Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Die Lehre der Leere (Teil 2)

Die Lehre der Leere

Teil 1 siehe hier

Das leere Blatt könnte auch als ein von der Zensur eliminierter Text aufgefasst werden – die Leere mithin nicht als Offenheit, vielmehr als ein gesäuberter abgeschlossener Raum. Die ambivalente Symbolik der unbeschriebenen Papiere verleiht der Kundgebung eine zusätzliche Bedeutungsbene, erhöht ihre Dringlichkeit und wird dadurch erst recht zu einer Provokation der repressiven Behörden, die nun gefordert sind, aus der demonstrativen Leere die beabsichtigte Lehre zu ziehen und darauf zu reagieren. Wie ist gegen etwas oder jemanden vorzugehen, dem nichts Gesetzeswidriges angelastet werden kann, weder eine zitierbare staatsfeindliche Aussage, noch ein Aufruf zu Protest oder Gewalt?
Und ein Drittes kommt hinzu: Der Einsatz des leeren Papierblatts als «beredtes» Ausdrucksmittel für widerständiges Denken könnte dazu beitragen, die althergebrachte Angst so mancher Schriftsteller vor dem «Abgrund» des noch unbeschriebenen … des noch zu beschreibenden Blatts und damit auch das Ungemach der «Schreibblockade» zu relativieren.
Das «Schrecklichste» für einen Autor sei, so meinte einst Ernest Hemingway, «das leere Blatt Papier». Dieses Schrecklichste kann durchaus positiv sein und als vielsagende Weisse … als vielsagendes Schweigen seine eigene Wirkung haben.

 

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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