Barbara Frischmuth: Zu H.C. Artmanns Gedicht „Es zupft die Mandoline“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu H.C. Artmanns Gedicht „Es zupft die Mandoline“ aus H.C. Artmann: Aus meiner Botanisiertrommel. 

 

 

 

 

H.C. ARTMANN

Es zupft die Mandoline

es zupft die mandoline
der edle graf vom gral,
klar klingt die sonatine
durch das leandertal;
der tag wird immer runder,
der tau dampft ab vom strauch,
die sonne auf holunder
löst sich in düftehauch.

der gamsbock auf der leiter
zwingt steile felsenwand,
auch bergfex klettert heiter
durch der tyroler land,
die kuhmagd, braun vom firne,
weilt noch im federbett,
ein troll tritt bei der dirne
ins näpflein mit dem fett.

waldvöglein sitzt zu aste,
speist von der nassen nuß,
am feldrain ein fantaste
hebt seinen stock zum gruß,
stumm streunet sein kollege,
der astrolog, im moos,
traumdeuter stehn am wege,
verliebt und heimatlos.

die birnen blühn im garten,
die nessel wuchert scharf,
der graf langt in die zarten
gezeiten seiner harf. .
nun hechtet die forelle
von hohem trampolin,
es kehrt vor ihrer schwelle
die saubre ameisin.

im weißkohl haust der hase,
miaut ein teutsches lied,
maiglöcklein sprießt im grase,
ein aar gen himmel zieht,
ich zieh auf meine weise
die sprachbewegung nach,
verführt, auf wilder reise –
noch liegt so vieles brach. .

 

Eine artige Sprachbewegung

So verspielt und dennoch so kunstvoll setzt nur einer die Vogeltrittschrift seiner Verse in den Schnee, nämlich H.C., als den wir, damit meine ich seine Kollegen und Freunde aus den fünfziger, sechziger, siebziger und so weiter Jahren ihn kennen, verehren und lieben gelernt haben. Und was aus seiner Botanisiertrommel fiel, füllt längst einige versuchte Gesamtausgaben und hat doch nichts vom maiglöcklein-Duft seiner herzhaften Reime verloren. Einen so raffinierten, bei dem „trampolin“ auf „ameisin“ aufgeht, wird man lange im Gestrüpp der von der Werbung usurpierten, zeitgenössischen Reimschmiedekunst suchen müssen. Dieses Gedicht entfaltet sich von einem seiner Schlußverse her:

ich zieh auf meine weise
die sprachbewegung nach.

Dieser Satz könnte programmatisch für den Großteil des Artmann’schen Werkes stehen, das einer Sprachbewegung folgt, die zwischen den mythischen, historischen, folkloristischen und stilistischen Ebenen der Tradition streunet, ohne einen wohlgeformten Rolls Royce als gelegentliches Transportmittel zu verachten.
Mit jeder Zeile dieses Gedichts werden Welten in Erscheinung gelockt, die wir zu kennen vermeinen und an die wir doch schon lange nicht mehr gedacht haben. Der an seiner Mandoline zupfende „graf vom gral“ bringt alles zum Klingen, was wir je über König Artus und die Ritter seiner Tafelrunde – mit einem Wort „das Keltische“, dem Artmann stets verbunden war – gehört haben. Und schon geht es weiter ins „leandertal“, wobei mit Leander-Neander wohl eher auf den frühmittelalterlichen Erzbischof von Sevilla als auf Heros Geliebten vom Ufer der Dardanellen angespielt wird.
Es wäre nicht Artmann, bemächtigte er sich nicht auch der alpenländischen Szenerie, die – ansonsten für Lyrik ungeeignet – sich im artigen Sprachduktus des Meisters zu einem „fettnäpflein“ mausert, in das nicht nur Trolle gerne träten. So kommt auch ein „bergfex“ zu poetischen Ehren, und die „kuhmagd, braun vom firne“ (worin die Dirne nachklingt), läßt den Gamsbock zum poetischen Gegenstand avancieren, und selbst das Waldvöglein (übrigens als Pflanze unter dem Namen Cephalanthera rubra bekannt) darf eine lyrische Wegmarke bilden.
Der „fantaste“, der „seinen stock zum gruß“ hebt, deutet durchaus erkennbar auf seinen Erfinder zurück, ebenso wie der „traumdeuter, verliebt und heimatlos“, der einen geradewegs in ein anderes Artmann-Werk entführt, nämlich in den Band Grünverschlossene Botschaft 90 Träume aus dem Jahr 1967. Es zeugt für poetische Ökonomie, wenn die vierte Strophe harmloser als alle anderen beginnt, mit einem Satz, an dem beim besten Willen kein Hintersinn zu entdecken ist. Aber schon das scharfe Wuchern der Nessel hebt ein wenig ab, um sich auf den Gezeiten der gräflichen Harfe zu wiegen, von der dann der geniale Absprung erfolgt: „nun hechtet die forelle“, und sie hechtet so gekonnt, daß die „saubre ameisin“ gar nicht mehr philiströs anmutet in ihrer großen Ordentlichkeit. Der im Weißkohl hausende Hase, der ein teutsches Lied miaut, läßt, wenn auch ein wenig verschwommen, die Assoziation zum Hasen im „Struwwelpeter“ zu, der die Flinte auf seinen Jäger anlegt. Wohingegen der „gen himmel“ ziehende „aar“ wieder eines von Meister Artmanns wohlgebrauchten Fundstücken aus einer anderen Sprachwelt und als solches unverzichtbar ist, leistet es doch in seiner lautlichen Verschlankung beste rhythmische Dienste.
Daß mittlerweile und nach vielen Werken aus dem Fundus Artmannscher Verbarien nicht mehr so vieles brachliegt, wie im Gedicht beklagt, versteht sich von selbst, dennoch hoffen wir weiter auf die zauberische Wirkung des „verführt, auf wilder reise“ –. Möge es dem Grandgoschier und Sindtbart alias Señor Artmanno noch oft widerfahren, daß er zu einem Gedicht verführt wird. Es muß ja nicht unbedingt auf dem Flohmarkt von La Paz in Niedercalifornien sein…

Barbara Frischmuthaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Dreiundzwanzigster Band, Insel Verlag, 2000

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