Franz Josef Czernin: Zu Franz Josef Czernins Gedicht „aus heiterm rings anhimmelnd…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Franz Josef Czernins Gedicht „aus heiterm rings anhimmelnd…“ aus Franz Josef Czernin: Sonette, Elemente.

 

 

 

 

FRANZ JOSEF CZERNIN

aus heiterm rings anhimmelnd selbst uns klar anheben,
dass jeder schimmer davon, hauch uns hat, aufschwingt,
wie riechend wohl, besonnen angespielt vorschweben,
doch auch entbrannt, und hoch im flug, vielfach umringt.

auskostend prangen, reich gegliedert uns eingeben,
was zu verjubeln mir auf flammen, zungen winkt,
glanzvoll zergeht; leichthin gewählt licht an uns streben,
mir aus dem blauen redlich, doch so klar bedingt:

gelockt uns froh wird all der schwung heraus, doch biegsam,
wie zugeneigt, selbst feuer fangen, leicht gebracht
weit auf besternten punkt; wir schwärmen, doch auch fügsam

durch all dies munden immer allem, was entfacht,
verschlungen sind, stets fernsten bögen, wie anschmiegsam,
ringsum gezogen bleiben, hellauf in betracht.

 

(…)
Licht ist dadroben: das verschafft ersichtlich
den Schöpfer für ein jede creature,
der dürsten wird von ihn-erschauen schwichtlich;
Und spreitet sich in zirkeles figure
als weit und breit, dass schier sein umbefang
sonnen gedieh’ zu mehr denn gürtel schnure.
Schaffen aus strahle ist aller sein belang,
rückworfen hoh zum ersten Ur-bewegen:
nimmet auch dannen lebens kraft und drang.
Und gleich als bühl in wassere sich entgegen
erspiegelet – gleichsam sich geschönt zu kehren,
wenn er voll krautes steht und blumen segen:
Also aufs licht gelehnet stand in heeren,
sich spiegelend rings auf meh denn tausend schrannen,
was heimgekehrt von uns zu jenen ehren.
Und so den tiefsten ring schon übermannen
leuchten so grosse: wie viel mehr ist spreite
von dieser rose in blätteren letzten dannen?
Mein schauen in die höh und in die weite
gieng nicht verlorn: es fasste herz, zu kosten
allsamt der wonnen quant’ und qualiteite.
(…)

Aus: Rudolf Borchardt: Dantes Comedia Deutsch, Paradies,
dreissigster Gesang, Stuttgart 1967, Seite 452

 

Manchmal glaube ich,

mir selbst Einleuchtendes darüber sagen zu können, wie Gedichte gemacht sind; denn manches glaube ich darüber zu wissen: Deshalb dieses Metrum, darum steht das Wort in dem einen und nicht in dem anderen Vers, aus diesen oder jenen Gründen oder Erwägungen kehren da und dort Motive, Rhythmen, Klänge wieder oder nicht wieder. Doch wüsste ich etwas darüber zu sagen, wie Gedichte entstehen, müsste ich dann nicht auch wissen, was Gedichte sind?

Wenn ich über Gedichte nachdenke, wie soll ich dann herausfinden können, wie Gedichte, wie etwa meine Gedichte entstehen, da ich doch von keinem Wort, von keinem einzigen Gedanken weiss, woher sie kommen, wohin sie gehen, und also auch nicht, was sie sind? Ich weiss doch nicht einmal, ob die Quelle von Gedichten Licht oder Dunkelheit ist oder auch all der Raum, all die Zeit zwischen Dunkelheit und Licht.

Manchmal glaube ich, dass ein Gedicht, wenn es eines ist, selbst sagt, wie es entsteht und was es ist. Als ob Gedichte durch sich selbst die eigene Entstehung und deshalb auch, was sie sind, preisgeben wollten und damit vielleicht die Entstehung all der Worte und Gedanken. Können Gedichte nicht die Zeit ihrer Her- oder Hinkunft und also die Dunkelheit selbst an ihr Licht bringen oder auch all das Licht an ihre Dunkelheit?

Und wenn es so wäre, dass mir ein Gedicht selbst alles sagt, was ich über das Entstehen und das Sein des Gedichtes wissen kann: Dann ruft das Gedicht vielleicht weitere Gedichte darüber hervor, wie es entstanden ist, und was es ist, als sein Licht oder auch als seine Dunkelheit, und ebenso können Gedichte über die Entstehung und das Sein von Gedichten weitere Gedichte hervorrufen, die deren Entstehung und Sein erhellen oder auch in das ihnen angemessene Dunkel entrücken.

Doch wie oft machen sich diese Gedichte, die von Gedichten hervorgerufen werden, selbstständig! Als wären die Gedanken und Worte über Gedichte nicht selbst Gedichte, als wüssten sie mehr oder besser als die Gedichte, die sie erhellen sollen.
Immer wenn Gedanken und Worte über Gedichte nicht als Gedichte erkannt werden und Gedichte nicht als Gedanken und Worte über Gedichte, über ihr Entstehen und Sein, dann geht die Zeit, der Raum verloren, die Gedichte doch wieder finden könnten, und also ihre Hin- oder Herkunft, ihr Licht oder ihre Dunkelheit?

Wenn sie diese nicht verdunkeln, so erleuchten vielleicht einige Gedichte die Her- oder Hinkünfte anderer Gedichte, sie scheinen mir dann einen gemeinsamen Raum, eine gemeinsame Zeit hervorzubringen oder wieder zu finden zu wollen.
So als würden diese Gedichte und vielleicht im Licht oder auch in der Dunkelheit ihres Entstehens und ihres Seins einander hervorrufen oder hätten dies vielleicht einmal getan oder sollten es doch eines Tages tun oder auch eines Nachts.

Aus Manfred Enzensperger (Hrsg.): Die Hölderlin Ameisen, DuMont, 2005

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