Rike Bolte mit Felipe Sáez Riquelme (Hrsg.): ein zaun im meer / una reja en el mar

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Rike Bolte mit Felipe Sáez Riquelme (Hrsg.): ein zaun im meer / una reja en el mar

Bolte, Riquelme (Hrsg.)/Vallejo-ein zaun im meer / una reja en el mar

EIN ZAUN IM MEER

wir hielten mit den händen
den einsturz auf
danach
prallte ich
aaauf deinen namen

ein zaun in der exakten
aaaaamitte des meeres
aadie augen: das einzige organ
das nicht wächst

war das immer so
aadein blick ein graben?

Karen Byk
Übertragung Laura Haber

 

 

 

Anstelle eines Vorworts:

Fragen und Antworten an die Dichtung

BLITZABLEITER: EINLEITUNG IN EINE ANTHOLOGIE

Die meisten kanonischen Gedichtanthologien versammeln Texte verstorbener Dichter (und einiger Dichterinnen). Diese Anthologie ist eine freudige Ausnahme. Sie versammelt diejenigen von uns, die am Poesiefestival Latinale des Jahres 2020 teilgenommen haben, also junge Dichter*innen, die einen eigenen Weg in der Literatur zu gehen begonnen haben und weiterhin schreiben und dichterisch forschen. Dieser Text ist eine Begrüßung und eine Einführung, ein imaginärer Dialog, der praktische Fragen und Antworten liefert. Es ist ein möglicher Kompass – oder ein Blitzableiter. Diese Anthologie zeigt, wie Gedichte gelesen werden können und was es heißt, Dichter oder Dichterin zu sein.

*

Wie liest man diese Anthologie?
Es gibt nicht nur eine Art und Weise, sie zu lesen. Man kann sie auf dem Kopf lesen, beim Laufen, auf dem Klo, nachts, unter Wasser. Sie muss auch nicht von Anfang bis Ende gelesen werde, sie lässt sich genauso gut durcheinander lesen! Für welche Art und Weise man sich auch immer entscheidet, am besten ist es, sie laut zu lesen!

Gibt es Fotos in dieser Anthologie?
Die Gedichte beinhalten Bilder, aber nicht diese Form von Bildern. Das Bild im Gedicht ist imaginär.

Kommt in dieser Anthologie aktuelle Musik vor?
Es kommt Musik darin vor, aber nicht diese Art von Musik. Jedes Gedicht hat Rhythmus, Geschwindigkeit, eine Kadenz.

Sind die Gedichte in dieser Anthologie langweilig?
Wir kennen dieses Vorurteil zu Genüge: Poesie wäre langweilig. Ist das Leben aber nicht auch hin und wieder langweilig? Poesie ist nicht langweilig: sie ist auch absurd, tragisch, komisch, geheimnisvoll. Sie ist ein Spiel, ein Spiel mit der lebendigen Sprache, sie ist die Kunst, in Vogelsprache zu sprechen; sie bringt uns an den Rand der Sprache.

Und worum geht es in den Gedichten?
Jedes Gedicht hat sein eigenes Thema. Es gibt Gedichte mit Handlung, es gibt Liebes- und Schreckensgedichte, Gedichte mit Bäumen und Gedichte mit Maschinen, die wie Menschen sprechen. Das Thema des Gedichts ist das Gedicht selbst – Breakdance der Sprache.

Ist die Sprache der Gedichte anspruchsvoll?
Ja, durchaus, aber Molekularbiologie hat es auch in sich. Der Versuch, Mandarin zu lesen ist ebenso ein Wagnis. Zwischen dem Schwierigen und der Poesie besteht ein großer Unterschied: Wir können beim Gedicht auf play drücken – das heißt, anfangen, es zu lesen – und nichts verstehen und sogar versuchen nichts zu verstehen… und einfach weiterlesen. Und siehe da: wir kommen bei einem Vers an. Ein Blitz schlägt ein, der uns hypnotisiert. In der Poesie ist „spazieren gehen“ ein Synonym für „lesen“.

Und warum haben Dichter*innen ein tragisches Leben?
Das ist nicht immer so. Abgesehen davon, dass alle Leben in gewisser Weise tragisch sind, waren große Dichterinnen und Dichter auch Ärzte und Ärztinnen, Lehrende oder Mönche und Nonnen. Ebenso Journalist*innen oder Straßenbahnfahrer*innen. Es ist nicht nötig, besonders zu sein, um Gedichte zu verfassen.

Und warum wirken Dichter*innen immer so traurig?
Vielleicht liegt es daran, dass sie nur schwer von ihrer Arbeit leben können. Doch sie bekommen etwas Immaterielles dafür: Da ist der vibrierende Blitz des Gedichts; die zwischen Bleistift und Seite flackernde Stimme eines Verses. Das ist unbezahlbar.

Warum Poesie lesen?
In einer Welt, in der die praktischen und gewinnbringenden Dinge so hochgehalten werden, nutzen wir Dichter*innen die Sprache auf eine nutzlose und unproduktive Weise – um in ein Geheimnis einzutauchen. Wir benutzen die Sprache um ihrer selbst willen und um der Welt gegenüber aufmerksam zu bleiben. Die Poesie enthüllt diese Welt: Sie schafft eine andere. Noch nie konnten wir der Sprache unschuldig gegenübertreten. Staunen ohne Ende: die Poesie enthüllt den Augenblick.

Und nun ist der Augenblick gekommen:
Eine Anthologie öffnet sich, wie ein Papierfächer.

Felipe Sáez Riquelme, Vorwort
Übertragen von Louisa Rebel und Laura Bahlmann

 

 

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Felipe Sáez Riquelme liest Gedichte im Mai 2018 in der Villa Lynch von Buenos Aires.

 

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