Gedichte? Ja!

Mashup von Juliane Duda zu der Kategorie „adhoc“

adhoc

Urs Engeler, der unermüdliche Lyrikverfechter, hat sich wieder zu Wort gemeldet. Öfters konnte man ihn schon in Interviewzusammenhängen Partei ergreifend für die Autoren seiner Verlage Roughbooks und Urs Engeler Editor erleben. Nun hat er wieder keine Wahl und beantwortet die Gesinnungsfrage nach Gedichten mit einem eindeutigen „Ja“. An Anhängern fehlt es ihm nicht. In seinem Plädoyer nennt er sie alle, oder zumindest seine Lieblinge.

Die Welt ist überschaubar

− Ein Lyrikvermittler darüber, warum er lieber auf ein weisses Blatt Papier mit ein paar Wörtern schaut, als einen Roman wegzulesen. −

„Gedichte? Nein…“: So beginnt ein Aufsatz von Durs Grünbein in der Schweizer Korrektur, einer „Partitur zur Poetik der Gegenwart“ aus dem Jahr 1995, mit Texten von Grünbein, Brigitte Oleschinski und Peter Waterhouse – das erste Buch, das ich herausgegeben habe.

Gedichte? Nein, nicht weil ich ein Leser bin. Weil ich kein Leser bin. Wie man mit Spannung 500 Seiten Roman weglesen kann, ist mir immer unverständlich geblieben. Nach zwanzig Seiten lege ich die Schmöker weg und schaue zu meiner Geliebten, in den Garten, in den Kühlschrank oder in einen Gedichtband, in eine Zeitschrift.

Es gibt ja so viele davon! Schreibheft, Sprache im technischen Zeitalter, Sinn und Form, Manuskripte, Akzente, Bella tris­te, Edit, La Liesette littéraire. Gedichte? Ja, einen Moment lang, dreissig Sekunden, ein paar Zeilen, viel Weiss – und mit nichts war ich länger beschäftigt, nichts hat mich stärker umgetrieben, nichts stärker mein Leben bestimmt.

Gedichte? Nein, ich hatte keine Wahl. Mittlerweile akzeptiere ich, dass andere auch keine haben und keine Gedichte lesen. Ich habe keine Mission mehr. Die Welt ist überschaubar: Entweder man liest Gedichte, oder man lässt es sein. Deshalb brauche ich mich, als Verleger, nicht mehr zu kümmern um die, die nicht. Ich weiss, dass „die, die“ sich unweigerlich einfinden, wenn es gute Gedichte zu lesen gibt.

Gedichte? Ja, wir sind wenige. Nein, wir leiden nicht darunter. Wir haben so viel: Sic!, kolik, Krachkultur und Der Poet, die Editio­nen Rugerup, Qwertzuiopü und Schock Edition Fünf mal zwölf Gedichte, Engstler, Keicher und Klever, Kookbooks, Luxbooks und Roughbooks, Lyrikwelt, Planet Lyrik und Fixpoetry, die Karawa.net, Lyrikkritik und Lyrikline, das System Brüterich und die Lyrikzeitung & Poetry News. Wir haben das Lyrik-Kabinett, die Literaturwerkstatt, das Kreuzwort und die Liedertafel der Sing-Akademie zu Berlin.

Gedichte? Ja, wir haben Sappho, die Dickin­son, H. D., Mayröcker, Erb, Köhler, Rinck und Wolf, das Wessobrunner Gebet, die Merseburger Zaubersprüche und den Lorscher Bienensegen, den von Kürenberg, die von Magdeburg und den von der Vogelweide, Hoffmann von Hoffmannswaldau, von Haller und von Droste-Hülshoff, Günther, Klopstock, Claudius, Goethe, Hölderlin und Eichendorff, Mörike, Rilke, Rimbaud, Baudelaire und George, Kästner, Benn und Brecht, Celan, Artmann, Pastior und Rosen­löcher, Stolterfoht, Donhauser und Waterhouse.

Gedichte? Ja, wir haben Gegenwart. Wir haben Kerstin Preiwuss, Johanna Schwedes, Daniela Seel, wir haben Christian Filips, Bertram Reinecke, Michael Fiedler und Konstantin Ames.

Gedichte? Ja, wir haben Zukunft.

Urs Engeler, WOZ, 10.5.2012

 

Urs Engeler im Gespräch mit Britta Bürger: „Wahrscheinlich habe ich einfach ein Ohr dafür“. Verleger Engeler über seine Liebe zur Lyrik und sein Label roughbooks.

 

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