welternst innewohnte; damals (er hat in Moskau studiert) schätzte er Rachmaninow, heute hört er Mozart und Bach, Widersprüche, statt sie der Mode folgend schlicht zu benennen, hat Gosse von Beginn an im Vers ausgehalten bis zum Knirschen der Sprache; hinzugewonnen sind inzwischen Spiel mit dem Kanon und klassische Durchheiterung, was die Texte nicht harmloser macht. Man lese die drei eröffnenden Sonette und – laut! – das große zentrumstiftende Fußballgedicht, darin der Blankvers gegen Ende in swingende Trimeter driftet; welcher Atem, und welch merkwürdiges Loblied des Friedens!

Rainer Kirsch, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1988

 

PETER GOSSE

landesweit gesuchte Fragen
legen sich in handgeschriebene
Schellen mit Stil bricht die Feder
die erfüllte Pflicht schreibt mit

Peter Wawerzinek

 

 

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Hans-Dieter Schütt: Neuwortfrech und zwirbelgierig
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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Gosse“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Peter Gosse

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