Peter Maiwald: Zu Heinz Czechowskis Gedicht „Ewald Christian von Kleist“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Heinz Czechowskis Gedicht „Ewald Christian von Kleist“ aus Heinz Czechowski: Ich und die Folgen. –

 

 

 

 

HEINZ CZECHOWSKI

Ewald Christian von Kleist

Ohne Hoffnung, daß der Frühling wiederkehre,
Sah er sich im Märzfeld noch im Schnee,
Spürend in den Schultern seine Schwere,
War er eingekreist vom Tode jäh.
Und er wußte: jetzt wird nichts mehr bleiben,
Wie das Eis, das schmilzt auf schmalem Bach,
Wie die Apfelblüten, die im Mai drauf treiben –
Und so ritt er sich aus Träumen wach.
Wie im Wind sie ihre Säbel schliffen –
Pulverschwaden trieben um ihn her –,
Fühlte er es plötzlich: abgegriffen
Wie sein Lederzeug war auch sein Leben: leer.
Der bei Landshut fiel und die Erkenntnis
In ihm weitertrieb, wie er es ja erkannt,
War sehr nah, doch blieb ihm kein Verständnis
In der blutlos-leeren, abgetrennten Hand.
Jetzt zum Sterben war er spät geboren,
Die Signale überm weiten Feld
Waren nicht die späte Huld der Horen.
Klirrend brach sein Blick und kalt die Welt.

 

Dichtergedicht

Wenn Dichter sich poetisch über Dichter äußern, findet sich Lob häufiger als Tadel. Das hat weniger damit zu tun, daß eine Nachtigall keiner anderen ein Auge aushackt, sondern mehr damit, daß eine Nachtigall sich gern in einer anderen erkennt. Daraus entstehen lyrische Doppelkopfspiele, Dichtergedichte, in denen eine verkappte Form des Ich-Gedichts zu sehen ist.
Der poetische Bruder, den sich Heinz Czechowski zum Gedicht gewählt hat, Ewald Christian von Kleist, ist heutigen Lesern weitgehend unbekannt. Thomas Mann hat über ihn unnachsichtig gerichtet – „… ich kenne ihn nicht, und man braucht ihn nicht zu kennen“ –, und Conradys umfangreiches „Deutsches Gedichtbuch“ enthält kein Gedicht dieses Autors und Vorfahren des berühmteren Heinrich von Kleist. Man muß schon eine ältere Literaturgeschichte, etwa die von Robert König von 1879, zu Rate ziehen, um mehr über Czechowskis Vorbild zu erfahren. Das Gedicht selbst geizt mit historischen Auskünften.
Dann erhalten wir von Kleist das Bild eines von Pflicht und Neigung, Wirklichkeit und Ideal zerrissenen Menschen, eines Feingeists unter Grobianen, eines Dichters unter Soldaten, eines Melancholikers, der, Widerspruch in sich selbst, zugleich ein zupackender Kerl war. Kleist, 1715 in Zeblin geboren, hatte in Königsberg das Studium der Rechte abgeschlossen, mußte aber statt der erhofften zivilen eine militärische Laufbahn einschlagen. Er hat es darin zum Major gebracht, aber es scheint, daß er sich, trotz aller soldatischen Anerkennung, lieber unter Dichtern aufgehalten hat. Mit Lessing und Wieland, Gleim, Bodmer und Breitinger war er befreundet und wurde von ihnen zum Schreiben ermutigt und belobigt. Sein Ende, das Czechowskis Gedicht zum Vorwurf nimmt, erzählt die Chronik so:

Als er an der Spitze seines Bataillons eine feindliche Batterie stürmte, wurde er an der rechten Hand verwundet, sofort nahm er den Degen in die Linke und setzte seinen Sturmlauf fort, da zerschmetterte ihm eine Kartätschenkugel das rechte Bein und warf ihn zu Boden. So schwer verwundet, wurde er von Kosaken all seiner Kleider beraubt und in einen Sumpf geworfen.

Erst am nächsten Tage aufgefunden, ist Kleist seinen Verletzungen sechs Tage später, am 24. August 1759, in einem Lazarett erlegen.
Czechowskis Gedicht versagt sich dem Heldentum und dem Heldenton der Chronik. Seine Sympathieerklärung ist leise und gilt der Haltung eines Mannes, der sich und seinen Soldatenstand als unzeitgemäß empfand, der in Natur und Landleben Gegenbilder zu Gesellschaft, Krieg und Gesellschaftskrieg sah und der sich mit dieser Haltung auf verlorenem Posten fühlte und wissend in den Untergang ging. Und es ist, je nach Geschichtsverständnis, nicht ohne Tragik oder Ironie, daß ein Dichter und Bürger im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat sich mit einem Bürger und Dichter der Feudalzeit im Lebensgefühl und in der Außenseiterrolle zutiefst verwandt fühlte.
Als „Rückwendungen“ und „Suche nach Ursprüngen“ hat Czechowski einmal seine Gedichte bezeichnet und hinzugefügt:

Dieses Ahnungerhalten ist durchaus etwas polemischer Natur.

Das kann man wohl sagen, wenn man an Kleists „Grablied“ denkt, das den melancholischen Trost hat:

Du wirst nicht sehn, daß ein Tyrann
Die Ferse freigebornem Volk
Hochmütig in den Nacken setzt…

Peter Maiwald, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebzehnter Band, Insel Verlag, 1994

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