Wolf Biermann: Zu Friedrich Hölderlins Gedicht „Der Tod für’s Vaterland“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Friedrich Hölderlins Gedicht „Der Tod für’s Vaterland“ aus Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. –

 

 

 

 

FRIEDRICH HÖLDERLIN

Der Tod für’s Vaterland

Du kömmst, o Schlacht! schon woogen, die Jünglinge
aaHinab von ihren Hügeln, hinab in’s Thal,
aaaaWo kek herauf die Würger dringen, –
aaaaaaSicher der Kunst des Arms, doch sichrer

Kömmt über sie die Seele der Jünglinge,
aaDenn die Gerechten schlagen, wie Zauberer,
aaaaUnd ihre Vaterlandsgesänge
aaaaaaLähmen die Kniee den Ehrelosen.

O nimmt mich, nimmt mich mit in die Reihen auf,
aaDamit ich einst nicht sterbe gemeinen Tods!
aaaaUmsonst zu sterben, lieb’ ich nicht, doch
aaaaaaLieb’ ich, zu fallen am Opferhügel

Für’s Vaterland, zu bluten des Herzens Blut
aaFür’s Vaterland – und bald ists gescheh’n! Zu euch,
aaaaIhr Theuern! komm’ ich, die mich leben
aaaaaaLehrten und sterben, zu euch hinunter!

Wie oft im Lichte dürstet’ ich euch zu seh’n,
aaIhr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!
aaaaNun grüßt ihr freundlich den geringen
aaaaaaFremdling und brüderlich ist’s hier unten;

Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht
aaIst unser! Lebe droben, o Vaterland,
aaaaUnd zähle nicht die Toten! Dir ist,
aaaaaaLiebes! nicht Einer zu viel gefallen.

 

Vaterlandsphrasen oder schwäbische Marseillaise?

Was Wunder, daß die Nazis entzückt waren. Chauvinistische Gymnasialpauker zelebrierten diese Worte den Kindern, die sie in Hitlers verlorenen Krieg schickten. Ich lese diese Ode zweimal. Und erst einmal eben nicht in der berühmten Stuttgarter Ausgabe, sondern in einer Hölderlin-Feldauswahl. Das ist eine makabre Rarität aus der Nazizeit, gedruckt auf holzigem Kriegspapier, ausgewählte Gedichte und Prosafetzen. Im Impressum steht:

Diese von Friedrich Beißner besorgte Auswahl erscheint im Auftrag der Hölderlin-Gesellschaft und des Hauptkulturamts der NSDAP.

Der große Hölderlin-Professor Beißner packte also im Krieg sein lyrisches Frontpäckchen, eine eiserne Ration für die Soldaten der Wehrmacht, damit der Tod fürs Vaterland ihnen leichter fällt. Der Zufall liefert uns zudem eine blödsinnige Zahlenmystik mit der Zahl Hundert: genau hundert Seiten, Auflage hunderttausend im hundertsten Todesjahr von Hölderlin und zugleich im Todesjahr für hunderttausend eingekesselte deutsche Soldaten vor Stalingrad.
Die Rechten lieben sie, wir Linken verdrängen diese Ode über den schönen Heldentod. Wir wollen unseren Dichter nicht gern in Bad Homburg am Schreibtisch sitzen sehn, wie er junge Leute mit Vaterlandsphrasen in das Verrecken schickt. Er kannte doch wohl das deutsche Sprichwort:

Man soll nicht mit eines anderen Mannes Arsch durchs Feuer reiten.

Was dachte sich der! Dulce et decorum est pro patria mori? Haben Sie das selber ausprobiert, Horaz, daß es süß und ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben? Denn uns stinkt dieses Es ist so schön, Soldat zu sein. Von wegen: Dir ist, Liebes! nicht Einer zu viel gefallen. Von wegen Viva la Muerte, compañero Durutti! „Schlagt sie tot! Das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht.“ Kleist. Er kämpfte im Interventionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich. Und so immer weiter. Jeder Stoß ein Franzos. Jeder Schuß ein Russ.

O Vaterland,
Und zähle nicht die Toten!

