Rainer Malkowski: Zu Georg Trakls Gedicht „Trompeten“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Georg Trakls Gedicht „Trompeten“ aus Georg Trakl: Das dichterische Werk. –

 

 

 

 

GEORG TRAKL

Trompeten

Unter verschnittenen Weiden, wo braune Kinder spielen
Und Blätter treiben, tönen Trompeten. Ein Kirchhofsschauer.
Fahnen von Scharlach stürzen durch des Ahorns Trauer
Reiter entlang an Roggenfeldern, leeren Mühlen.

Oder Hirten singen nachts und Hirsche treten
In den Kreis ihrer Feuer, des Hains uralte Trauer,
Tanzende heben sich von einer schwarzen Mauer;
Fahnen von Scharlach, Lachen, Wahnsinn, Trompeten.

 

Das geheime Fest

Ich begann früh, Gedichte zu schreiben. Als ich zwanzig war, gab ich das Schreiben auf. Verse wie Trakls „Trompeten“ hatten mir inzwischen eine Ahnung davon vermittelt, was Dichtung ist. Meine eigenen Versuche waren nicht zwangsläufig, kam mir vor, und in diesem Mangel allein fand ich ihr Scheitern schon begründet.
Es dauerte dann viele Jahre, bis ich erfuhr, daß auch ich schreiben mußte, um meine Existenz zu bestehen. An Trakl hielt ich mit noch größerer Entschiedenheit fest. Und immer wieder kehre ich zurück zu diesen acht magischen Zeilen, lese sie, als wäre es das erstemal, und buchstabiere mich hinein in wachsende Unruhe.
Trakl hetzt die Empfindung des Lesers hin und her zwischen zwei Polen. Gegensätze kennzeichnen das Gedicht: die spielenden Kinder und der Kirchhofsschauer; die Bewegung der Reiter und der Stillstand der leeren Mühlen; Singen und Trauer; Lachen und Wahnsinn. Ist es das allein, was unruhig macht? Wiederholungen fallen auf. Zweimal das Wort „Trompeten“. Zweimal das Wort „Trauer“. Zweimal: „Fahnen von Scharlach“. Die zweite Strophe setzt mit einem „oder“ ein – so als gäbe sie nur ein anderes Beispiel für das, was bereits in der ersten zur Anschauung kam. Auch das Reimschema, mit dem unmittelbar aufeinanderfolgenden Gleichklang am Ende der mittleren Zeilen, ist auf Wiederholung angelegt.
Unruhestiftend sodann die feinen Rhythmus- und Tempoverschiebungen innerhalb des Gedichts. Der letzte Vers, zum Beispiel, beginnt eher langsam, beschleunigt dann deutlich und endet mit drei raschen, grellen Trompetenstößen.
Es lassen sich also formale Mittel erkennen, deren kalkulierter Gebrauch die Unruhe beim Leser hervorruft. Aber man muß hinzufügen: formale Mittel können dichterische Wirkung nur erzielen, wenn sie mehr darstellen als bloße Mittel – wenn sie zugleich das Vermittelte selber sind. Demnach gehören die verstörende Unruhe und das Wechselbad der Gegensätze zum Kern des Gedichts? Sie gehören ebenso dazu wie die Schwermut, „des Hains uralte Trauer“.
Diese Trauer ist unaufhebbar. Darum heißt es von ihr, sie sei „uralt“. Sie ist die Trauer der unerlösten Welt, aller Kreatur, des leidenden, sterblichen Menschen. Sie ist die nicht zu stillende Wunde der Existenz.
Der allem Lebendigen gemeinsame Grund ist hier berührt. In ihm heben sich die Gegensätze auf. Die Grenzen fallen. Die Hirsche treten in den Kreis der Hirtenfeuer – furchtlos im Angesicht einer größeren Furcht: vor dem Unbegreiflichen, aus dem die Gesänge kommen, das Lachen und der Wahnsinn, in dem eines so nah am andern wohnt, wie wir es in der letzten Zeile zusammengedrängt finden.
Solche Vergegenwärtigung im Gedicht ist nicht nur begleitet von Empfindungen der Schwermut. Auch ein Gefühl der Befreiung stellt sich ein. Dies ist nicht merkwürdig. Denn die Scheinrealitäten, in die alltägliches Leben sich verrennt oder flüchtet, werden hier durchbrochen. Die tiefere Wirklichkeit liegt bloß. In der Begegnung mit ihr fließt der Lebensstrom, sonst nur ein trübes Rinnsal, wieder kräftigend und klar.
Gesteigertes Dasein enthält stets auch ein Moment der Festlichkeit. Nicht zufällig kommen in Trakls Gedicht mehrfach Worte vor, die Attribute eines Festes bezeichnen können: „Fahnen“, „singen“, „Tanzende“ und schließlich die „Trompeten“ selbst. Wohl fährt uns der scharfe, schrille Ton der Trompeten, das alte Verheerungssignal, in die Glieder. Wohl erinnern sie uns an die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Aber es steckt auch ein strahlender, jubelnder Klang in ihnen – die Begleitmusik zu geschmückten Aufzügen vor jener schwarzen Mauer, von der die Tanzenden in Trakls Gedicht sich heben.

Rainer Malkowski, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982

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