Werner Ross: Zu Georg Trakls Gedicht „Im Park“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Georg Trakls Gedicht „Im Park“ aus Georg Trakl: Dichtungen und Briefe. –

 

 

 

 

GEORG TRAKL

Im Park

Wieder wandelnd im alten Park,
O! Stille gelb und roter Blumen.
Ihr auch trauert, ihr sanften Götter,
Und das herbstliche Gold der Ulme.
Reglos ragt am bläulichen Weiher
Das Rohr, verstummt am Abend die Drossel.
O! dann neige auch du die Stirn
Vor der Ahnen verfallenem Marmor.

 

Götter- und Ulmen-Trauer

„Komm in den totgesagten Park und schau…“ Daß Dichter in Parks wandelten, war seit der Jahrhundertwende obligat, der Park bot die gewünschte (Jugend-)Stilisierung der Natur, hier war sie künstlich-kunstvoll zubereitet. Erst recht sind Marmorbilder ein altes poetisches Requisit, nicht nur verfallen, sondern abgenutzt seit Goethe und Eichendorff.
Nicht daß Trakl tatsächlich im Park von Schloß Mirabell spazierenging, hebt das Störende dieser Reminiszenzen auf, macht das kleine Gedicht kostbar und wertbeständig. Daß die Details scharf getroffen sind, Stimmung beschwören, Bild erstehen lassen, ist nur eine, wenn auch nicht nebensächliche Leistung des Gedichts. Woran Trakl lag, was er „die heiß errungene Manier meiner Arbeiten“ nannte, ist die Zusammenfügung der lyrischen Baukasten-Elemente, der Gegenstände, Töne, Farben zur Komposition, das Wort malerisch, musikalisch und sinn-architektonisch genommen.
Die Form ist streng – ob sie sich im ersten Vers, das Pronomen aussparend, zusammenfaßt oder zum Schluß kantilenenhaft ausschwingt. Anstelle der Reime sind die Glieder parallel, manchmal antithetisch gefügt: Wandeln – Stille, Trauer der Götter – Trauer der Ulme, regloses Ragen des Rohrs – Verstummen der Drossel. So antworten die a-Klänge des letzten Verses (Ahnen verfallenem Marmor) den a-Klängen des ersten (wandelnd im alten Park), Götter und Gold „reimen“ in der Alliteration wie reglos, ragen und Rohr. Ähnlich genau sind die Farben zusammengesetzt: Gelb und Rot, starke Farben, werden durch den Anruf „Stille“ so gedämpft wie das Ulmengold durch „herbstlich“. Nur „bläulich“ darf der Weiher sein.
Der Komposition korrespondiert genau der „Sinn“ des Gedichts, seine nicht in nüchterne Prosa zu verwandelnde „Aussage“. Wenn die lyrische Moderne ihre Mangelkrankheit, das Fehlen einer tragenden Mythologie, gelegentlich durch Götteranrufungen zu kurieren versucht hat, so macht Trakl mit der Entmythologisierung den entschiedensten Ernst. Dazu dienen die „und“ „auch“, die alle Gegenstände, das Laub und die Götter und das angeredete Ich, in den gleichen Prozeß einbeziehen, den des schweigenden Hinsterbens. Nichts von dem Bennschen Glauben an das überleben der Statuen: sie sind so hinfällig wie die Herbstblätter.
Auch das Neigen des Hauptes fügt sich sanft in die stille Sterbegebärde ein. „Schaudernd unter herbstlichen Sternen / Neigt sich jährlich tiefer das Haupt“, heißt ein anderer wunderschöner Trakl-Vers. Die glückliche Ambivalenz der Dichtung erlaubt freilich, in die letzten Verse einen doppelten Sinn hineinzulegen. Während das „auch du“ die Figur des Wandelnden einbezieht, stellt das „vor“ Distanz her, Neigen wird zur Verneigung. Den Hinsterbenden tritt etwas zwar nicht Dauerndes, aber Dauernderes gegenüber: die Ahnen:
Man weiß ungefähr, was das Wort „Ahnen“ bei Trakl bedeutet, welche Werte der Tradition es für den Enkel umfaßt. Aber dieses Gedicht läßt das alles offen, man weiß es besser nicht: seien nun die Vorfahren gemeint oder die alten Künstler oder die sanften Götter selbst. Nichts ist ausgenommen von Verfall und Verfallenheit, vom Jedermann-Abruf.

Werner Rossaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiter Band, Insel Verlag, 1977

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