Claire Plassard & Florian Vetsch: Steinwürfe ins Lichtaug

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Claire Plassard & Florian Vetsch: Steinwürfe ins Lichtaug

Plassard-Vetsch/Häuser-Steinwürfe ins Lichtaug

EINE SCHWERE GEISTESKRANKHEIT

Immer schwört man sich,
Es sei nun das letzte Mal gewesen,
Aus & fertig mit diesem über
Die Stränge der Existenz hauen,
Nie mehr festhalten,
Um nie mehr loslassen zu müssen,
Aus & fertig, jaja,
Die Einen werden zynisch,
Die Anderen halt normal. Hahaha.
Man kugelt sich vor Bauchweh der anderen Art.
Ein Augenpaar genügt &
Der Wahnsinn beginnt von vorne.

Beruhigende Lebensaussichten sind das.

CP, 3. Juli 2013

 

DREI SOMMERLICHE HAIKUS

Auf der Terrasse
Der Sauna schreckte mich das
Gewitter hoch: jäh!

Boah-hahahahaa!
Hohohoo! Uh-hihihii!
Hyrch! hyrch! Hahahaa!

& wieder strecken
Sich die Cirren – das Leben
An den Start! Immer.

FV, 7. Juli 2013

 

 

 

Nachwort

Doppelte – zumal dialogische – Autorschaft, wie sie in diesem Band von C. P. und F. V. mit witzigem Ernst und ernstem Witz vorgeführt wird, ist ein uraltes Verfahren literarischer wie philosophischer Texterzeugung, bei der formale und inhaltliche Qualitäten in Rede und Gegenrede, in Fragen und Antworten unter ständig wechselndem Gesichtspunkt entfaltet werden. In der Antike, im Mittelalter, auch in der Romantik gibt es dafür Beispiele zuhauf. Die literarische Wechselrede führt besonders eindrücklich vor Augen, was für Dichtung generell als Prämisse zu gelten hat: Literatur wird aus Literatur generiert, ein Text ruft den andern hervor, aber auch – umgekehrt – ein Text antwortet auf den andern.
Die Moderne hat mit dem surrealistischen cadavre exquis eine Variante zu diesem dialogischen Grundprinzip geliefert, die freilich nicht auf Wechselrede beruht, sondern – ähnlich dem japanischen Renga – auf der Vorstellung einer kollektiven Keltendichtung, zu der in serieller Abfolge immer wieder andere Autoren beitragen. Demgegenüber halten C. P. und F. V. an der ursprünglichen Form und Technik des Dialogisierens fest, wie Platon sie als Lehr- und Streitgespräch ausgebildet hat und wie sie heute – gesunkenes Kulturgut! – via Smartphone als SMS praktiziert wird.
Klar ist vorab, dass sich der Dialog zwischen ungleichen, vielleicht gar gegensätzlichen Partnern produktiver entwickelt, als wenn Gleichgesinnte wechselseitig sympathisieren und sich in ihrer Meinung bestätigen. Zwischen F. V. und C. P. ist Ungleichheit in verschiedenster Hinsicht vorgegeben: Lehrer/Schülerin (mithin auch älter/jünger), Mann/Frau, dichtender Philosoph/philosophierende Dichterin. Damit kommen naturgemäss von Beginn an entsprechend unterschiedliche Erfahrungen, Erwartungen, Interessen und auch unterschiedliche Temperamente ins Spiel.
Ins Spiel!
Die Autoren reden in ihrer einleitenden Notiz von „Ballanschlag“ und „Zusammenspiel“. Das Projekt, das hier nun unter dem Titel Steinwürfe ins Lichtaug in Buchform vorliegt, hat durchaus spielerischen Charakter, es bündelt „Würfe“ aller Art – Einwürfe, Anwürfe, Zuwürfe, Vorwürfe, Entwürfe – zu einem „Zyklus“, der sich allmählich zu einem Text zusammenschliesst, der aber in sich in mancher Hinsicht uneins ist: stilistisch, thematisch, nicht zuletzt auch in Bezug auf die wechselnden Standorte und „Seelenzustände“ der Dialogpartner.
Dadurch, dass die insgesamt 64 – zweimal 32 – Gedichte streng auf der progressiven Zeitachse ausgetauscht werden, gewinnt das Projekt auch eine geschichtliche (eine zeit- wie lebensgeschichtliche) Dimension. Der lyrische Dialog, begonnen von F. V. im Oktober 2011, abgeschlossen zwei Jahre danach von C. P. im Oktober 2013, vergegenwärtigt also, wiewohl in abrupten Sprüngen, eine Entwicklung, die man an hand der Schreibbewegung und zunehmenden Formbeherrschung ebenso erkennen kann wie an der persönlichen Optik (oder einfach: an der sich erweiternden und zugleich sich präzisierenden Weitsicht) der beiden Autoren.
