Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Letzte Worte (Teil 4)

Letzte Worte

Teil 3 siehe hier

Leserinnen oder Hörer letzter Worte müssen jeweils ein Fazit zur Kenntnis nehmen, an dem nichts mehr zu ändern ist, dem nichts mehr beigefügt und das weder bestätigt noch widerlegt werden kann – auch eine letzte Frage zu einem letzten Wort bleibt ausgeschlossen. Gerade diese Ausschliesslichkeit verhindert jegliche dichterische Anmutung.
Letzte Worte werden von den Sterbenden gleichsam als Diktate ausgesprochen, die Beweischarakter, Befehlscharakter, Beichtcharakter, Frage-, Widerspruchs- oder Protestcharakter haben sollen, deren Wirkung und Deutung sie nach ihrem Tod naturgemäss nicht beeinflussen können. Letzte Worte können sentimental, zynisch, eitel, belehrend sein, aber auch ironisch, bisweilen sogar tröstlich; nicht aber (eben) poetisch. Am ehesten sind sie mit einer Signatur zu vergleichen, die – in diesem Fall – einen Lebenstext beschliessen und beglaubigen. Wenn Marguerite Duras «das ist alles» (c’est tout) als ihr letztes Wort ausgibt, ist damit tatsächlich alles gesagt: Nichts lässt sich darauf antworten, nichts hinzufügen, nichts erwidern, aber es lässt sich auch nichts lernen daraus – man nimmt’s zur Kenntnis und man redet unter all den Lebendigen weiter, bis man selbst nur noch bestätigen kann: «Das war’s.»

 

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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