Ja, auch ich blätterte immer flott über dieses Schlachtengemälde weg und zog mich lieber hoch am Hyperion. Dabei entstand die Ode „Der Tod fürs Vaterland“ in Hölderlins bester Zeit, kurz vor der Jahrhundertwende. In diesen Jahren war der Dichter noch nicht verrückt, noch immer war er Hölderlin und nicht „Scardanelli“, wie er einige seiner späten Gedichte zeichnete. Und hatte Hölderlin es damals etwa nicht längst besser und tiefer begriffen? Grad im Hyperion zeigte er doch, daß kein Soldat nie und nimmer und aus keinem Krieg je mit sauberen Händen kommt, auch dann nicht, wenn er für die gerechteste Sache kämpft.
Grad das war ja die schmerzliche Wahrheit, darum scheitert ja der Held Hyperion: Die sogenannten Guten plündern, rauben, vergewaltigen und marodieren mitten im gerechten Krieg so munter drauflos wie die Soldaten der schlechten Gegenseite auch. Alles das sind so Affekte beim ersten Blick auf diese Ode. Der böse, der zeitgeist-blöde Blick ist uns erlaubt – aber er ist zugleich fürchterlich falsch. Beim zweiten Lesen finde ich ein ganz anderes Gedicht, denn ich bedenke nun das historische Koordinatensystem des Dichters: Die Franzosen hatten grad ihre Revolution gemacht. Ein Vaterland sollte nicht gegen äußere Feinde verteidigt werden, sondern gegen den inneren Feind, den eigenen Fürsten.
Hölderlins Herz schlug, das wissen wir ja, für die Republik. 1792 schrieb er seiner Schwester, er „… bete für die Franzosen, die Verfechter der menschlichen Rechte“. Freilich überkam auch ihn der Katzenjammer, als der jakobinische Terreur tobte. Als Hölderlin seine Ode schrieb, rannten die gutausgerüsteten Koalitionsheere der absolutistischen Despoten des alten Europa gegen das revolutionäre Frankreich an. Und sie wurden von Napoleons junger Armee immer wieder wunderbar geschlagen. Im Sog dieser Siege hoffte Hölderlin auf einen Sieg der Revolution auch in Schwaben. Zudem gab’s in der südlichen Nachbarschaft ein aufreizendes Beispiel: In der Schweiz hatten die verbündeten Eidgenossen soeben die „Helvetische Republik“ gegründet. „Der Tod fürs Vaterland“ war also gemeint als eine deutsche, eine württembergische Marseillaise. Durch des Deutschen Ode schimmert das berühmte Revolutionslied des Rouget de Lisle. So erinnern Hölderlins „Jünglinge“ an les enfants de la patrie, und die „Würger“ lassen an jene féroces soldats, jene wilden Soldaten, denken, die kommen, um die Söhne zu würgen – égorger vos fils.
Ein drittes Mal lese ich das scheußliche und schöne Gedicht nicht. Ich grüble nach und will endlich wissen, warum diese Ode mich trotzdem ärgert. Der Grund kann nicht das Thema sein. Der Gedanke, daß Menschen bereit sind, für ein besseres Leben zu kämpfen und auch zu sterben, ist mir geläufig und bleibt auch gut und richtig. Was stört uns also an Hölderlins Gedicht? Es ist dieser Gestank der Begeisterung.

Wolf Biermannaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfzehnter Band, Insel Verlag, 1992

1 Antwort : Wolf Biermann: Zu Friedrich Hölderlins Gedicht „Der Tod für’s Vaterland“”

  1. PaulH sagt:

    Es ist dieser Gestank der Begeisterung. Dieser besondere Gestank der eben nicht abstoßend sondern Ansteckend wirkt auf die hungrigen Seelen die sich unbedarft erhaben fühlenden. Die, die sich einberufen lassen wollen in die große Schlacht des großen Herrschers. Die ihr kleines Ego in das verehrte Größere überhöht wissen wollen. Und der angesteckte Dichter pfeift sein ansteckendes Lied im Gleichklang mit den rasselden Waffen. „Sie starben für Gott und Vaterland“ – höchste Verdienste noch im Tod statt eines Hungerlohns.

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