Wir haben es bei diesen Steinwürfen ins Lichtaug mit einer doppelten Tagebuchführung zu tun, bloss ist das Tagebuch hier nicht in die Intimität entrückt, sondern liegt offen da, bekenntnishaft, provozierend, fragend, ungeschützt, immer schon darauf angelegt, vom Partner zur Kenntnis genommen zu werden und ihn zum Replizieren zu bewegen, zur Widerrede, zur Beipflichtung, zur Ergänzung, zum Vergleich des Fremden mit dem Eigenen. Doch die „Steinwürfe“ und „Ballwechsel“ unterliegen in diesem Fall gewissen Spielregeln – der Dialog ist in Gedichtform zu führen, die Gedichte sollen aufeinander bezogen sein, es darf in der Wechselrede keine Unterbrechungen geben. Damit setzt sich das Projekt klar von der offenen Form des Tagebuchs ab. Beibehalten wird wohl die Zeit- und Situationsbedingtheit sowie die Privatheit der Texte, gefordert ist jedoch, dass Spontaneität durch die lyrische Rede zugleich diszipliniert und vergegenwärtigt wird. C. P. und F. V. gehen in dieser Hinsicht recht unterschiedlich vor, ja, man könnte wohl sagen, dass sie sich in ihren Interessen und Wahrnehmungen sehr viel näher sind als bei der formalen Ausarbeitung ihrer Gedichte. C. P. arbeitet an der prosodischen Strukturierung (Metrik, Strophik usf.) ihrer Texte sichtlich strenger als ihr Korrespondent, der sich gern an die ausserliterarische Welt und seine eigenen, jeweils aktuellen Befindlichkeiten hält und folglich auch mehr an Alltäglichem, Politischem einfliessen lässt.
Bei F. V. verbinden sich Empörung und Lobgesang, Enttäuschung und Sinnenfreude zu einem Parlando, in dem deutlich das Wummern und Nölen der Beat Generation nachklingt, C. P. neigt eher zur Nachdenklichkeit, mithin auch zu einem privatistischen Kammerton, den sie hin und wieder durch Endreime instrumentiert oder durch regelmässigen Strophenbau aufrecht erhält. Während sich F. V. gern zum Sprecher, zum Fürsprecher verachteter und verdrängter sozialer Minderheiten macht, scheint C. P. ein Faible für die Zunft der Dichter und Künstler zu haben, für „Auserwählte & Verrufene / Charmeure, Schwärmer & Fantasten“, die sie einlädt, sich um sie und ihren Schreibtisch zu scharen.
Schreibtisch!
Dass C. P. einen solchen als Gestell für ihre Schreibarbeit benutzt, dürfte ein weiterer Unterschied gegenüber ihrem Lehrer sein, der seine Verse wohl eher irgendwo unterwegs auf dem rechten Knie oder in einer Bar auf dem erstbesten Bierdeckel notiert. Von daher ist man nicht erstaunt, dass es C. P. ist, die F. V. mit einem kleinen Akrostichon zu einem formalistischen Experiment anregt – als Antwort darauf kommt ein schön austariertes Mesostichon, mit dem sich auch der nomadisch bewegte Partner als ein geschickter Wortarbeiter ausweist.
Das ständige Unterwegssein, Bewegtsein, Hingerissensein der beiden Korrespondenten ist dokumentiert durch die zahlreichen Ortsnamen zwischen Fes und Florenz und San Gallo, aber auch – auf geistigem Plan – durch noch zahlreichere Namen von Autoren und/oder Titel von Werken, die bald direkt angesprochen, bald indirekt evoziert werden: von Malcolm Lowry und Gertrude Stein bis hin zu Annemarie Schwarzenbach und Judith Butler, von Bourdieu bis Sokrates (von der Bibel – mit Eva und Hagar und anderen mehr – ganz zu schweigen). So finden in diesem Schriftwechsel Lebens- und Lektüreerfahrungen zwanglos zueinander, und nicht selten überlagern und durchwirken sie sich bis zur Ununterscheidbarkeit.
Die Dichter, ob lebendig oder tot, bleiben omnipräsent, im Alltag wie im Buch, und sie können auch einem schlichten Herbstabend ohne TV-Krimi zu kaum geahnten Intensitäten verhelfen; etwa so:

Spätnachts
Versammeln sich die toten Dichter
Unter der Leselampe

Langsam werden die Nächte kühler
Tiefer dunkelt das All nach

Ob dieser Klarheit leuchtet ein:

Nur

Die Überzeugung von der Ungewissheit
Wird von der Wirklichkeit nie enttäuscht (F. V.)

Der Lichtkegel unter der Leselampe erweist sich als ein kleinräumiger Kosmos, zu dem jedermann Zugang hat, in dem es an nichts fehlt und der nach allen Seiten hin offen ist zu der grossen dunklen Welt, in der wir leben – wenn wir nicht gerade lesen.

Felix Philipp Ingold

 

Florian Vetsch

ist 1960 geboren, Claire Plassard 30 Jahre später. Ihr erstes Aufeinandertreffen kam im Gymnasium in St. Gallen zustande, wo Plassard in ihrem Abschlussjahr das Ergänzungsfach Philosophie bei Vetsch belegte. Aus dieser Begegnung entwickelte sich rasch, jenseits eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses, eine produktive Freundschaft, die ohne Rücksicht auf Kategorien wie Geschlecht und Alter aufblühte. Florian Vetsch, der bereits in Zusammenarbeit mit dem Beat-Imam Hadayatullah Hübsch (1946–2011) den Gedichtband Round & Round & Round (Songdog, Wien 2011) geschrieben hatte, jagte im Oktober 2011 per E-Mail einen ersten poetischen Federball in Claire Plassards Richtung; die junge Dichterin, die gerade mit dem Luzerner Lyriker Pablo Haller die Gedichtzyklen blut & blumen / verdaute zukunft (Privatdruck, Luzern 2012) abgeschlossen hatte, erwiderte den Ballanschlag noch im selben Monat. Regeln gab es für das Zusammenspiel der beiden keine. Weder stand eine Deadline fest, noch gab es thematische oder formale Einschränkungen. Die einzige Rahmenbedingung war, dass auf ein Gedicht des einen Schreibenden der andere mit einem ebensolchen antworten musste und dass dessen Gedicht wiederum eine poetische Antwort vom ersten Schreibenden provozieren sollte, welche wiederum usw. usf. Die Dynamik dieses Austauschs mündete nach zwei Jahren Arbeit in die 64 Gedichte, welche die vorliegende Sammlung Steinwürfe ins Lichtaug enthält.

molokoplusrecords, Ankündigung

 

Fakten und Vermutungen zu Florian Vetsch

 

Florian Vetsch & Claire Plassard lesen am 6.2.2014 Jack Black: The Traits of a Johnson zum 100. Geburtstag von W. Burroughs im Helsinki Klub, Zürich.

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