Christoph Klimke: Das Alphabet des Meeres

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Christoph Klimke: Das Alphabet des Meeres

Klimke-Das Alphabet des Meeres

REQUIEM

III

WIRD DAS Weltall
sich entzünden
an diesem Tag
heißt es
vergoltene Ödnis
geschaffen in weniger
denn sieben Tagen
nur Hypochonder
glauben es gäbe
ein Mittel gegen uns
komisch wie Goldwäscher
auf dem Mond

 

 

 

Auf der Durchreise

Wie wenige Gedichte sonst, zeigen sich die von Christoph Klimke inhaltlich und formal deckungsgleich. Wer sich mit ihnen vertraut machen will, sollte das in einem Augenblick äußerster Ruhe tun, weil sie, die Gedichte, ihm, dem Leser, in einem ungewohnten Tempo verschwinden. Sie sind die Sprache gewordene Unruhe, gleichen dem Blick aus einem Schnellzug, bieten für einen Moment Landschaft, Erinnerung, Eingedenken, Empfinden und sind schon weiter, ehe der Leser ihrer im Kern gewahr wird. Klimkes Gedichte zu lesen verlangt Stille, Absonderung, eine Aufmerksamkeit, wie sie vielleicht heute schon nicht mehr üblich ist. Mir kamen die Gedichte beim Lesen vor, als führe ich viel zu schnell vorbei an den unterschiedlichsten Erscheinungen unserer äußeren und inneren Welt. Gefühl von Atemlosigkeit. Als wolle der Dichter alles und jedes, was ihm begegnet und sich an ihm vollzieht, festhalten, bewahren, aufheben, überwältigt „von der Erscheinungen Flucht“. „Wer wird heute Beute vor deinen Augen“, heißt es in einem der Schlüsselgedichte: Alles wird Beute eines Jägers, der so offenkundig selber zu den Gejagten gehört.
Diese Gedichte unterscheiden sich grundlegend von den weiten Feldern sonstiger Lyrik: Sie sind in Eile, sie haben keine Zeit, und nichts anderes als dieser rasende Zug ist ihre Intension. Mir sind keine Gedichte bekannt, die sich derart dem Carpe diem unterworfen haben, und zwar bis in die Grammatik, bis in die Form hinein. Die Zeit, ihr rasender Ablauf, ihre Haltlosigkeit, metaphorisch flüchtig markiert – das hat man dergestalt noch nicht gelesen. In den knappen Zeilen ist eine ungewöhnliche Lebenserfahrung konzentriert, ein dunkles Bewusstsein, das alle Zeilen imprägniert. Gegen den Strich lesen muss man die Gedichte, gegen ihr Tempo, das sie anschlagen. Und just dadurch fordert das verbale Tempo Muße, damit der Sinn sich nicht verliere. Als setze der Dichter hier seinen eigenen Nachruf, heißt es in schrecklicher Endgültigkeit:

… als wenn nichts
wäre bist du
auf der Durchreise
spurlos davon

Günter Kunert, Juni 2019, Nachwort

 

Christoph Klimkes neuer Lyrikband

versammelt Gedichte über das Reisen, Berlin, Italien, über Dichter wie Pasolini, Lorca, Marieluise Fleißer oder Edgar Lee Masters, über Erinnerungen, die Liebe und das Meer. Längst ist der Ozean nicht mehr allein Ort der Mythen, Träume und Abenteuer. Das Meer ist auch Sinnbild für die Zerstörung von Natur geworden und das Ende von Zufluchtslosen. Ein Requiem auf den Traum, der Leben heißt.

Elfenbein Verlag, Klappentext, 2019

 

Das Alphabet des Meeres

– Der neue Lyrikband des Klever Schriftstellers Christoph Klimke, der im Elfenbeinverlag erscheinen wird, erzählt vom Reisen. Derzeit arbeitet der Autor an einem Stück für das Junge Theater Göttingen. –

„Kraniche gehen nicht verloren“. Sagt der Dichter und lässt den Punkt am Ende des Satzes weg, „Auf ihrem ersten Flug erinnern sie sich im Voraus“, fügt er ein wunderbares Bild an: Schön zu wissen, wohin die Reise geht und wie sie zurück führt. Doch zurück geht es in den wenigen Zeilen des Gedichtes dorthin, wo die anderem schon angekommen sind, die gegangen sind und derer man sich erinnert. Der weg führt auf die Friedhöfe. Die Zeilen enden schließlich mit menschlichem Unvermögen: Denn während die Kraniche nicht verloren gehen, schickt der Mensch Drohnen gen Himmel, die keine Wege aus dem Nichts erspähen.
Christoph Klimke hat seinen neuen Lyrikband abgeschlossen, der im Elfenbein erschienen ist. Es ist der Verlag, der 2018 mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet wurde, weil er seit gut zwei Jahrzehnten in schön gestalteten Büchern Literatur der Gegenwart veröffentlicht und auch ein Herz für Lyrik hat. Auch für die Lyrik des in Kleve aufgewachsenen Autors, der in atemlosen Zeilen ohne Punkt und Komma (auch im tatsächlichen Wortsinn) so schnell wie im vorübergehen vom Reisen, vom Meer, vom Leben erzählt.
Doch das Gehetzte der Worte, die scheinbare „Durchreise“ täuschen, wie Klimkes Autorenkollege Günter Kunert so treffend schreibt. Zunächst scheint es, dass diese Gedichte in Eile sind, keine Zeit haben. Aber: „In den knappen Zeilen ist eine ungewöhnliche Lebenserfahrung konzentriert, ein dunkles Bewusstsein“, so Kunert. Lässt man sich hingegen von der Eile verführen und hetzt durch die kurzen Zeilen, stolpert man zwischen den Sätzen, verliert die Syntax: Der Fluss der Wörter ist ohne Punkt und Komma geschrieben und verlangt nicht die Eile, sondern die Konzentration. Die Konzentration auch auf den Inhalt, der dort in knappen Zeilen erzählt wird und so wunderbare Bilder im Kopf erzeugt. Die Zeilen erzählen von der Stadt, vom Reisen, vom Meer, von Italien und von Poeten. Und immer wieder von der Zweisamkeit, von der Liebe, von den „Komplizen bis in die Träume hinein“, wie das fünfte Kapitel titelt. Vielleicht auch von der (Klever) Kindheit zwischen Pappeln und schwerem Vieh auf der Weide.
Das Alphabet des Meeres titelt der Band und das erste Kapitel widmet sich dem Meer, der Weite, den langen Strandspaziergängen mit Hund, der Flaschenpost, die wieder zurück ins Wasser muss, vom Bernstein den man findet. Man muss sich nur die Zeit nehmen, die verlangt wird und darf sich nicht von der Hetze der Worte verführen lassen, wie es Kunert empfiehlt. Ein schönes Büchlein, um in der Eile die Ruhe zu finden, nachzudenken oder sich einfach in die entstehenden Bilder fallen zu lassen. Lyrik – selbst für die Ferien am Meer.
Christoph Klimke, der in Kleve aufwuchs und zur Schule ging, lebt in Berlin und bekam unter anderem das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin und den Ernst-Barlach-Preis für Literatur. Das Alphabet des Meeres ist jetzt der zweite Lyrik-Band, der nach Fernweh bei Elfenbein erscheinen wird.
Jetzt konzentriert Klimke sich wieder auf die Bühne. „Zur Zeit arbeite ich an einem Stück über Janusz Korczak für das Junge Theater Göttingen: König Korczak oder Wenn ich wieder klein bin“, sagt er. Im Spätherbst will er wieder seine Heimatstadt besuchen.

Matthias Grass, RP.Online, 20.7.2019

 

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